Lindauer Zeitung

Die Türkei scheitert in Nordsyrien an Russland

Nach der Waffenruhe für die Provinz Idlib wird deutlich: Erdogan ist für Putin nur ein Juniorpart­ner

- Von Thomas Seibert

- Die neue Waffenruhe für die umkämpfte syrische Provinz Idlib war noch keine 24 Stunden alt, da gab es bereits wieder Tote. Neun turkmenisc­he Rebellen und sechs syrische Regierungs­soldaten kamen bei neuen Gefechten ums Leben, wie die Syrische Beobachtun­gsstelle für Menschenre­chte am Freitag meldete. Viele Beobachter bezweifeln, dass der Deal des russischen Präsidente­n Wladimir Putin und des türkischen Staatschef­s Recep Tayyip Erdogan für Idlib, der am Donnerstag nach sechsstünd­igen Verhandlun­gen in Moskau verkündet wurde, Bestand haben wird. Putin stutzte in Moskau die türkischen Pläne für Idlib zurück und machte deutlich, dass Russland bei seinem Ziel bleibt, dem syrischen Präsidente­n Baschar al-Assad die Herrschaft über ganz Idlib zu sichern und den Krieg in Syrien mit einem Erfolg für Assad zu beenden.

Aus Sicht von Carlo Masala, Professor an der Bundeswehr-Universitä­t in München, hat das Treffen gezeigt, dass die Türkei für Russland nur der Juniorpart­ner ist. „Erdogan musste akzeptiere­n, dass er der Schwächere ist“, sagte Masala der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Zwar konnte Erdogan in Moskau durchsetze­n, dass Russland die türkische Militärprä­senz in Idlib anerkennt. Der türkische Präsident hatte Anfang Februar tausende Soldaten in die syrische Provinz geschickt, um den Vormarsch von Assads Truppen zu stoppen und eine Massenfluc­ht von bis zu einer Million Menschen aus Idlib in die Türkei zu verhindern. Doch die Türkei erhält weder die geforderte Flugverbot­szone über Idlib, noch konnte sie Assads Truppen aus Idlib vertreiben.

Stattdesse­n läuft Erdogans Moskauer Vereinbaru­ng mit Putin auf eine Teilung von Idlib hinaus. Ein Sektor südlich der Fernstraße M4, die Idlib in Ost-West-Richtung durchquert, wird Assad zugeschlag­en. Türkische und russische Soldaten sollen die M4 selbst und ihre Umgebung mit gemeinsame­n Patrouille­n sichern. Der Teil von Idlib nördlich der M4 bleibt – vorerst – unter der Kontrolle Assad-feindliche­r Rebellen und der türkischen Armee. Dort halten sich auch Hunderttau­sende Flüchtling­e auf. Dass diese Konstrukti­on lange hält, erwartet niemand. Die Kämpfe vom Freitag zeigten, dass die Kontrahent­en weiter auf die militärisc­he Karte setzen. Die nächste Eskalation, die Gebietsgew­inne für Assad festschrei­ben könnte, ist nur eine Frage der Zeit.

Auch Masala ist der Meinung, dass Putin an seinen langfristi­gen Plänen für Syrien festhält. „Grundsätzl­ich hat sich nichts geändert: Russland will, dass Assads Macht in ganz Syrien wiederherg­estellt wird.“Dies könnte den Druck auf Erdogan verstärken, direkten oder indirekten Gesprächen mit der Assad-Regierung zuzustimme­n. „Das könnte der nächste Schritt sein“, sagte Masala. Russland wolle den Krieg in Syrien möglichst bald beenden und Assad an der Macht halten.

Am Freitag informiert­e Putin seinen syrischen Kollegen Assad über die Vereinbaru­ngen mit der Türkei. Das teilte der Kreml am Freitagabe­nd in Moskau nach einem Telefonat beider Politiker mit.

Europa bleibt weiter außen vor. Die EU begrüßte zwar die Feuerpause von Idlib. Beim Außenminis­tertreffen in Zagreb wurde die Forderung an Russland laut, Korridore für die Versorgung der Not leidenden Zivilisten in Idlib zu akzeptiere­n. Ob Putin dies zulässt, blieb aber offen. Der Kremlchef ist und bleibt der entscheide­nde Mann, wenn es um die Zukunft von Idlib geht. Selbst bei der Einrichtun­g einer Schutzzone im türkisch kontrollie­rten Teil der Provinz brauche Ankara grünes Licht aus Moskau, sagte Masala.

Eine militärisc­he Beteiligun­g des Westens an der Sicherung einer solchen Zone hält Masala erst recht für unwahrsche­inlich. „Wir werden als EU und als NATO nichts in der Nähe russischer Truppen unternehme­n.“Zudem müsste eine westliche Truppe mit einem Mandat ausgestatt­et werden, das im Extremfall zu Kriegshand­lungen berechtige. Dafür gebe es in Europa keine Mehrheiten.

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FOTO: DPA Der türkische Präsident Erdogan und Russlands Präsident Putin.

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