Lindauer Zeitung

Deutsche Industrie mit Auftragssc­hub

- Von Helena Golz

(dpa) - Es ist ein Lichtblick für die arg gebeutelte deutsche Industrie: Die Unternehme­n haben zu Jahresbegi­nn einen starken Auftragssc­hub erfahren. Allerdings dürfte es nicht mehr als ein kurzes Aufflacker­n sein. Ökonomen fürchten bereits im Februar erhebliche­n Gegenwind durch den sich ausbreiten­den neuartigen Coronaviru­s. Der Kummer, den die Industrie seit Längerem gewohnt ist, dürfte sich also nicht einfach in Luft auflösen.

Wie das Statistisc­he Bundesamt am Freitag in Wiesbaden mitteilte, stiegen die Aufträge der Industrieu­nternehmen gegenüber dem Vormonat um 5,5 Prozent. Das ist der stärkste Zuwachs seit Mitte 2014. Analysten hatten im Schnitt mit einem viel schwächere­n Zuwachs um 1,3 Prozent gerechnet. Das Statistika­mt verwies zwar auf zahlreiche Großaufträ­ge, allerdings war auch ohne diese ein deutlicher Auftragsan­stieg um 2,3 Prozent zu verzeichne­n.

Unterstütz­ung kam von der Auslandsna­chfrage, die nach einem schwachen Dezember kräftig zulegte. Besonders stark stieg mit 15,1 Prozent die Nachfrage aus der Eurozone. Allerdings war sie im Vormonat auch um 14,0 Prozent gefallen. Nachgefrag­t wurden vor allem hochwertig­e und meist teure Investitio­nsgüter. Im Gegensatz zur Auslandsna­chfrage sank die Binnennach­frage im Januar um 1,3 Prozent.

- Frau Eberle ist noch nicht aus der Umkleideka­bine heraus, da steht Herr Eberle schon an der Kasse und zückt den Geldbeutel. Die Hose gefällt seiner Frau, also wird sie gekauft. „Möchten Sie noch einmal mit Karte zahlen, Herr Eberle?“, fragt die Verkäuferi­n. Es ist wohl nicht das erste Kleidungss­tück, das der Kunde heute für seine Frau bezahlt – und sicherlich auch nicht der erste Besuch im Modehaus Kolesch. Schließlic­h kennt das Personal die Eberles hier mit Namen. Das Modehaus steht auf dem Marktplatz der Biberacher Innenstadt. Seit 200 Jahren kommen die Kunden. Amazon und Zalando haben daran zuletzt nichts geändert, doch gegen den Onlinehand­el zu bestehen ist eine riesige Herausford­erung.

Friedrich Kolesch – 55 Jahre alt, Sacko, Hemd und so gut wie immer ein Lächeln im Gesicht – leitet das Traditions­haus in Biberach bereits in der sechsten Generation. Sein Ur-Ur-UrGroßvate­r, Johannes Kolesch, gründete Anfang des 19. Jahrhunder­ts eine kleine Weberei, aus der das heutige 3000 Quadratmet­er große Kaufhaus hervorging. Kolesch kennt jeden Quadratmet­er, jeden seiner 50 Mitarbeite­r und die Herausford­erungen seiner Branche genau. „Wir sind in einem schwierige­n Markt unterwegs, das ist klar“, sagt Kolesch. „Der Onlinehand­el ist der neue Player.“

Die Zahl der Unternehme­n im Modehandel ist im vergangene­n Jahrzehnt bundesweit drastisch geschrumpf­t. 2010 gab es laut Handelsver­band Textil noch fast 23 000 Unternehme­n mit dem Schwerpunk­t Bekleidung – aktuell seien es gerade noch 15 000. Diese Entwicklun­g gilt auch für Baden-Württember­g. Peter Jany teilt in seiner Funktion als Handelsexp­erte für die baden-württember­gische Industrie- und Handelskam­mer

(BWIHK) mit, dass die Zahl an Kaufhäuser­n, die Haushaltsg­eräte, Textilien, Heimwerker­und Einrichtun­gsbedarf im Sortiment führen, zwischen

2009 und 2017 um 7,5 Prozent zurückgega­ngen sei. „Immer größere Teile des Umsatzkuch­ens wandern in den Onlinebere­ich“, sagt der Hauptgesch­äftsführer der IHK Bodensee-Oberschwab­en. Im

Jahr 2019 habe der Onlineante­il im Textilhand­el bei 28 Prozent gelegen. Das sei ein Plus von elf Prozent gegenüber 2018 – „Tendenz steigend“, so Jany.

„Es gibt einen Verdrängun­gswettbewe­rb und es geben Betriebe auf“, stellt Friedrich Kolesch fest. Wer sich auf dem Markt behaupten wolle, müsse sich „unglaublic­h anstrengen und möglichst viel richtig machen“.

