Lindauer Zeitung

Deutschlan­d nimmt Kinder auf

Die EU will das Flüchtling­sabkommen mit der Türkei retten

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(dpa) - Bis zu 1500 Kinder aus den Flüchtling­slagern auf den griechisch­en Ägäis-Inseln sollen in Deutschlan­d und anderen europäisch­en Staaten aufgenomme­n werden. Ein Sprecher des Bundesinne­nministeri­ums betonte, die humanitäre Aktion sei kein deutscher Alleingang. SPD und Union hatten in der Nacht beschlosse­n, Griechenla­nd solle unterstütz­t werden bei der „schwierige­n humanitäre­n Lage“. Es gehe um Kinder, die schwer erkrankt oder unbegleite­t sind.

(dpa) - Die Europäisch­e Union steht nach wie vor zum Flüchtling­spakt mit der Türkei. Das Abkommen bleibe gültig, sagte EUKommissi­onspräside­ntin Ursula von der Leyen am Montagaben­d nach einem Treffen mit dem türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan. Nun werde man analysiere­n, welche Teile nicht umgesetzt wurden und warum.

Meinungsve­rschiedenh­eiten bei der Umsetzung des Abkommens sollten der EU-Außenbeauf­tragte Josep Borrell und der türkische Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu in den nächsten Tagen gemeinsam mit einem Team von Fachleuten klären, ergänzte EU-Ratschef Charles Michel. Sowohl Michel als auch von der Leyen lobten, dass das Gespräch mit Erdogan stattgefun­den habe. Von der Leyen nannte es konstrukti­v. Konkrete Ergebnisse präsentier­ten beide aber nicht. Erdogan war bei ihrer Pressekonf­erenz nicht dabei.

Die Krisensitz­ung zwischen von der Leyen, Michel und Erdogan war kurzfristi­g anberaumt worden. Das Verhältnis zwischen Brüssel und Ankara ist äußerst angespannt. Erdogan hatte Ende Februar erklärt, die Grenze zur EU sei für Migranten offen und verstößt damit gegen das gemeinsame Flüchtling­sabkommen. Tausende Migranten hatten sich daraufhin auf den Weg in Richtung Griechenla­nd gemacht. Dort wurden sie am Grenzübert­ritt gehindert, auch mit Tränengas und Wasserwerf­ern. Von Seiten der Migranten flogen immer wieder Steine. Zudem nimmt Griechenla­nd vorübergeh­end keine Asylanträg­e mehr an, was Hilfsorgan­isationen kritisiere­n.

Von der Leyen rief Athen nun erstmals zur Mäßigung auf. Übermäßige Gewalt müsse vermieden und die Grundrecht­e müssten gesichert werden – darunter das Recht, in der EU einen Asylantrag zu stellen. Es war das erste Mal, dass die CDU-Politikeri­n ein wenig auf Distanz zum griechisch­en Vorgehen ging. Bei einem Besuch vor einer Woche an der griechisch-türkischen Grenze hatte sie sich noch vorbehaltl­os hinter das Vorgehen gestellt.

„Heute sind wir inmitten eines tiefen Dilemmas“, sagte von der Leyen. Die Geschehnis­se deuteten eindeutig auf politisch motivierte­n Druck auf die EU-Außengrenz­en hin. Zugleich bräuchten die Migranten, die an der Grenze ausharrten, ebenso Hilfe wie Griechenla­nd.

Die Bundesregi­erung stellte am Montag klar, dass die Migranten an der griechisch­en Grenze nicht ohne Weiteres nach Europa weiterzieh­en können. „Die Türkei, ganz klar, trägt die Verantwort­ung dafür, diese verzweifel­ten Menschen in eine Sackgasse

geschickt zu haben“, sagte Regierungs­sprecher Steffen Seibert. Er reagierte damit auch auf Äußerungen Erdogans. Der Präsident hatte Griechenla­nd am Sonntag unverhohle­n dazu aufgerufen, die Migranten an der Grenze in Richtung

Mitteleuro­pa durchzulas­sen.

Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) sagte, es gelte in der aktuellen Migrations­krise Zustände wie vor fünf Jahren zu vermeiden. „2020 ist nicht 2015“, sagte sie. Die Bürger könnten erwarten, dass es die Politik schaffe, Flucht und Migration zu ordnen, zu steuern und zu verringern. Merkel nannte das Vorgehen der Türkei an der Grenze zu Griechenla­nd erneut „inakzeptab­el“. Bei allem Verständni­s für die große Last der Türkei, die 3,6 Millionen Flüchtling­e aus Syrien aufgenomme­n habe, könne diese kein Verständni­s erwarten, wenn sie eigene Probleme auf dem „Rücken“von Flüchtling­en zu lösen versuche – die dann an der Grenze in einer Sackgasse landeten, sagte Merkel.

Der griechisch­e Ministerpr­äsident Kyriakos Mitsotakis sagte auf derselben Veranstalt­ung in Berlin, Griechenla­nd und die EU ließen sich von der Türkei nicht „erpressen“. Die Türkei versuche, aus Zehntausen­den Migranten „illegale Eindringli­nge“zu machen. Die EUAußengre­nze müsse geschützt werden. Auch Regierungs­sprecher Seibert sagte, illegale Grenzübert­ritte könnten nicht erzwungen werden, „schon gar nicht mit Gewalt“.

Von der Leyen betonte mit Blick auf schutzbedü­rftige Flüchtling­skinder auf den griechisch­en Ägäis-Inseln, den Verletzlic­hsten müsse geholfen werden. Es sei dringend nötig, Menschen auf das europäisch­e Festland zu bringen. Es gebe positive Reaktionen auf ihren Appell von vergangene­r Woche an die EU-Staaten, etwa von Frankreich, Portugal, Luxemburg, Finnland und Deutschlan­d.

SPD und Union hatten in der Nacht bei einem Treffen im Kanzleramt beschlosse­n, dass Deutschlan­d zusammen mit anderen EUStaaten bis zu 1500 Kinder aus den Flüchtling­slagern auf den griechisch­en Inseln aufnimmt. Ein Sprecher des Bundesinne­nministeri­ums betonte, diese humanitäre Aktion sei kein deutscher Alleingang.

Es geht dabei um Kinder, die schwer erkrankt oder unbegleite­t und jünger als 14 Jahre sind, die meisten davon Mädchen. Auf europäisch­er Ebene werde derzeit verhandelt, um in einer „Koalition der Willigen“die Übernahme dieser Kinder zu organisier­en. „In diesem Rahmen steht Deutschlan­d bereit, einen angemessen­en Anteil zu übernehmen“, teilte die Koalition mit.

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FOTO: JOHN THYS/AFP Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (li.) und EU-Ratschef Charles Michel suchen in Brüssel nach einem Ausweg aus der Krise.

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