Eiskalte Erfolgsgeschichte
Industrieverband erwartet längste Rezession seit Wiedervereinigung – Südwesten laut LBBW besonders betroffen
Heute vor 90 Jahren, am 6. März 1930, wurde erstmals Tiefkühlware verkauft – in zehn Lebensmittelgeschäften in der US-Kleinstadt
Springfield. Damals gab es nur Gemüse, Obst, Fleisch und Fisch. Mittlerweile hat die eisige Kost einen weltweiten Siegeszug angetreten:
Vom Fischstäbchen über Rahmspinat bis zur Fertigpizza (Foto: dpa) – jeder Deutsche verspeist ungefähr 47 Kilo pro Jahr.
- Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) schlägt wegen der neuen Krankheit Covid-19 Alarm: „Der deutschen Industrie droht die längste Rezession seit der Wiedervereinigung“, teilte der BDI am Donnerstag in Berlin mit. „Das Coronavirus belastet Export und Ausrüstungsinvestitionen.“
Tatsächlich ist die Industrieproduktion hierzulande bereits das sechste Quartal in Folge zurückgegangen. Die Lobby-Organisation fordert daher ein Paket an kurzfristigen Maßnahmen für betroffene Branchen. Sie verlangt zudem Steuersenkungen, um der Wirtschaft mittelfristig einen Schub zu geben.
Die Folgen der Pandemie schlagen auf die deutsche Wirtschaft besonders hart durch. Ein wichtiger Faktor ist dabei China – mit einem Absatzanteil von 28 Prozent ein Schlüsselmarkt für deutsche Automobilhersteller und für viele andere Produkte aus Deutschland. Das asiatische Land meldete für Februar einen Rückgang der Autoverkäufe um 80 Prozent. Viele Konsumenten müssen zu Hause ausharren, und in Zeiten großer Unsicherheit haben die Leute wenig Motivation zu teuren Neuanschaffungen. Dieser zusätzliche Schock kommt in einer Zeit, in der das Geschäft der Autoindustrie ohnehin im Argen liegt.
In Deutschland macht die Fahrzeugherstellung rund ein Zwanzigstel der Wirtschaftsaktivität aus. In der verarbeitenden Industrie ist es sogar ein Fünftel. „Im Windschatten der Autokonjunktur sank auch die Produktion in den Zulieferindustrien“, notiert der BDI. Durch gestörte Lieferketten aufgrund der inzwischen sehr starken Verflechtung der Weltwirtschaft leiden auch mehr und mehr Mittelständler unter einem massiven Geschäftsrückgang.
Besonders hart dürfte es nach Meinung der Landesbank BadenWürttemberg (LBBW) deshalb den Südwesten treffen. LBBW-Chefvolkswirt Uwe Burkert rechnet für 2020 mit einem Minus der Wirtschaftsleistung von 0,8 Prozent und damit mit einer ausgewachsenen Rezession, während er für ganz Deutschland nur von einem Minus von 0,1 Prozent ausgeht. Im Wachstumsranking
der deutschen Bundesländer belegt der Südwesten damit den letzten Platz. „Für Baden-Württemberg sind die Auswirkungen des Coronavirus besonders stark, denn die schwäbischen Unternehmen exportieren sehr viel ins Reich der Mitte“, begründete Burkert seine Einschätzung.
Die Corona-Probleme betreffen aber auch zahlreiche andere Wirtschaftszweige. Außer der Industrie ächzen aktuell vor allem die Reiseund Messeunternehmen. Mit der Absage der Reisemesse ITB fällt einer der größten Umsatztreiber der Branche in diesem Jahr aus. Ein auf China spezialisierter Veranstalter aus Hamburg ist bereits zahlungsunfähig. Fluglinien müssen nach dem Ausfall eines Boeing-Flugzeugmodells nun auch die Einstellung ihrer lukrativen China-Strecken verkraften. Der internationale Luftverkehrsverband IATA rechnet mit einem Umsatzeinbruch von bis zu 101 Milliarden Euro in diesem Jahr.
Auch die Zahl der Stornierungen von Italien-Reisen ist stark angestiegen. Von „Verunsicherung bei vielen Reisenden“spricht der Branchenverband DRV. „Je länger es jedoch dauert, das Virus in den Griff zu bekommen, umso stärker wird auch die Reisewirtschaft betroffen sein.“Viele Fluggäste lassen Tickets derzeit einfach verfallen.
Der neue Erreger ist damit jetzt auch das Wirtschaftsthema Nummer 1. „Nicht Brexit, nicht Trump, sondern das Coronavirus und seine weltweite Verbreitung haben derzeit den größten negativen Einfluss auf die Entwicklung in Deutschland“, urteilt der BDI. Komme es nicht zu einer wirtschaftlichen Normalisierung in den von der Coronavirus-Epidemie betroffenen Ländern im zweiten Quartal, sei auch für die Gesamtwirtschaft mi einen Rückgang der Wirtschaftsleistung
zu rechnen. Es wäre die erste Rezession der lange Jahre von Wachstum verwöhnten deutschen Wirtschaft seit 2009. Damals waren alle wichtigen Volkswirtschaften in der Folge der globalen Finanzkrise massiv eingebrochen. Der BDI hatte bisher ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts in Deutschland von 0,5 Prozent erwartet.
Die Bundesregierung hat daher ein offenes Ohr für die Bitten der Unternehmen. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat bereits Hilfe in Aussicht gestellt, falls sich die Lage weiter verschlechtert. Er will dazu jedoch kein neues Paket schnüren, sondern ohnehin geplante Entlastungen vorziehen, unter anderem Steuererleichterungen für Personengesellschaften.
Der Minister empfiehlt Firmen in Geldnot, die Möglichkeit zinsgünstiger Kredite von der Förderbank KfW zu prüfen. Am Sonntag wollen die
Spitzen von Union und SPD im Koalitionsausschuss mögliche Maßnahmen beraten.
Um ärmeren Staaten und Schwellenländern zu helfen, den wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Epidemie zu begegnen, hatte der Internationale Währungsfonds am Mittwoch insgesamt 50 Milliarden US-Dollar (45 Milliarden Euro) für Notkredite zugesagt. Auch das US-Repräsentantenhaus stellt für den Kampf gegen das neuartige Coronavirus 8,3 Milliarden Dollar (7,5 Milliarden Euro) bereit.
Marcel Fratzscher, der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), erwartet, dass auch die Europäische Zentralbank (EZB) in der kommenden Woche reagieren wird. Sie könnte, so der Ökonom, ein Programm bekannt geben, dass gerade kleinen und mittleren Unternehmen hilft, besser an Kredite zu kommen.