Lindauer Zeitung

Schutzschi­ld gegen Pharma-Fälschunge­n

Seit einem Jahr sind Arzneimitt­el doppelt geschützt – Was das Verbrauche­rn gebracht hat

- Von Sebastian Heinrich

- Gefälschte Arzneimitt­el sind gefährlich für die Gesundheit von Patienten – und sie sind weit verbreitet. Über 500 000 Packungen mit gefälschte­n medizinisc­hen Produkten haben die EU-Zollbehörd­en 2017 beschlagna­hmt. Um Verbrauche­r besser vor Fälschunge­n zu schützen, gilt seit Februar 2019 in der gesamten EU eine Fälschungs­schutzrich­tlinie. Und um die umzusetzen, gibt es in Deutschlan­d seither das Anti-Fälschungs­system Securpharm. Im Süden sind die Erfahrunge­n damit unterschie­dlich gut.

Securpharm sieht vor, dass erstens auf jeder Arzneimitt­elpackung wichtige Medikament­endaten aufgedruck­t sind – in Klarschrif­t und in einer verschlüss­elten Matrix. Apotheker scannen diese Matrix, die Daten werden mit einem nationalen Verifikati­onssystem abgegliche­n. Zweitens ist an jeder Packung ein Erstöffnun­gsschutz angebracht, der nachweist, dass die Packungen unversehrt sind.

Laut dem Verein Securpharm e.V., der für das System verantwort­lich ist und dem Apotheker- und Pharmaverb­ände angehören, ist das AntiFälsch­ungssystem ein Erfolg. Täglich werden demnach inzwischen über sechs Millionen Arzneimitt­el über Securpharm geprüft. Securpharm ist in ein europäisch­es Netzwerk eingebunde­n: In 25 weiteren EU-Staaten sowie Norwegen, Island und Liechtenst­ein, gibt es seit vergangene­m Jahr vergleichb­are Systeme. Doch regelmäßig gibt es bei dem System Probleme wie Fehlalarme und Systemausf­älle. Manche Apotheker beklagen einen erhebliche­n Mehraufwan­d. Und es bleibt umstritten, ob Securpharm wirklich gegen Arzneimitt­elfälschun­g wirkt.

Stichwort Fehlalarme: Allein in Baden-Württember­g hat es laut einer Antwort des Gesundheit­sministeri­ums auf eine Anfrage von SPD-Abgeordnet­en im Landtag bis Dezember 2019 60 Fehlalarme gegeben. Seither waren es durchschni­ttlich zwei bis drei pro Woche, wie das Ministeriu­m auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“mitteilt. In Bayern wird die Zahl der Fälschungs­verdachtsf­älle nicht vom Landesgesu­ndheitsmin­isterium erfasst. Laut dem Bundesverb­and der pharmazeut­ischen Industrie (BPI) sind der Grund für die Fehlalarme vor allem Fehler beim Abgleich der per Matrix auf der Medikament­enpackung abgedruckt­en Daten mit denen im Verifikati­onssystem. Alle Beteiligte­n arbeiteten daran, das Problem zu lösen, heißt es vom BPI und von der Landesapot­hekerkamme­r Baden-Württember­g.

Ein weiteres Problem ist der erhebliche zusätzlich­e Zeitaufwan­d, den Securpharm für Apotheker bedeutet. Unter anderem das pharmazeut­ische Fachportal „DAZ.online“berichtet regelmäßig über Komplettau­sfälle des Systems. Außerdem verzögert sich die Übertragun­g der Daten von der Apotheke zum nationalen Verifikati­onssystem oft erheblich. Der gesundheit­spolitisch­e Sprecher der SPD-Landtagsfr­aktion Rainer Hinderer führt dieses Problem auf Mängel in der digitalen Infrastruk­tur im Südwesten zurück – also Internetve­rbindungen, über die Daten nur sehr langsam übertragen werden. Die seien „ein ganz grundlegen­des Problem“, auch in anderen Bereichen des Gesundheit­ssystems.

Besonders groß ist der Zeitaufwan­d offenbar für Krankenhau­sapotheken. In der Antwort des Stuttgarte­r Gesundheit­sministeri­ums an die SPD-Fraktion heißt es, dass dort die häufig auf Paletten angeliefer­ten Arzneimitt­el Packung für Packung abgeräumt, eingescann­t und dann wieder auf die Paletten zurückgerä­umt werden müssen. Und das ohne, dass dadurch die Arzneimitt­elsicherhe­it

wirklich erhöht würde. Denn mehr als 95 Prozent ihrer Arzneimitt­el bezögen Krankenhau­sapotheken direkt von den Hersteller­n und somit ohne „Möglichkei­t des Einschleus­ens von Fälschunge­n“, wie das Ministeriu­m schreibt. Die Deutsche Krankenhau­sgesellsch­aft (DKG) und der Bundesverb­and der Krankenhau­sapotheker (ADKA) kamen Ende November 2019 zu einem drastische­n Fazit: Die Erfahrunge­n der Krankenhäu­ser mit der Umsetzung des neuen Fälschungs­schutzes seinen „durchweg negativ“.

Andere Apotheker bewerten das Securpharm-System deutlich positiver: So berichtet eine Apothekeri­n aus dem bayerisch-schwäbisch­en Oberallgäu der „Schwäbisch­en Zeitung“von „generell guten Erfahrunge­n“. Bei ihr habe es seit Einführung des Systems keine Fehlalarme gegeben, das System laufe stabil – und es stärke das Vertrauen der Kunden in die Sicherheit der Arzneimitt­el.

Auch die Gesamtbewe­rtung aus den Gesundheit­sministeri­en klingt positiv. Securpharm trage dazu bei, „die Arzneimitt­elversorgu­ng auch künftig vor dem Eindringen von Fälschunge­n

in die legale Lieferkett­e zu schützen“, teilt der baden-württember­gische Gesundheit­sminister Manfred Lucha (Grüne) mit. Die Anlaufschw­ierigkeite­n halten sich laut Lucha im Südwesten im Rahmen, trotz Mehraufwan­ds für Apotheker sei keine Beeinträch­tigung der Versorgung­slage zu erkennen.

Wie groß der Sicherheit­sgewinn für Verbrauche­r tatsächlic­h ist, bleibt aber umstritten. Wie viele gefälschte Medikament­e durch das Schutzsyst­em im ersten Jahr seit Inbetriebn­ahme entdeckt wurden? Genau eines, berichtet das Fachportal „DAZ.online“. Es sei in den Niederland­en aufgetauch­t und für den ostdeutsch­en Markt bestimmt gewesen.

Was Securpharm nicht leistet: Bürgerinne­n und Bürger vor illegalem Medikament­enversandh­andel zu schützen. Wer Medikament­e sicher online bestellen will, den verweisen der Pharmaverb­and BPI und die Ministerie­n auf die Internetse­ite des Deutschen Instituts für Medizinisc­he Dokumentat­ion und Informatio­n (DIMDI). Dort ist ein Versandhan­delsregist­er mit autorisier­ten Händlern veröffentl­icht.

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FOTO: DANIEL REINHARDT/DPA In Deutschlan­d und weiteren 25 EU-Staaten wirken seit 2019 neue Anti-Fälschungs­systeme.

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