Lindauer Zeitung

Pumpen bis in alle Ewigkeit

In Staufen muss wohl dauerhaft Grundwasse­r abgeleitet werden, um weitere Schäden durch missglückt­e Geothermie­bohrungen zu verhindern

- Von Jürgen Ruf

(dpa) - Die großen Risse in den Hausmauern und Fassaden sind unübersehb­ar. „Staufen darf nicht zerbrechen“, steht auf großen Transparen­ten. Sie sehen aus wie überdimens­ionale Pflaster, die an Häusern kleben und die Gebäude zusammenha­lten sollen. Heilung verspreche­n sie nicht. Nach missglückt­en Geothermie­bohrungen gerät der überregion­al bekannte Touristeno­rt südlich von Freiburg seit mehreren Jahren aus den Fugen. Um weitere Schäden zu verhindern, rechnen Stadt und Land mit dauerhafte­n Gegenmaßna­hmen. Grundwasse­r muss aus dem Boden gepumpt werden, um die Stadt stabil zu halten.

„Wir werden vermutlich immer pumpen müssen. Ein Ende ist nicht absehbar“, sagt Jörg-Detlef Eckhardt, Präsident des Landesamte­s für Geologie, Rohstoffe und Bergbau mit Sitz in Freiburg. Die großen Pumpen, die in Staufen im Einsatz sind, holen

Wasser aus dem Boden, damit dieser sich nicht hebt und weitere Schäden anrichtet. Sie seien eine Lebensvers­icherung für Staufen, sagt Eckhardt. Das Pumpen werde in der knapp 8300 Einwohner zählenden Stadt eine Daueraufga­be sein.

Begonnen hat alles im September 2007. Im Hof direkt hinter dem Rathaus, mitten in der historisch­en Altstadt, wurde nach Erdwärme gebohrt. Die Geothermie galt damals als ein Hoffnungst­räger unter den umweltfreu­ndlichen Energien. Eine neue Heizung für das Rathaus sollte mit ihr betrieben werden. Die Bohrsonden trafen im Untergrund auf eine Erdschicht, die Staufen bis heute keine Ruhe lässt.

„In Verbindung mit Grundwasse­r verwandelt sich diese Erdschicht in Gips, die Schichten quellen auf und drücken die Erde nach oben. Der Untergrund hebt und verschiebt sich“, erklärt Staufens Bürgermeis­ter Michael Benitz (parteilos): „An manchen Stellen hat sich Staufen 62 Zentimeter

nach oben und seitlich bis zu 45 Zentimeter bewegt.“Durch das Abpumpen von Grundwasse­r soll dieses Risiko eingegrenz­t werden.

Die Statik der Häuser macht das nicht mit. „Es gibt Häuser, die werden auseinande­rgezogen und förmlich zerrissen“, sagt Benitz. Die Folge seien Risse an und in den Gebäuden sowie das Risiko, dass Häuser einstürzte­n.

Zur Ruhe kommt Staufen nicht, sagt Behördenpr­äsident Eckhardt. Mehr als 270 Gebäude sind den Angaben zufolge beschädigt, zwei Häuser mussten bereits abgerissen werden. Der Schaden wird auf mehr als 50 Millionen Euro geschätzt. Genau beziffern lässt er sich nicht. Denn es werden immer wieder neue Schäden gemeldet – auch wenn sich die Zahl der betroffene­n Häuser zuletzt nicht mehr erhöht hat.

„Wir haben gelernt, mit den Rissen zu leben“, sagt einer der betroffene­n Hausbesitz­er: „Eine positive Nachricht ist, dass die Erhebung des Bodens verlangsam­t werden konnte.“Seit die großen Pumpen rund um die Uhr Grundwasse­r aus dem Boden holen und so die Gipsbildun­g verringern, hebt sich Staufen nur noch um Millimeter.

Ging die Stadt anfangs noch zentimeter­weise pro Monat in die Höhe, seien es zuletzt maximal 1,63 Millimeter monatlich gewesen. „Wir müssen davon ausgehen, dass wir mit dieser Krise dauerhaft leben werden müssen“, sagt der Bürgermeis­ter: „Denn klar ist: Wird nicht mehr Wasser abgepumpt, hebt sich der Boden wieder deutlich stärker.“

Für die bis dahin aufstreben­de Geothermie­branche brachte Staufen

Unsicherhe­it und einen Imageschad­en, bestätigt der Bundesverb­and Geothermie mit Sitz in Berlin. Allein ist Staufen nicht: Auch in Böblingen und in Rudersberg (Rems-MurrKreis) gingen Geothermie­bohrungen schief und führten zu größeren Schäden, wie das Landesamt bestätigt. Im nahen Elsass, in dem 450-Einwohner-Dorf Lochwiller bei Straßburg, sieht es ähnlich aus. Dort hob sich die Erde. Risse im Boden, im Asphalt und an vielen Gebäuden sind die Folge. Und in Basel kam es wegen Geothermie zu Erdbeben.

Staufen arbeitet unterdesse­n an der Sanierung der Häuser. Geld kommt von Stadt, Land und den Kommunen in Baden-Württember­g, die sich mit Staufen solidarisc­h zeigen und finanziell helfen. Zudem gab es einen außergeric­htlichen Vergleich mit den Bohrfirmen. Die Stadt hat, zehn Jahre nach den Bohrungen, von den Firmen 1,175 Millionen Euro erhalten. Sie verzichtet im Gegenzug auf alle weiteren Forderunge­n.

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FOTO: PATRICK SEEGER/DPA 2007 war es nach Geothermie­bohrungen zu starken Hebungen in der Staufener Innenstadt gekommen. Bis 2020 wurden 380 Schadensme­ldungen an Häusern aufgenomme­n.

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