Sattmann: Der „Schwarze Mann“war überall
Der Schauspieler erinnert sich an einen sadistischen Häfler Geistlichen am GZG
- Mit zehn Jahren ist Peter Sattmann nach Friedrichshafen gekommen, die Erfahrungen am Graf-Zeppelin-Gymnasium der 60er-Jahre haben ihn wieder vertrieben. Und trotzdem sagt er, dass Friedrichshafen seine Heimat ist. In seiner Biografie schreibt er darüber. Aber auch über den „Schwarzen Mann“, einen offenbar sadistischen und pädophilen Pfarrer der Canisius-Kirche. An dieser Stelle unterläuft Sattmann jedoch ein Fehler.
1947 in Zwickau geboren, kommt der spätere Schauspieler Peter Sattmann als Zehnjähriger in diese Stadt und lernt sie lieben. Den See, die Umgebung, die Menschen hier. „Wäre da nicht der ,Schwarze Mann’“, schreibt er schon auf Seite 53 seiner Autobiografie, die jetzt unter dem Titel „Das Leben ist kein Drehbuch“im Droemer Verlag erschienen ist.
Zuvor widmet er das Kapitel „Wenn ich den See seh, brauch ich kein Meer mehr“der Stadt und dem See. Den will er nicht in seiner Faszination, seine Ufer nicht in ihrem Zauber und die Orte am Ufer nicht in ihrer Schönheit beschreiben, er will sich auf das Wichtigste beschränken. Und doch gibt er mit dieser kurzen Einleitung eine erste Liebeserklärung ab. Er will „sich hüten“, all das zu erzählen, was andere wohl vom See erzählen. Würde er sich angesichts seiner wunderbar lebendigen und bildhaften Erzählweise doch auch nur zu schnell darin verstricken, nur noch von diesem See zu erzählen. Das Wichtigste wird es also.
Und dabei geht es, wie eigentlich im ganzen Buch, um seine ganz persönlichen Erfahrungen mit der jeweiligen Umgebung. Es ist ein Vergnügen, das zu lesen, noch mehr, mit ihm darüber zu sprechen. „Ich wäre beinahe vor ein paar Jahren an den See gezogen. An der Idiotenrennbahn in Friedrichshafen hat mich eine Wohnung gelockt“, erzählt er am Telefon. Mit „Idiotenrennbahn“meint er die Seestraße.
Aus der Wohnung wurde jedoch nichts. Trotzdem sei Friedrichshafen seine Heimat, schließlich habe er hier seine Pubertät verbracht, habe am Romanshorner Strand mit Schulkollegen nackt gebadet mit Sand im Hintern, habe den Säntis mehrfach bestiegen, habe Musik mit Freunden auf der Bühne machen dürfen und sei gerne hier gewesen. „Bis auf die
Schule habe ich auch nur gute Erinnerungen an diese Stadt“, verrät er.
Die Schule: zuerst die Volksschule, danach das Graf-Zeppelin-Gymnasium. Der „Schwarze Mann“sei überall gewesen. Dem Pfarrer Anfang der 60er-Jahre in der Gemeinde St. Canisius habe man nicht entkommen können. Seine erste Begegnung mit ihm hatte Peter Sattmann in der Pestalozzi-Schule, der Volksschule, die so katholisch gewesen sei, „dass sie zwei Eingänge benötigte. Einen für die Jungs und einen für die Mädchen.“Im Unterricht meldet sich Sattmann am ersten Tag mit dem Finger schnipsend und gibt auch gleich die Antwort. Er wird vom Pfarrer dafür mit dem Lineal geschlagen. Sattmann wehrt sich, beide verlieren das Gleichgewicht und er findet sich vor dem Direktor wieder.
Der befiehlt ihm, die Hose, auch die Unterhose, herunter zu ziehen, und sowohl Pfarrer wie Direktor schlagen abwechselnd jeweils zehn mal mit dem Stock zu.
