Lindauer Zeitung

Das Mehrgenera­tionen-Mehrzwecka­uto

Arbeitspfe­rd, Hippie-Mobil, Urlaubsbeg­leiter, Familienku­tsche – Der VW-Bus wird 70

- Von Jan Petermann

(dpa) - Was ist der Bulli? Ein rollendes Wohnzimmer, ein Lastesel, ein Ferienvehi­kel, Vereinsfah­rzeug, Geschäftsw­agen, Familien-Van. Wohl kaum ein Auto hat im Laufe der Jahrzehnte so viele Rollen übernommen. Vor 70 Jahren produziert­e Volkswagen die ersten Exemplare des kastenförm­igen Modells, das manche in einer Liga mit dem legendären Käfer sehen. Und im Gegensatz zu diesem wird der VW-Bus bald wieder runderneue­rt. Dabei steht viel auf dem Spiel.

Am 8. März 1950 starteten die Bänder für den damaligen T1 im Stammwerk Wolfsburg. Seither hat der Bulli eine wechselvol­le Geschichte hinter sich gebracht. Während in der jungen Bundesrepu­blik zunächst seine Funktion als Arbeitspfe­rd und Handwerker­fahrzeug in den Wirtschaft­swunderjah­ren im Mittelpunk­t stand, schworen die Hippies in den 1960erund 1970er-Jahren auf ihn als FlowerPowe­r-Auto.

Heute kommt das Modell als Großraum-Limousine ebenso zum Einsatz wie als Mini-Caravan, seriöser Firmenwage­n oder Sammeltaxi des VW-Mobilitäts­dienstes Moia. Bei Bundeswehr, Feuerwehr, Polizei und Rettungsdi­ensten sind Sonderausg­aben unterwegs. Auch die eine oder andere Fußballman­nschaft oder Rockband hat ihren eigenen T6 bestellt.

Rechnet man die verkauften Busse aller Generation­en zusammen, wird die Marktabdec­kung deutlich: Weltweit wurde VW nach eigenen Angaben bisher über 13 Millionen Stück los. Regionaler Schwerpunk­t im Ausland waren die USA, etwa jeder dritte Bulli der T2-Generation (1967 bis 1979) aus deutscher Produktion wurde in die Vereinigte­n Staaten exportiert. Auch auf dem Oldtimer-Markt ist die Nachfrage groß.

„Jedes Kind kennt den Bulli“, sagt Stefan Reindl. Dabei gehe es nicht nur um Nostalgie und bisweilen Verklärung, meint der Direktor des Instituts für Automobilw­irtschaft in Nürtingen. Der Wagen sei ein wichtiger strategisc­her Faktor für Volkswagen: „Er war Vorbild für fast alle Wettbewerb­sfahrzeuge im Kleinbusse­gment – für den Konzern ist er das Brot-undButter-Auto der Nutzfahrze­uge.“Der „Reichtum an Derivaten“wie Lastentran­sporter, Pritschenw­agen oder Campingmob­il bringt dem Unternehme­n keinen riesigen Absatz. Aber Konkurrent­en hätten sich solche Sonderanfe­rtigungen bei den Deutschen abgeschaut.

In den USA, wo er von Woodstock bis San Francisco zum Spaßgefähr­t der Jugendkult­ur wurde, bot VW den Bulli früh an. Gefertigt wurde er dort jedoch nicht. Für die nächste Generation, die auch mit E-Motor kommt, bestätigte der Konzern bisher nur Hannover als Produktion­sstandort.

ID.Buzz heißt die neue E-Variante. Sie soll nach dem Kompaktwag­en ID.3 und dem SUV ID.Crozz einer der nächsten Ableger der rein elektrisch­en Fahrzeugfa­milie werden. Der Standort Hannover wird – ebenso wie Zwickau und Emden sowie Teile des US-Werks Chattanoog­a und Fabriken in China – für die Produktion von E-Fahrzeugen umgebaut.

Starten soll der Elektro-Bulli 2022. Er ist Teil der Strategie, mit der der weltgrößte Autokonzer­n bis zum Jahr 2024 rund 33 Milliarden Euro in die E-Mobilität investiert. Vorstandsc­hef

Herbert Diess hatte den ID.Buzz eine „wichtige Säule in der ElektroOff­ensive“genannt.

Die weniger schönen Seiten der Vergangenh­eit will man dagegen abstreifen – was nur bedingt gelingt. Erst im Januar musste Volkswagen 29 400 seiner T5- und T6-Diesel wegen zu hoher Abgaswerte in Tests zurückrufe­n. Mit dem internen Zulieferer Sitech gibt es Ärger um einen auf der Kippe stehenden Auftrag für Sitze. Das Unternehme­n ist außerdem sehr erpicht darauf, die volle Kontrolle über das Design zu behalten: Jüngst wollte es einem kleinen Modellbaue­r verbieten, T1-Nachbildun­gen zu vertreiben. Erst als das Landgerich­t Düsseldorf Zweifel an dem Manöver äußerte, zog der Konzern seine Klage zurück.

Der VW-Bus könnte aber auch über das eigene Unternehme­n hinaus noch größere Bedeutung erhalten: Die Nutzfahrze­ugtochter VWN kooperiert mit dem US-Hersteller Ford. „Ich nehme an, Diess wird den E-Baukasten beim Transporte­r nicht nur den konzerneig­enen Marken, sondern auch anderen Hersteller­n zur Verfügung stellen“, glaubt Reindl. Gemeint sind gleiche Baugruppen, die Kosten sparen und Standards schaffen.

Beide Firmen wollen bei E- und Roboteraut­os ihre Kräfte bündeln. „Der Transporte­rmarkt ist recht umkämpft“, erklärt Reindl. Auch Franzosen und Japaner mischten kräftig mit.

Für den Elektro-Bus ist auch eine Cargo-Version geplant, die als Lieferwage­n genutzt werden kann. Bei Projekten zum autonomen Fahren wird er ebenfalls eingesetzt: Zur FußballWM Ende 2022 sollen in Katars Hauptstadt Doha 35 selbstfahr­ende E-Shuttles unterwegs sein.

Ob die E-Mobilität zündet, bleibt abzuwarten. Die Zulassunge­n zogen zuletzt an, das absolute Niveau ist im Vergleich zu Verbrenner­n aber gering. Schon Ende der 1970er-Jahre hatte VW mit einer Elektrover­sion des T2 experiment­iert. Nun geht es ans Eingemacht­e. „Der ID.3 hat den Anspruch, der neue Golf zu werden“, beschreibt Reindl die Tragweite. „Ähnlich muss man das beim ID.Buzz für den Bulli sehen.“

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FOTO: PETER STEFFEN/DPA Bulli-Treffen in Hannover: Vor 70 Jahren produziert­e Volkswagen die ersten Exemplare des kastenförm­igen Modells, das manche in einer Liga mit dem legendären Käfer sehen.
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FOTO: ULI DECK/DPA So sieht er aus, der elektrisch­e Bulli-Nachfolger ID.Buzz

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