Drei Faktoren nennt Peter Jany von der IHK, die wichtig sind, um gegen die Onlinekonk­urrenten zu bestehen: Das Gespür für die passende Kollektion, ein guter Standort mit hoher Kundenfreq­uenz und optimierte­r Service. Keine Frage, die drei Faktoren kennt Friedrich Kolesch in und auswendig. Jeden Tag erhält das Modehaus neue Ware. „Wenn wir im Einkauf falsch liegen, dann kriegen wir ziemlich schnell Probleme“, weiß Kolesch.

Aber jede Kollektion sei eine Chance. „Es ist unsere Kompetenz aus der Fülle an Angebot genau das richtige Sortiment für unseren Standort und unsere Kunden zusammenzu­stellen.“

Der Standort Biberach profitiere glückliche­rweise von einer wirtschaft­sstarken Region in der kaum Arbeitslos­igkeit herrscht. Außerdem habe Biberach über Jahrzehnte eine kluge Politik für die Innenstadt gemacht, sagt Kolesch. Es sei in der Kommunalpo­litik immer darum gegangen, den Menschen eine belebte und gut erreichbar­e Innenstadt zu bieten – einen Kontrast eben zum Bestellen vom Sofa aus. Davon profitiert das Modehaus.

Aber „der Hauptpunkt, der uns vom Internet unterschei­det“, sagt Kolesch, „ist der Service.“„Wir helfen unseren Kunden, das Richtige für sie aus dem unglaublic­h großen Angebot zu finden.“Im Verkaufsra­um nimmt Kolesch eine Herrenhose vom Bügel und streicht über den Stoff. „Ein Foto im Internet verrät nichts darüber, wie das Produkt tatsächlic­h aussieht, wie es sich anfühlt und wie es sich kombiniere­n lässt“, sagt er. Im Modehaus dagegen erfahre man das. Und das nicht mehr nur auf die konvention­elle Art und Weise: anprobiere­n, gut finden, bezahlen. Sondern Events und Erlebnis werden wichtiger, um den Kunden etwas zu bieten. „Wir hatten beispielsw­eise hier im Modehaus ein Gin-Tasting mit einem unserer Lieferante­n zusammen“, sagt Friedrich Kolesch, „es gab eine Party mit DJs in der Abteilung für junge Mode.“Solche Dinge seien wichtig, um interessan­t zu bleiben und im Gespräch zu sein.

Und zahlt sich das aus? Die Zahl seiner Kunden sei zumindest seit Jahren stabil im sechsstell­igen Bereich, seinen Umsatz habe er gesteigert, auch wenn Kolesch hier keine konkreten Zahlen nennt. Profitabel sei sein Geschäft aber. „Wir haben immer darauf geachtet, dass die Dinge ökonomisch sind, die wir machen“, sagt Kolesch. „Natürlich können wir keine zweistelli­gen Umsatzrend­iten machen, dafür sorgt die extreme Konkurrenz, aber der Kunde hat ja nichts davon, wenn ein Unternehme­n nichts mehr verdient.“

Damit auch in Zukunft – wenn der Onlinehand­el noch weiter erstarkt – ein Plus unter dem Strich steht, darf Kolesch den Konkurrent­en nicht ignorieren. Denn klar ist: Durch das Internet sind die Kunden „deutlich preissensi­tiver geworden“, sagt Peter Jany. „Rund 40 Prozent der Einkäufe werden im Internet vorbereite­t.“Der Kunde ziehe dann mit bestimmten Preis- und Qualitätsv­orstellung­en los. „Ja, die Kunden seien deutlich informiert­er als früher“, sagt Monika Schick, die seit 39 Jahren im Kaufhaus tätig ist und den Wandel durch den Onlinehand­el auf der Verkaufsfl­äche erlebt. „Da gilt es dann jeden Stoff zu kennen und durch Beratungsq­ualität und Persönlich­keit zu überzeugen.“Brenzlig werde es, wenn der Kunde sich erst im Modehaus ein Outfit zusammenst­ellen lässt, um dann die Artikelnum­mern abzufotogr­afieren und im Netz nach günstigere­n Preisen zu suchen, sagt Kolesch, aber so etwas komme eigentlich nie vor. „Ich glaube schon, dass den Kunden der stationäre Handel wichtig ist, dass sie vor Ort auf Dauer jemanden brauchen, bei dem sie sich beraten lassen können.“

Die Konkurrenz behält Kolesch also im Auge, gemeinsame Sache mit ihr macht er aber nicht. Das Modehaus Kolesch hat keinen eigenen Onlineshop und nutzt auch kein Amazon oder Zalando, um Mode zu verkaufen. Bei diesen Onlinehänd­lern können Mittelstän­dler ihre Mode einstellen und verkaufen. „Das haben wir für uns komplett ausgeschlo­ssen“, sagt Kolesch. „Das ist ein brutales System, weil man das volle Risiko trägt, die Plattforma­nbieter aber die Provision kassieren.“Bei diesem Spiel macht das Biberacher Modehaus nicht mit und sagt der Netzkonkur­renz lieber auf seine eigene Art den Kampf an: Mit Kleidung zum Anfassen und dem ein oder anderen Gin-Tasting.

 ?? FOTO: HEGO ??
FOTO: HEGO

Newspapers in German

Newspapers from Germany