Bis 1964 war es in der Bundesrepublik Lehrern erlaubt zu schlagen. Drei Jahre später macht Sattmann eine Erfahrung mit dem „Schwarzen Mann“, die er erst jetzt erzählt. Namen nennt er nicht. Es muss das Jahr 1960 sein. Von den Schlägen haben Peter Sattmanns Eltern nie erfahren. „Ich habe die Schuld vielleicht bei mir gesucht. Ich glaube aber, dass mein Vater, hätte er von den Misshandlungen seines Sohnes erfahren, in der Schule eine Bombe gelegt hätte.“Jetzt soll er Ministranten-Unterricht
bekommen, wieder beim „Schwarzen Mann“.
Den beschreibt er in seinem Buch folgendermaßen: „Am Ende des Unterrichts gehen wir immer auf den Dachboden, wo er uns anhält, Blinde Kuh zu spielen. Ich weiß nicht wie Sie blinde Kuh gespielt haben (...) Seine Spielregel aber wird ganz anders sein. Er wird uns allen die Augen verbinden und uns alle auf allen Vieren über den Dachboden scheuchen. Eine Herde blinder Kühe. Das wird für eine Menge Erheiterung sorgen. Denn wir werden immer wieder mit den Köpfen zusammenstoßen oder auch plötzlich den Hintern des anderen im Gesicht spüren. Am Ende der zweiten Woche wird mir bei dieser Gelegenheit die Binde von den Augen rutschen und kurz den Blick freigeben. Er sitzt, mit dem Rücken an die Schräge des Dachs gelehnt, auf dem Boden und onaniert. Sein Gesicht ist rot wie das des Teufels, seine Augen und seine Mundwinkel verraten satanische Freude.“
Warum er das nie erzählt hat, weiß er nicht. Er habe es auch nie seinen Eltern erzählt. Nur hier und da unter Freunden. Öffentlich schreibt er zum ersten Mal in diesem Buch darüber. Zum Ministrantenunterricht ist er nie wieder gegangen.
Im Buch beschreibt Sattmann den Pfarrer als „Stadtpfarrer von Canisius“. Das aber ist falsch. Unsere Nachforschungen haben ergeben, dass es in der besagten Zeit zwei Stadtpfarrer gab und es sich bei dem „Schwarzen Mann“, dessen Namen Sattmann öffentlich nicht nennt, den wir aber kennen, um einen in den Schuldienst versetzten Pfarrer handelte. Einen solchen gab es damals in Friedrichshafen, auch die Diözese RottenburgStuttgart bestätigt das. Sollte Sattmann öffentlich einen Namen nennen, würde das Bistum tätig und Ermittlungen anstellen. So jedoch sei das nicht möglich, so der Sprecher der Diözese. Sowohl die Diözese wie auch Dekan Bernd Herbinger, leitender Pfarrer in der Seelsorgeeinheit Friedrichshafen-Mitte, legen Wert auf die Festellung, dass es sich bei dem von Sattmann beschriebenen Pfarrer nicht um einen Häfler Stadtpfarrer handelte. Peter Sattmann bedauert diesen Fehler. „Das ist schade, der ,Schwarze Mann’ war sehr präsent, ich habe keinen anderen Pfarrer wahrgenommen“, sagt er.
Nach dieser Geschichte beginnen die restlichen fünf Sechstel des Buches. Und die sind nicht minder lesenswert, aufschlussreich und sehr bildhaft geschrieben. Peter Sattmann erzählt die Geschichten, die er als wert genug betrachtete, sie weiterzuerzählen. Es sind Initialzündungen in seinem Leben, Ereignisse, die eine Wende bringen, die ihn bestätigen oder widerlegen.
Es sind Momente, die sein Leben bestimmten. Er nennt diese Augenblicke „Zeitpfeiler“. Und sein Buch wird getragen von diesen Pfeilern, steht damit auf einem soliden und belastbaren Fundament und bietet die Bühne für die Kämpfernatur Peter Sattmanns.