Mit dem Bollerwagen für den Mietenstopp
Volksbegehren übergibt 52 000 Unterschriften – Aussicht für das Bündnis ist unklar
- Wenn an diesem Freitag jenes Grüppchen auf dem Odeonsplatz in München zusammenkommt, dann dürften sich viele Betrachter an einen Junggesellenabschied erinnert fühlen. Schließlich wird im Zentrum der Menschentraube ein Bollerwagen gezogen – von der Feldherrnhalle hinüber zum Wittelsbacherplatz, wo nicht nur die Siemens-Konzernzentrale sitzt, sondern auch das bayerische Innenministerium.
Anders als bei den zig Junggesellenabschieden, die jedes Wochenende durch die Münchner Fußgängerzone ziehen, werden in diesem Bollerwagen jedoch weder Verkleidungen noch hochprozentiger Reiseproviant transportiert. Vielmehr sind darin transparente Plastikboxen gestapelt, in denen wiederum Listen mit Unterschriften liegen. Fast 52 000 Unterschriften aus ganz Bayern, um genau zu sein. Gesammelt hat sie das Bündnis des Volksbegehrens „Sechs Jahre Mietenstopp“, das die Listen am Freitag im Innenministerium abgeben wird.
„Die Mieten haben sich in den vergangenen Jahren so entwickelt, dass sie für viele Menschen in Bayern nicht mehr tragbar sind“, sagt Beatrix Zurek wenige Tage vor der Übergabe. Die 59-Jährige ist SPDMitglied, Referatsleiterin im Münchner Rathaus und sitzt an diesem Abend im Büro des Mietervereins München, dessen Vorsitzende sie ist. „Unser soziales Gefüge ist in Gefahr, wenn es so weitergeht“, betont Zurek. „Die Menschen in Bayern wünschen sich dringend eine Veränderung, damit der außer Kontrolle geratene Mietmarkt wieder in geregelte Bahnen gelenkt wird.“
Dies soll nun mithilfe eines Volksbegehrens erreicht werden, hoffen die Unterstützer. Sie fordern, die Mieten für sechs Jahre einzufrieren, und zwar in 162 bayerischen Städten und Gemeinden – darunter nicht nur München, Nürnberg und Augsburg, sondern etwa auch Lindau, Sonthofen und Neu-Ulm. Ausgenommen von der Regelung sollen sowohl Neubauten als auch „sozial verantwortliche Vermieter“sein. Sie dürften ihre Mietpreise demnach auf bis zu 80 Prozent der ortsüblichen Vergleichsmiete erhöhen. Werden Wohnungen wieder vermietet oder modernisiert, soll maximal die ortsübliche Vergleichsmiete verlangt werden können.
Inspiriert wurde der Münchner Mieterverein vom Berliner Mietendeckel, der Ende Januar vom dortigen Abgeordnetenhaus beschlossen wurde. Anders als in der Hauptstadt soll es in Bayern aber nicht möglich sein, überteuerte Mieten zu senken. „Wir wollen eine Verschnaufpause“, sagt Beatrix Zurek, „aber keinen Eingriff in die Eigentumsrechte“. Wer als Vermieter gegen die Regelungen verstößt, soll mit Geldbußen von bis zu 500 000 Euro bestraft werden.
Neben dem Mieterverein München gehören zu den Initiatoren des Volksbegehrens auch der Mieterbund Bayern, die SPD, der Deutsche Gewerkschaftsbund, die Linke und das Aktionsbündnis „Ausspekuliert“. Unterstützt werden sie von zig weiteren Verbänden und Parteien wie den Grünen. Von Oktober bis Februar hat das Bündnis fast 52 000 Unterschriften gesammelt – weit mehr als die nötigen 25 000. Nun muss das Innenministerium prüfen, ob das Volksbegehren rechtlich zulässig ist – eine Frage, bei der die Meinungen auseinandergehen. So verweist Zurek auf die Einschätzung zweier Juraprofessoren aus Bielefeld, die den Gesetzestext ausgearbeitet haben. Demgegenüber gibt sich Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) überzeugt: „Ein Landesgesetz, das die Mieten für Wohnungen auf dem freien Markt für sechs Jahre einfriert, ist verfassungswidrig.“
Kritik an dem Volksbegehren kommt auch von anderer Stelle. So sagt FDP-Landeschef Daniel Föst: „Ein Mietenstopp bekämpft nicht die Ursachen der Mietpreisexplosion in den Städten, sondern verschärft sie.“Ähnlich äußert sich der Verband bayerischer Wohnungsunternehmen, dessen Direktor Hans Maier „regulatorische Eingriffe“ablehnt. „Wer wirklich Abhilfe schaffen will, muss für mehr Wohnungsneubau sorgen.“Und auch Hans Friedl von den Freien Wählern warnt: „Die ohnehin zu geringen Investitionen im Wohnungsbau gingen weiter zurück und die Situation am Mietwohnungsmarkt würde sich unterm Strich eher verschärfen.“
Trotz dieser Widerworte wissen auch die Kritiker, dass die explodierenden Mieten viele Menschen in Bayern umtreiben – nicht nur in der Landeshauptstadt. „Noch vor zehn Jahren wurde das oft als reines München-Problem gesehen“, sagt Beatrix Zurek. Doch inzwischen sei vielerorts im Freistaat das Bewusstsein erwacht, „dass das ein Problem ist, das alle betrifft“. Derlei Sätze sagt die Mietervereins-Chefin nicht grundlos, weiß sie doch genau, dass das Volksbegehren nur eine Chance hat, wenn sich auch Mieter jenseits von München dafür begeistern. Denn sollte das Innenministerium grünes Licht geben, dann geht die Initiative in alle bayerischen Rathäuser: Dort müsste sich innerhalb von 14 Tagen zehn Prozent der Wahlbevölkerung eintragen; das wären etwa eine Million Unterschriften. Würde das Bündnis diese Marke knacken – so wie es zuletzt das Volksbegehren gegen das Bienensterben geschafft hat – wäre der Landtag am Zug. Er könnte den Gesetzentwurf annehmen oder ablehnen, wobei Zweiteres zu einem Volksentscheid führen würde.
Doch bis dahin ist es noch ein langer Weg, der die Initiatoren und ihren Bollerwagen nun erst mal zum Innenministerium führen wird. Nach der Übergabe der Unterschriften hat die Behörde sechs Wochen Zeit, ihr Urteil über das Volksbegehren abzugeben. Sollte dies negativ ausfallen, müsste in letzter Instanz der Bayerische Verfassungsgerichtshof entscheiden.