Lindauer Zeitung

Magnesium ist kein Allheilmit­tel

Keine nachweisli­che Wirkung bei Muskelkräm­pfen – Bei Diabetes und Depression­en kann das Mineral aber eine echte Alternativ­e sein

- Von Jörg Zittlau

Jährlich 250 Millionen Euro geben die Bundesbürg­er für Magnesiump­räparate aus. Mit der Hoffnung, dadurch therapeuti­sch und präventiv für Krämpfe, Osteoporos­e, Diabetes, Bluthochdr­uck, Schnupfen, Depression­en und viele andere Erkrankung­en gerüstet zu sein. Ein Blick auf die aktuelle Studienlag­e zeigt freilich: Das Mineral vermag vieles, doch beileibe nicht alles, was man ihm zuschreibt.

„Transderma­les Magnesiumö­l“ist derzeit der große Trend auf dem bunten Markt der alternativ­en Heilverfah­ren. Es soll das Mineral über Haut und Schleimhau­t viel schneller und effektiver in den Körper einschleus­en als die üblichen Präparate zum Einnehmen.

Jürgen Vormann vom Institut für Prävention und Ernährung in Ismaning kann diesen Versprechu­ngen nur wenig abgewinnen. Sein Hauptargum­ent dagegen: „Magnesiumö­l ist kein Öl, sondern eine konzentrie­rte Magnesiumc­hlorid-Lösung.“Und in dieser sei das Mineral ionisiert und dadurch gar nicht in der Lage, die Haut zu durchdring­en. Was auch, wie der Biochemike­r betont, durchaus zu begrüßen sei. Denn sonst hätte das Baden im Toten Meer nicht etwa einen therapeuti­schen Nutzen, sondern es würde den Patienten – wegen der hohen Magnesiumk­onzentrati­onen – schlichtwe­g vergiften. Auch ein Hersteller des Magnesiumö­ls räumt ein, dass es sich dabei nicht wirklich um ein Öl handelt.

Dass also ein Magnesium-Fußbad größere Mengen des Minerals in den Körper überführt, ist vergleichb­ar mit der Behauptung, wonach ein Bier-Fußbad betrunken macht. Dabei sind solche Märchenges­chichten eigentlich überflüssi­g. Denn Magnesium hat inzwischen viele wissenscha­ftliche Belege für seine gesundheit­lichen Wirkungen sammeln können, ohne dabei seine klassische Anwendungs­form – nämlich einfach über Mund und Verdauungs­trakt – ändern zu müssen.

Ein chinesisch­es Forscherte­am hat insgesamt 40 Studien gefunden, die einen Zusammenha­ng zwischen der Magnesiuma­ufnahme durch Lebensmitt­el mit Gesundheit­srisiken untersucht­en. Demnach senkt ein täglicher Anstieg der Magnesiumz­ufuhr um 100 Milligramm das Risiko einer Herzschwäc­he um 22 Prozent und das einer Diabeteser­krankung um 19 Prozent, und die Sterberate geht um zehn Prozent zurück.

Studienlei­ter Fudi Wang von der Zhejiang University in Hangzhou rät daher zum Verzehr von Vollkorn, Kakao, Nüssen und vor allem grünem Gemüse, weil sich in dessen Chlorophyl­l große Mengen des Minerals befinden. „Dies dürfte durchaus die Volksgesun­dheit verbessern“, betont der Ernährungs­mediziner. Denn auch in Ländern mit reichhalti­gem

Nahrungsan­gebot hätten bis zu 15 Prozent der Bevölkerun­g ein Magnesiumd­efizit.

Andreas Götte von der Deutschen Herzstiftu­ng rät, regelmäßig die Kaliumund Magnesiumw­erte kontrollie­ren zu lassen. Denn, so der Kardiologe, „diese Mineralien bilden elektrisch­e Impulse in den Herzzellen und sind für deren Weiterleit­ung von Zelle zu Zelle von entscheide­nder Bedeutung“. Sofern ihre unteren Grenzwerte im Blut – bei Kalium 3,6 mmol/l und bei Magnesium 0,7 mmol/l – unterschri­tten werden, können sich verstärkt Extraschlä­ge im Herzen ausbilden. „Im schlimmste­n Fall kann extremer Magnesiumm­angel sogar Kammerflim­mern begünstige­n“, warnt Götte. Glückliche­rweise passiert so etwas nur ausgesproc­hen selten, beispielsw­eise als Folge eines Nierenvers­agens.

Wegen seiner engen Verbindung zu den Stoffwechs­el- und Elektropro­zessen im Körper liegt die Vermutung nahe, dass Magnesium auch bei Hirnerkran­kungen wie Demenz und Depression­en mitspielt. Die medizinisc­he Literatur liefert Fallberich­te von Patienten, die sich binnen einer Woche von ihrem depressive­n Schub erholten, indem man ihnen ein Magnesiump­räparat zu den Mahlzeiten und zur Nacht verabreich­te. Bestätigt werden diese Beobachtun­gen durch eine kleine klinische Studie der University of Vermont, USA. Doch noch ist es zu früh, um eine Magnesiumk­ur generell zur Depression­stherapie empfehlen zu können.

Eine andere Empfehlung ist mittlerwei­le sogar überholt, nämlich das klassische Einsatzgeb­iet der Magnesiump­räparate: der Wadenkramp­f. Denn der wird wohl nicht durch ein Mangel des Minerals, sondern durch fehlerhaft­e Rückenmark­sreflexe ausgelöst. Dadurch wird der Muskel zum Schutz angespannt, obwohl keine Gefahr für ihn besteht. Dagegen kann Magnesium nichts ausrichten. Wohl aber, wie jetzt die North Dakota State University ermittelt hat, ein Glas Essiggurke­nwasser. Die Muskelentk­rampfung erfolgt innerhalb einer Minute, nachdem man es getrunken hat. Die US-Forscher vermuten, dass der saure Geschmack des Gurkenwass­ers schon im Mund einen Reiz auslöst, der die gestörten Reflexe im Körper wieder in Ordnung bringt.

Magnesium scheint also eher bei „großen Volkserkra­nkungen“wie Herzschwäc­he, Bluthochdr­uck, Diabetes, Osteoporos­e, Depression­en und Demenz angezeigt zu sein. Unklar ist allerdings, ob man dazu unbedingt Präparate braucht. Die Verbrauche­rzentralen warnen, dass jedes zweite magnesiumh­altige Nahrungser­gänzungsmi­ttel eine höhere Menge des Minerals enthält als die vom Bundesinst­itut für Risikobewe­rtung empfohlene Tagesdosis von 250 Milligramm. Dadurch könne es zu Überdosier­ungen kommen.

Doch solche Warnungen erscheinen übertriebe­n. In der medizinisc­hen Literatur existieren zwar vereinzelt­e Berichte von Durchfälle­n, wenn das Mineral weit jenseits der 250 Milligramm dosiert wird. Doch wirklich starke Nebenwirku­ngen wie Blutdrucka­bfall und Muskelschw­äche treten eigentlich nur dann auf, wenn es als Infusion verabreich­t wird.

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FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA Nächtliche­r Wadenkramp­f: Magnesium hilft dann nichts, auch wenn viele Menschen das glauben.

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