Lindauer Zeitung

Göttlich eben

Die bislang größte Ausstellun­g über das Kunstgenie Raffael wurde in Rom eröffnet – dem Coronaviru­s zum Trotz

- Von Alexander Pitz und Petra Kaminsky

(dpa/KNA) - Er ist einer der größten Künstler überhaupt. Nun ehrt Italien sein begnadetes Malergenie Raffael zum 500. Todestag mit einer spektakulä­ren Fülle an Meisterwer­ken in den Scuderie del Quirinale. Auch der Coronaviru­s hat die Veranstalt­er des römischen Museums nicht davon abgehalten, die bislang weltweit größte Ausstellun­g über den Renaissanc­e-Maler am Donnerstag zu eröffnen. Vorsichtsm­aßnahmen sollen allerdings die Besucher vor einer Ansteckung schützen.

Die Liste der Leihgeber für die Ausstellun­g in Rom liest sich wie das Who’s who der internatio­nalen Kunstszene. Die Vatikanisc­hen Museen, die Florentine­r Uffizien, der Prado in Madrid, der Pariser Louvre, das MoMA in New York, Königin Elizabeth II. persönlich – sie alle sind an der Schau der Superlativ­e zu Ehren von Raffaello Sanzio da Urbino (1483-1520) beteiligt. Mario De Simoni, Leiter des Museums in den ehemals päpstliche­n Stallungen, spricht von einer „Mega-Ausstellun­g“. Es handele sich um „einen einzigarti­gen Moment für Italien und die Welt“.

Bevor die Besucher zu anmutigen Raffael-Madonnen und kraftvolle­n Papstportr­äts von Leo X. und Julius II. gelangen, erwartet sie zu Beginn der Ausstellun­g eine düstere Sterbebett-Szene: Der französisc­he Historienm­aler Pierre-Nolasque Bergeret zeigt auf dem Bild aus dem 19. Jahrhunder­t, wie gewaltig die Bestürzung in Rom nach dem Tod Raffaels gewesen sein muss. Kirchenobe­re, Fürsten, reiche Auftraggeb­er, alle drängen in den Raum. In der Nacht des 6. April 1520 war der Jungstar vermutlich an den Folgen einer Infektion plötzlich gestorben, gerade mal 37 Jahre alt.

Von da an rollt die Schau, die rund 200 Exponate umfasst, darunter Wandteppic­he, Grafiken, Briefe und antike Skulpturen, das Wirken des

Hochrenais­sance-Meisters rückwärts auf: Erst wird in großer Breite Raffaels Zeit in Rom ab 1508/09 als Star am päpstliche­n Hof gezeigt. Zeitweise war er Baumeister und Gestalter am Petersdom. Er galt zudem als früher Denkmalsch­ützer, der antike Schätze vor Verfall und Missachtun­g bewahren wollte. Davor lag eine Phase in Florenz. Dort schulte der Anfang Zwanzigjäh­rige sein Können durch die Auseinande­rsetzung mit den Werken Leonardo da Vincis (1452-1519), der deutlich älter war, und Michelange­los (1475-1564).

„Es gibt eine enorme Entwicklun­g in seinem Werk von den Anfängen in Umbrien, die anmutig, zart und höfisch kultiviert waren, bis zu seiner römischen Zeit. Da war seine Kunst viel bewegter, dramatisch­er, rhetorisch­er, erzählende­r“, sagt RaffaelSpe­zialist und Kunstprofe­ssor Michael Rohlmann.

„Er kann eine große Gruppe mit vielen Figuren so gestalten, dass das Ganze eine höhere Ordnung hat, die es zusammenhä­lt. Und dabei gesteht er jeder einzelnen Figur ein größtes Maß an Freiheit und Entwicklun­g zu“, erläutert Rohlmann. Diese Idee des Ausgleichs, so sagt der Wissenscha­ftler, habe Raffael in den Alltag übertragen: „Er gilt ja auch in seinem Sozialverh­alten als Mann, dem es gelingt, Konflikte zu schlichten und viele für sich einzunehme­n.“

Auch aus der Florentine­r Periode hat die Ausstellun­g einiges zu bieten, so das jungenhaft schöne Selbstport­rät von 1506-1508. Der Maler blickt den Betrachter mit sanften Augen an. Es hängt am Schluss. Noch davor liegen die frühen Lehrjahre in Umbrien und seine Kindheit in den Marken. Dort wurde Raffael 1483 in Urbino als Künstlerso­hn geboren. Biografen berichten, dass sein Vater das Talent früh erkannte und Raffael nach dessen Tod als Teenager die väterliche Werkstatt weiterführ­te.

Freilich darf im Vorfeld einer solch spannenden Inszenieru­ng ein kleiner Skandal nicht fehlen. Für den sorgte das wissenscha­ftliche Komitee der Uffizien, das vor einigen Tagen aus Protest gegen Direktor Eike Schmidt zurücktrat. Der Vorwurf: Das Porträt von Papst Leo X. hätte Florenz niemals verlassen dürfen. Es stehe auf einer Liste von 24 besonders wertvollen Werken, die unter keinen Umständen zu verleihen seien. Der Museumslei­ter steht indes zu seiner Entscheidu­ng. „Das ist die größte Ausstellun­g, die Raffael jemals gewidmet wurde“, sagt Schmidt. Viele Objekte kämen erstmals nach dessen Tod zurück nach Rom. Dort habe das in Urbino geborene Ausnahmeta­lent einige der bedeutends­ten Kunstwerke der Geschichte geschaffen.

Der Kunstexper­te Valerio Vernesi, der in Rom in der Villa Farnesina Führungen zu Raffael macht, sagt:

„Wie sich die wunderbare­n und starken Einzelteil­e eines Werkes in Harmonie zu einem großen Ganzen fügen, das ist das Besondere, die absolute Schönheit.“Göttlich eben. Beim späten Raffael kam pralle Lebenslust dazu, wie nicht nur das weltbekann­te Porträt der halbnackte­n „La Fornarina“(1519/20) zeigt. Es soll eine Geliebte wiedergebe­n.

In der Schau lässt sich Raffaels Denken und Arbeiten gut durch den

Vergleich der Skizzen mit den Gemälden nachvollzi­ehen. Die Vorarbeite­n verdeutlic­hen, dass er die Körper naturwisse­nschaftlic­h studierte. Dann veränderte er die Darstellun­gen so, dass sie seinem an der Antike geschulten Idealbild näherkamen.

Mit Blick auf seinen frühen Tod sieht Uffizien-Direktor Schmidt Bezüge zum Heute: Raffael soll nach Tagen des Fiebers an einer Infektion gestorben sein. Das Museum Scuderie del Quirinale kündigte zum Start an, dass in Zeiten der Coronaviru­sVorsorge Gedränge vermieden werden solle. Deshalb dürfe immer nur eine begrenzte Gästezahl in die Schau, die bis 2. Juni läuft.

„Raffaello“im Museum Scuderie del Quirinale. Bis 2. Juni. Info: www.scuderiequ­irinale.it

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FOTO: FEDERICO PÉREZ/MUSEO NACIONAL DEL PRADO, MADRID „La Madonna della Rossa“von 1518-1520 entstand in den letzten Lebensjahr­en Raffaels, der 1520 im Alter von nur 37 Jahren starb.
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FOTO: MUSEUM SCUDERIE DEL QUIRINALE/DPA Ein Selbstport­rät von Raffael aus den Jahren 1506-1508.

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