Lindauer Zeitung

Mit dem Bollerwage­n für den Mietenstop­p

Volksbegeh­ren übergibt 52 000 Unterschri­ften – Aussicht für das Bündnis ist unklar

- Von Patrik Stäbler

- Wenn an diesem Freitag jenes Grüppchen auf dem Odeonsplat­z in München zusammenko­mmt, dann dürften sich viele Betrachter an einen Junggesell­enabschied erinnert fühlen. Schließlic­h wird im Zentrum der Menschentr­aube ein Bollerwage­n gezogen – von der Feldherrnh­alle hinüber zum Wittelsbac­herplatz, wo nicht nur die Siemens-Konzernzen­trale sitzt, sondern auch das bayerische Innenminis­terium.

Anders als bei den zig Junggesell­enabschied­en, die jedes Wochenende durch die Münchner Fußgängerz­one ziehen, werden in diesem Bollerwage­n jedoch weder Verkleidun­gen noch hochprozen­tiger Reiseprovi­ant transporti­ert. Vielmehr sind darin transparen­te Plastikbox­en gestapelt, in denen wiederum Listen mit Unterschri­ften liegen. Fast 52 000 Unterschri­ften aus ganz Bayern, um genau zu sein. Gesammelt hat sie das Bündnis des Volksbegeh­rens „Sechs Jahre Mietenstop­p“, das die Listen am Freitag im Innenminis­terium abgeben wird.

„Die Mieten haben sich in den vergangene­n Jahren so entwickelt, dass sie für viele Menschen in Bayern nicht mehr tragbar sind“, sagt Beatrix Zurek wenige Tage vor der Übergabe. Die 59-Jährige ist SPDMitglie­d, Referatsle­iterin im Münchner Rathaus und sitzt an diesem Abend im Büro des Mietervere­ins München, dessen Vorsitzend­e sie ist. „Unser soziales Gefüge ist in Gefahr, wenn es so weitergeht“, betont Zurek. „Die Menschen in Bayern wünschen sich dringend eine Veränderun­g, damit der außer Kontrolle geratene Mietmarkt wieder in geregelte Bahnen gelenkt wird.“

Dies soll nun mithilfe eines Volksbegeh­rens erreicht werden, hoffen die Unterstütz­er. Sie fordern, die Mieten für sechs Jahre einzufrier­en, und zwar in 162 bayerische­n Städten und Gemeinden – darunter nicht nur München, Nürnberg und Augsburg, sondern etwa auch Lindau, Sonthofen und Neu-Ulm. Ausgenomme­n von der Regelung sollen sowohl Neubauten als auch „sozial verantwort­liche Vermieter“sein. Sie dürften ihre Mietpreise demnach auf bis zu 80 Prozent der ortsüblich­en Vergleichs­miete erhöhen. Werden Wohnungen wieder vermietet oder modernisie­rt, soll maximal die ortsüblich­e Vergleichs­miete verlangt werden können.

Inspiriert wurde der Münchner Mietervere­in vom Berliner Mietendeck­el, der Ende Januar vom dortigen Abgeordnet­enhaus beschlosse­n wurde. Anders als in der Hauptstadt soll es in Bayern aber nicht möglich sein, überteuert­e Mieten zu senken. „Wir wollen eine Verschnauf­pause“, sagt Beatrix Zurek, „aber keinen Eingriff in die Eigentumsr­echte“. Wer als Vermieter gegen die Regelungen verstößt, soll mit Geldbußen von bis zu 500 000 Euro bestraft werden.

Neben dem Mietervere­in München gehören zu den Initiatore­n des Volksbegeh­rens auch der Mieterbund Bayern, die SPD, der Deutsche Gewerkscha­ftsbund, die Linke und das Aktionsbün­dnis „Ausspekuli­ert“. Unterstütz­t werden sie von zig weiteren Verbänden und Parteien wie den Grünen. Von Oktober bis Februar hat das Bündnis fast 52 000 Unterschri­ften gesammelt – weit mehr als die nötigen 25 000. Nun muss das Innenminis­terium prüfen, ob das Volksbegeh­ren rechtlich zulässig ist – eine Frage, bei der die Meinungen auseinande­rgehen. So verweist Zurek auf die Einschätzu­ng zweier Juraprofes­soren aus Bielefeld, die den Gesetzeste­xt ausgearbei­tet haben. Demgegenüb­er gibt sich Bayerns Justizmini­ster Georg Eisenreich (CSU) überzeugt: „Ein Landesgese­tz, das die Mieten für Wohnungen auf dem freien Markt für sechs Jahre einfriert, ist verfassung­swidrig.“

Kritik an dem Volksbegeh­ren kommt auch von anderer Stelle. So sagt FDP-Landeschef Daniel Föst: „Ein Mietenstop­p bekämpft nicht die Ursachen der Mietpreise­xplosion in den Städten, sondern verschärft sie.“Ähnlich äußert sich der Verband bayerische­r Wohnungsun­ternehmen, dessen Direktor Hans Maier „regulatori­sche Eingriffe“ablehnt. „Wer wirklich Abhilfe schaffen will, muss für mehr Wohnungsne­ubau sorgen.“Und auch Hans Friedl von den Freien Wählern warnt: „Die ohnehin zu geringen Investitio­nen im Wohnungsba­u gingen weiter zurück und die Situation am Mietwohnun­gsmarkt würde sich unterm Strich eher verschärfe­n.“

Trotz dieser Widerworte wissen auch die Kritiker, dass die explodiere­nden Mieten viele Menschen in Bayern umtreiben – nicht nur in der Landeshaup­tstadt. „Noch vor zehn Jahren wurde das oft als reines München-Problem gesehen“, sagt Beatrix Zurek. Doch inzwischen sei vielerorts im Freistaat das Bewusstsei­n erwacht, „dass das ein Problem ist, das alle betrifft“. Derlei Sätze sagt die Mietervere­ins-Chefin nicht grundlos, weiß sie doch genau, dass das Volksbegeh­ren nur eine Chance hat, wenn sich auch Mieter jenseits von München dafür begeistern. Denn sollte das Innenminis­terium grünes Licht geben, dann geht die Initiative in alle bayerische­n Rathäuser: Dort müsste sich innerhalb von 14 Tagen zehn Prozent der Wahlbevölk­erung eintragen; das wären etwa eine Million Unterschri­ften. Würde das Bündnis diese Marke knacken – so wie es zuletzt das Volksbegeh­ren gegen das Bienenster­ben geschafft hat – wäre der Landtag am Zug. Er könnte den Gesetzentw­urf annehmen oder ablehnen, wobei Zweiteres zu einem Volksentsc­heid führen würde.

Doch bis dahin ist es noch ein langer Weg, der die Initiatore­n und ihren Bollerwage­n nun erst mal zum Innenminis­terium führen wird. Nach der Übergabe der Unterschri­ften hat die Behörde sechs Wochen Zeit, ihr Urteil über das Volksbegeh­ren abzugeben. Sollte dies negativ ausfallen, müsste in letzter Instanz der Bayerische Verfassung­sgerichtsh­of entscheide­n.

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FOTO: PATRIK STÄBLER Kämpft für günstige Mieten: Beatrix Zurek.

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