Schutzschild gegen Pharma-Fälschungen
Seit einem Jahr sind Arzneimittel doppelt geschützt – Was das Verbrauchern gebracht hat
- Gefälschte Arzneimittel sind gefährlich für die Gesundheit von Patienten – und sie sind weit verbreitet. Über 500 000 Packungen mit gefälschten medizinischen Produkten haben die EU-Zollbehörden 2017 beschlagnahmt. Um Verbraucher besser vor Fälschungen zu schützen, gilt seit Februar 2019 in der gesamten EU eine Fälschungsschutzrichtlinie. Und um die umzusetzen, gibt es in Deutschland seither das Anti-Fälschungssystem Securpharm. Im Süden sind die Erfahrungen damit unterschiedlich gut.
Securpharm sieht vor, dass erstens auf jeder Arzneimittelpackung wichtige Medikamentendaten aufgedruckt sind – in Klarschrift und in einer verschlüsselten Matrix. Apotheker scannen diese Matrix, die Daten werden mit einem nationalen Verifikationssystem abgeglichen. Zweitens ist an jeder Packung ein Erstöffnungsschutz angebracht, der nachweist, dass die Packungen unversehrt sind.
Laut dem Verein Securpharm e.V., der für das System verantwortlich ist und dem Apotheker- und Pharmaverbände angehören, ist das AntiFälschungssystem ein Erfolg. Täglich werden demnach inzwischen über sechs Millionen Arzneimittel über Securpharm geprüft. Securpharm ist in ein europäisches Netzwerk eingebunden: In 25 weiteren EU-Staaten sowie Norwegen, Island und Liechtenstein, gibt es seit vergangenem Jahr vergleichbare Systeme. Doch regelmäßig gibt es bei dem System Probleme wie Fehlalarme und Systemausfälle. Manche Apotheker beklagen einen erheblichen Mehraufwand. Und es bleibt umstritten, ob Securpharm wirklich gegen Arzneimittelfälschung wirkt.
Stichwort Fehlalarme: Allein in Baden-Württemberg hat es laut einer Antwort des Gesundheitsministeriums auf eine Anfrage von SPD-Abgeordneten im Landtag bis Dezember 2019 60 Fehlalarme gegeben. Seither waren es durchschnittlich zwei bis drei pro Woche, wie das Ministerium auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“mitteilt. In Bayern wird die Zahl der Fälschungsverdachtsfälle nicht vom Landesgesundheitsministerium erfasst. Laut dem Bundesverband der pharmazeutischen Industrie (BPI) sind der Grund für die Fehlalarme vor allem Fehler beim Abgleich der per Matrix auf der Medikamentenpackung abgedruckten Daten mit denen im Verifikationssystem. Alle Beteiligten arbeiteten daran, das Problem zu lösen, heißt es vom BPI und von der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg.
Ein weiteres Problem ist der erhebliche zusätzliche Zeitaufwand, den Securpharm für Apotheker bedeutet. Unter anderem das pharmazeutische Fachportal „DAZ.online“berichtet regelmäßig über Komplettausfälle des Systems. Außerdem verzögert sich die Übertragung der Daten von der Apotheke zum nationalen Verifikationssystem oft erheblich. Der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion Rainer Hinderer führt dieses Problem auf Mängel in der digitalen Infrastruktur im Südwesten zurück – also Internetverbindungen, über die Daten nur sehr langsam übertragen werden. Die seien „ein ganz grundlegendes Problem“, auch in anderen Bereichen des Gesundheitssystems.
Besonders groß ist der Zeitaufwand offenbar für Krankenhausapotheken. In der Antwort des Stuttgarter Gesundheitsministeriums an die SPD-Fraktion heißt es, dass dort die häufig auf Paletten angelieferten Arzneimittel Packung für Packung abgeräumt, eingescannt und dann wieder auf die Paletten zurückgeräumt werden müssen. Und das ohne, dass dadurch die Arzneimittelsicherheit
wirklich erhöht würde. Denn mehr als 95 Prozent ihrer Arzneimittel bezögen Krankenhausapotheken direkt von den Herstellern und somit ohne „Möglichkeit des Einschleusens von Fälschungen“, wie das Ministerium schreibt. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und der Bundesverband der Krankenhausapotheker (ADKA) kamen Ende November 2019 zu einem drastischen Fazit: Die Erfahrungen der Krankenhäuser mit der Umsetzung des neuen Fälschungsschutzes seinen „durchweg negativ“.
Andere Apotheker bewerten das Securpharm-System deutlich positiver: So berichtet eine Apothekerin aus dem bayerisch-schwäbischen Oberallgäu der „Schwäbischen Zeitung“von „generell guten Erfahrungen“. Bei ihr habe es seit Einführung des Systems keine Fehlalarme gegeben, das System laufe stabil – und es stärke das Vertrauen der Kunden in die Sicherheit der Arzneimittel.
Auch die Gesamtbewertung aus den Gesundheitsministerien klingt positiv. Securpharm trage dazu bei, „die Arzneimittelversorgung auch künftig vor dem Eindringen von Fälschungen
in die legale Lieferkette zu schützen“, teilt der baden-württembergische Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) mit. Die Anlaufschwierigkeiten halten sich laut Lucha im Südwesten im Rahmen, trotz Mehraufwands für Apotheker sei keine Beeinträchtigung der Versorgungslage zu erkennen.
Wie groß der Sicherheitsgewinn für Verbraucher tatsächlich ist, bleibt aber umstritten. Wie viele gefälschte Medikamente durch das Schutzsystem im ersten Jahr seit Inbetriebnahme entdeckt wurden? Genau eines, berichtet das Fachportal „DAZ.online“. Es sei in den Niederlanden aufgetaucht und für den ostdeutschen Markt bestimmt gewesen.
Was Securpharm nicht leistet: Bürgerinnen und Bürger vor illegalem Medikamentenversandhandel zu schützen. Wer Medikamente sicher online bestellen will, den verweisen der Pharmaverband BPI und die Ministerien auf die Internetseite des Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI). Dort ist ein Versandhandelsregister mit autorisierten Händlern veröffentlicht.