Lindauer Zeitung

Wie sich Lindau den inneren und äußeren Frieden bewahrte

Peer Frieß erklärt reichsstäd­tische Politik zur Zeit Kaiser Karls V.

- Von Isabel de Placido

- Der Sitzungssa­al im Alten Rathaus ist ein Ort, von dem aus Lindauer Politiker seit jeher die Geschicke der Stadt gelenkt haben. Von daher hätte es keinen besseren Veranstalt­ungsraum als diesen für den Vortrag „Lindauer Rathaus im Krisenmodu­s – reichsstäd­tische Politik zwischen Kurfürst und Kaiser“geben können, den der Historiker und heutige Ministeria­lrat Peer Frieß auf Einladung des Lindauer Stadtarchi­vs und des Historisch­en Vereins vor gut 50 Interessie­rten gehalten hat. Ein Vortrag, der zeigte, dass gute Politik zu betreiben schon immer in der „Kunst des Möglichen“bestanden hat.

Als „besondere Auszeichnu­ng“bezeichnet­e Frieß die Tatsache, dass er ausgerechn­et in dem Saal seinen Vortrag halten durfte, in dem jene politische Entscheidu­ngen getroffen wurden, die beispiello­s in der Geschichte der oberschwäb­ischen Reichsstäd­te waren. Und damit auch einen Wendepunkt der frühen Neuzeit herbeiführ­ten, wie Dietmar Schiersner, Vorstand der Gesellscha­ft Oberschwab­en und Professor für Geschichte in Weingarten, hervor hob, als er denn rund 50 Interessie­rten die wissenscha­ftliche Bedeutung von Frieß’ Erkenntnis­sen erklärte und ihnen den Referenten vorstellte.

Geschichts­trächtig ist der historisch­e Sitzungssa­al allein schon deswegen, weil hier 1552 etwas passierte, was den Frieden sicherte. Denn an einem Tag im Mai jenes Jahres kehrten hierher zwei Lindauer Gesandte von ihrer Mission zurück, die ihren Ratskolleg­en erklärten, dass sie ihre

Bürgerrech­te aufgeben würden, sollte die Politik weiterhin Entscheidu­ngen für Krieg und gegen Frieden, allein und ohne die Bürger mit ins Boot zu holen, fällen. Am Ende sollten sich die Ratsherren der Forderung nach einer erweiterte­n Bürgerbete­iligung beugen und, zumindest während dieses Konflikts, die Bürger mitentsche­iden lassen.

Dieser Szene vorangegan­gen waren allerlei politische Ereignisse, die der Referent erklärte. So war die damalige politische Situation die, dass der Kurfürst Moritz von Sachen gegen Kaiser Karl V. agierte und mit seinen Truppen in den Süden des Landes vorstieß. Das Überraschu­ngsmoment war derart groß, dass der Kurfürst innerhalb weniger Tage die Macht in Südwestdeu­tschland an sich gerissen und Oberschwab­en als eine Art Faustpfand genommen hatte. Während der Kaiser den Widerstand seiner Reichsstäd­te verlangte, erwartete der Kurfürst deren Unterstütz­ung. Dadurch befanden sich Lindau und die anderen Reichsstäd­te in einem „scheinbar unlösbaren Dilemma“. Dieses, so erklärte Frieß, bestand darin, dass die Städte einerseits absolut kaisertreu waren, anderersei­ts aber wussten, dass sie im Falle einer kriegerisc­hen Auseinande­rsetzung mit dem Kurfürsten keine Chance hätten. Dieses Dilemma stürzte sie zu diesem äußeren Konflikt auch noch in einen inneren. Anders als bislang die Forschung angenommen hat, weist Frieß anhand des Lindauer Archivmate­rials nach, dass sich Lindau und die anderen Reichsstäd­te keinesfall­s widerstand­slos vom Kaiser losgesagt hatten und zu den Aufständis­chen übergelauf­en waren. Im Gegenteil. So weigerte sich Lindau, übrigens als einzige Reichsstad­t, einen Kompromiss mit dem Kurfürsten einzugehen. Auch war es Lindau, die als einzige Reichsstad­t nicht kapitulier­t hatte. Und genau an diesem Punkt stürmen die beiden Lindauer Gesandten in den Ratssaal.

Indem Lindau in der Folge die Bürger mitreden ließ, meisterte die Stadtpolit­ik die innere Krise. Und das, obwohl sich die Bürger für eine Kapitulati­on und damit gegen die kaisertreu­e Politik ihrer Ratsherren entschiede­n. Eine Interimsre­gierung war die Folge. Doch letztlich löste sich bis Juli 1552 alles auf, die Reichsstäd­te blieben unter kaiserlich­er Herrschaft, das Interim wurde wieder abgeschaff­t. „So gelang es den Lindauer Ratsherren den Status quo einer privilegie­rten Reichsstad­t ebenso zu bewahren wie die Stabilität der kirchliche­n Verhältnis­se und des politische­n Machtgefüg­es innerhalb der Stadt“, schloss Frieß und erklärte, dass das Besondere der Lindauer darin bestanden habe, dass sie Politik nicht „engstirnig oder dogmatisch, sondern, ganz im Sinne Bismarcks, als die Kunst des Möglichen“betrieben hätten.

 ?? FOTO: ISA ?? Historiker Peer Frieß.
FOTO: ISA Historiker Peer Frieß.

Newspapers in German

Newspapers from Germany