Gymnasiallehrer fühlen sich überlastet, sind aber zufrieden
Philologen leiden einer Befragung zufolge unter den Leistungsunterschieden in ihren Klassen
- Selbst beim Thema Lehrerbelastung kommt man im politischen Berlin derzeit nicht am Thema Coronavirus vorbei. Zur Pressekonferenz des Deutschen Philologenverbandes (DPhV) im Bundespresseamt wurde am Montag nur gelassen, wer sich am Eingang die Hände desinfizierte.
Dabei wurden bei der Konferenz Zahlen präsentiert, die weit vor der aktuellen Viruskrise erhoben wurden. Anfang 2018 befragte das Rostocker Institut für Präventivmedizin im Auftrag des DPhV und der Krankenkasse DAK die rund 176 000 Gymnasiallehrer zu Arbeitsbelastung und Gesundheit. Die Studie „Lehrerarbeit im Wandel“(Laiw) sei ein Novum, lobt DPhV-Chefin Susanne Lin-Klitzing. Noch nie zuvor habe es dazu eine derartige Bundesländer übergreifende Befragung gegeben. Die Ergebnisse seien nach Auswertung von rund 16 000 Antwortbögen von Flensburg bis Friedrichshafen und von Koblenz bis Cottbus trotz verschiedener Landesregierungen ähnlich: Die Belastung im Beruf sei hoch, die Mehrheit der Lehrkräfte trotzdem mit dem Beruf zufrieden.
Zwei Drittel der Befragten klagten demnach über eine hohe bis sehr hohe berufliche Belastung. Gründe sind demnach vor allem große Leistungsunterschiede zwischen den Schülern (95 Prozent der Befragten), ein zu hohes Arbeitspensum (90 Prozent), fehlende Ruhezonen (74 Prozent) sowie verhaltensauffällige Schüler (51 Prozent). Die Arbeitswoche von Vollzeitpädagogen hat demnach im Durchschnitt 45,2 Stunden. Dass die Arbeitszeiterhebung außerhalb der Ferienzeit stattfand, sehen die Macher nicht als Verzerrung an, schließlich habe man für die Erhebung eine Periode mit geringem Pensum ausgewählt. Die Befunde decken sich mit regionalen Befragungen zur Arbeitszeit von Lehrkräften.
Die Belastung fordert der Studie zufolge ihren Tribut: Nur knapp die Hälfte der Befragten sieht Arbeit und Freizeit in Balance, ein Drittel kann sich eigenen Angaben zufolge nicht richtig erholen, 40 Prozent schlafen schlecht. 93 Prozent gehen der Umfrage zufolge auch dann zur Arbeit, wenn sie sich nicht gut fühlen, 85 Prozent warten mit der Genesung zum Wochenende, jeder Dritte geht gegen ärztlichen Rat arbeiten. Für DAK-Vorstandschef Andreas Storm gerade in Zeiten von Corona ein Problem. Zwar sind Lehrer meist privat und nicht bei der DAK versichert. Doch für gesunde Schüler brauche man gesunde Lehrer, sagt Storm.
Trotz der Belastung sind die Lehrer mit 85 Prozent Zustimmung mit ihrer Arbeit überwiegend zufrieden und freuen sich über die Arbeit mit Schülern und die flexible Zeiteinteilung. In Baden-Württemberg liegt der Wert sogar noch leicht darüber, in Berlin und Brandenburg sind die
Befragten hingegen etwas unzufriedener.
„Wir können nicht stillschweigend in Kauf nehmen, dass unsere Gymnasien nur noch durch eine chronische Überlastung der Lehrkräfte funktionieren“, sagt Lin-Klitzing. Der DPhV fordert weniger Stunden, weniger Aufgaben, kleinere Klassen, Rückzugsräume für Lehrer – und wünscht sich einheitlicheres Leistungsniveau in den Klassen. Nur noch in drei der 16 Bundesländer sei die Leistung des Schülers beim Wechsel auf die weiterführende Schule „etwas wert“, kritisiert LinKitzing. So hatte Baden-Württemberg die verbindliche Grundschulempfehlung unter Grün-Rot gestrichen. Seitdem gilt: Aufs Gymnasium darf, wessen Eltern das wollen.
Für den Studiensponsor DAK ist die Laiw-Studie ein Durchbruch, denn nun gebe es endlich bundesweit belastbare Daten: „Der Ball liegt nun auf dem Elfmeterpunkt“, sagt Storm. Daraus müsse man nun ein Tor machen. Die Angebote für Lehrergesundheit sollten besser koordiniert werden, jede Schule brauche eine Diagnose zum Gesundheitsstatus des Kollegiums. Storm fordert die Kultus- und Gesundheitsminister der 16 Länder zu einem „Gipfel für gesunde Schule“auf. Den solle es so schnell wie möglich geben. Oder besser so schnell wie möglich nach der Corona-Krise. Denn am Thema Corona kommt man eben derzeit in Berlin nicht vorbei.