Waffenstillstand in der Krisenregion Idlib
Russland und Türkei einigen sich – Polizisten aus dem Südwesten an die griechische Grenze
- Ein bisschen Hoffnung für die Krisenregion in Syrien: Russland und die Türkei haben sich am Donnerstag nach gut sechsstündigen Gesprächen der Präsidenten Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdogan auf einen neuen Waffenstillstand in der Rebellenhochburg Idlib geeinigt. Hunderttausende fliehen derzeit vor den syrischen und russischen Angriffen in Richtung türkische Grenze.
Die Lage an der türkisch-griechischen Grenze ist derweil weiter dramatisch. Angesichts des Andrangs von Migranten an der Außengrenze setzen die EU und die Bundesregierung auch auf mehr Hilfe für Ankara. „Die EU muss die Anstrengungen der Türkei bei der Aufnahme von Flüchtlingen und Migranten weiterhin auch verstärkt finanziell unterstützen“, sagte Außenminister Heiko Maas am Donnerstag vor seinem Abflug zum heutigen EU-Außenministertreffen in Zagreb. Er erwarte im Gegenzug, dass sich Ankara an das EU-Türkei-Flüchtlingsabkommen von 2016 halte. In Brüssel hieß es, die EU-Kommission plane die Bereitstellung
einer weiteren halben Milliarde Euro – zusätzlich zu den bereits im Abkommen zugesagten sechs Milliarden Euro.
Die EU-Innenminister unterstützen derweil das harte Vorgehen Griechenlands. „Illegale Grenzübertritte werden nicht toleriert“, hieß es in einer Erklärung. Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl bot hierfür Unterstützung an. „Europa muss Griechenland helfen, die Außengrenzen zu schützen“, sagte der CDU-Politiker. Deutschland unterstütze dies bereits. Baden-Württemberg sei bereit, Polizei und humanitäre Hilfe zur Verfügung zu stellen. Polizisten aus allen EU-Staaten arbeiten für Frontex, die Grenzschutzagentur der Union. Seit 2015 sind Beamte aus dem Südwesten in Griechenland, Bulgarien und Italien im Einsatz, derzeit tun drei ihren Dienst. Strobl sagte jedoch, diese Zahl lasse sich jederzeit aufstocken. BadenWürttemberg könne kurzfristig bis zu 14 Polizisten entsenden. Für weitere bräuchte es neue politische Beschlüsse in Bund und Land. Ob und wann weitere Beamte aus BadenWürttemberg nach Griechenland entsandt werden, ist offen.
(dpa) - Nach einem Treffen zwischen Russlands Staatschef Wladimir Putin und seinem türkischen Kollegen Recep Tayyip Erdogan gibt es ein wenig Hoffnung für die umkämpfte syrische Stadt Idlib. Die Region um Idlib ist Syriens letztes großes Rebellengebiet. Dort dominieren Islamisten der Al-Kaidanahen Miliz Haiat Tahrir al-Scham. Vor einem Jahr begannen die Truppen von Syriens Präsident Baschar al-Assad eine Offensive – unterstützt von Russlands Luftwaffe. In den vergangenen Wochen rückten sie immer weiter vor, Hunderttausende flohen.
Mit der neuen Fluchtwelle wächst der Druck auf die Türkei, die in der Region Truppen im Einsatz hat. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan verlangte einen Rückzug der syrischen Truppen – und begann mit Angriffen, als dieser ausblieb. In den vergangenen Tagen hat die türkische Armee Assads Anhängern schwere Verluste zugefügt, doch auch selbst einen hohen Preis bezahlt. Mindestens 37 türkische Soldaten wurden innerhalb einer Woche getötet, seit Anfang Februar waren es mehr als 50.
Kremlchef Wladimir Putin bedauerte bei einem rund sechsstündigen Treffen mit Erdogan in Moskau am Donnerstag die vielen Opfer. Er beteuerte aber auch, dass Assads Truppen nicht gewusst hätten, dass die Türken dort waren. Die Staatschefs schlossen eine neue Vereinbarung. Das Dokument beinhaltet einen neuen Waffenstillstand, gemeinsame Patrouillen von Russen und Türken in Idlib und den Kampf gegen Islamisten. Ähnliches hatten die Staatschefs schon in Sotschi vereinbart.
Wie die Lage eskaliert, wird auch künftig von Russland abhängen, dem wichtigen Verbündeten Assads. In Moskau, so heißt es, liegt der Schlüssel für die Lösung des Konflikts. Schon vor dem neuen Treffen stellten die Russen klar, dass sie Assad weiter unterstützen, Syriens Staatsgebiet komplett unter seine Kontrolle zu bringen.
Die russischen Truppen sehen sich seit Langem als die einzigen legitimen ausländischen Streitkräfte in Syrien. Zulassen will Russland den türkischen Militäreinsatz deshalb nur so lange, bis die islamistischen Terroristen besiegt sind. Dabei kritisierte Moskaus Verteidigungsministerium, dass sich Türken unlängst selbst mit Terroristen verbündet hätten. Das Ministerium hatte auch gewarnt, nicht mehr für die Sicherheit der türkischen Streitkräfte sorgen zu können. Nun gab es einen neuen Schulterschluss.
Schon vor Erdogans Besuch bei Putin betonte Moskaus Außenminister Sergej Lawrow, dass der AntiTerror-Kampf Vorrang habe – unabhängig davon, wie viele Flüchtlinge in die Türkei oder nach Europa unterwegs seien. IN Moskau sehen es nicht wenige als nützlichen Nebeneffekt,
dass die Vielzahl neuer Migranten die EU-Staaten vor Probleme stellen, Regierungsgegner stärken und für politische Instabilität sorgen könnten. Immer wieder hatte Russland dem Westen vorgeworfen, jahrelang Assads Gegner mit Geld und Waffen gefördert zu haben. Der Moskauer Militärexperte Pawel Felgenhauer sagte der Zeitung „Nowaja Gaseta“, dass der Kreml von einer Entfremdung zwischen Erdogan und dem Westen träume.
Dass Putin und Erdogan sich eng abstimmen und immer wieder treffen oder telefonieren, hängt vor allem damit zusammen, dass keiner von beiden an einer direkten kriegerischen Konfrontation interessiert ist. Für die Türkei ist Russland in zentralen Wirtschaftszweigen ein wichtiger Partner. Sie braucht – gerade in der schlechten Wirtschaftslage – die russischen Touristen und Absatzmärkte. Auch das russische Erdgas.
Dass eine Machtprobe mit Putin schlecht ausgehen könnte, das hat Erdogan zudem bitter lernen müssen. Nach dem Abschuss eines russischen Kampfjets durch die Türkei 2015 reagierte der Kremlchef mit Sanktionen: Er untersagte Pauschalreisen in die Türkei und verhängte einen weitgehenden Importstopp auf landwirtschaftliche Produkte.
Erdogan wollte mit seinem Besuch in Moskau vor allem auch die Massenflucht der Menschen in Richtung türkische Grenze stoppen. Die Türkei hat seit Beginn des Bürgerkrieges in Syrien rund 3,6 Millionen Flüchtlinge aufgenommen. Mehr könne und wolle das Land nicht bewältigen, warnte Erdogan wiederholt. In der Gesellschaft schrumpft die Akzeptanz für die Flüchtlinge rapide. Das setzt Erdogan innenpolitisch unter Druck. Auch deshalb hat er jüngst die Grenztore nach Europa geöffnet.