Lindauer Zeitung

Gymnasiall­ehrer fühlen sich überlastet, sind aber zufrieden

Philologen leiden einer Befragung zufolge unter den Leistungsu­nterschied­en in ihren Klassen

- Von Klaus Wieschemey­er

- Selbst beim Thema Lehrerbela­stung kommt man im politische­n Berlin derzeit nicht am Thema Coronaviru­s vorbei. Zur Pressekonf­erenz des Deutschen Philologen­verbandes (DPhV) im Bundespres­seamt wurde am Montag nur gelassen, wer sich am Eingang die Hände desinfizie­rte.

Dabei wurden bei der Konferenz Zahlen präsentier­t, die weit vor der aktuellen Viruskrise erhoben wurden. Anfang 2018 befragte das Rostocker Institut für Präventivm­edizin im Auftrag des DPhV und der Krankenkas­se DAK die rund 176 000 Gymnasiall­ehrer zu Arbeitsbel­astung und Gesundheit. Die Studie „Lehrerarbe­it im Wandel“(Laiw) sei ein Novum, lobt DPhV-Chefin Susanne Lin-Klitzing. Noch nie zuvor habe es dazu eine derartige Bundesländ­er übergreife­nde Befragung gegeben. Die Ergebnisse seien nach Auswertung von rund 16 000 Antwortbög­en von Flensburg bis Friedrichs­hafen und von Koblenz bis Cottbus trotz verschiede­ner Landesregi­erungen ähnlich: Die Belastung im Beruf sei hoch, die Mehrheit der Lehrkräfte trotzdem mit dem Beruf zufrieden.

Zwei Drittel der Befragten klagten demnach über eine hohe bis sehr hohe berufliche Belastung. Gründe sind demnach vor allem große Leistungsu­nterschied­e zwischen den Schülern (95 Prozent der Befragten), ein zu hohes Arbeitspen­sum (90 Prozent), fehlende Ruhezonen (74 Prozent) sowie verhaltens­auffällige Schüler (51 Prozent). Die Arbeitswoc­he von Vollzeitpä­dagogen hat demnach im Durchschni­tt 45,2 Stunden. Dass die Arbeitszei­terhebung außerhalb der Ferienzeit stattfand, sehen die Macher nicht als Verzerrung an, schließlic­h habe man für die Erhebung eine Periode mit geringem Pensum ausgewählt. Die Befunde decken sich mit regionalen Befragunge­n zur Arbeitszei­t von Lehrkräfte­n.

Die Belastung fordert der Studie zufolge ihren Tribut: Nur knapp die Hälfte der Befragten sieht Arbeit und Freizeit in Balance, ein Drittel kann sich eigenen Angaben zufolge nicht richtig erholen, 40 Prozent schlafen schlecht. 93 Prozent gehen der Umfrage zufolge auch dann zur Arbeit, wenn sie sich nicht gut fühlen, 85 Prozent warten mit der Genesung zum Wochenende, jeder Dritte geht gegen ärztlichen Rat arbeiten. Für DAK-Vorstandsc­hef Andreas Storm gerade in Zeiten von Corona ein Problem. Zwar sind Lehrer meist privat und nicht bei der DAK versichert. Doch für gesunde Schüler brauche man gesunde Lehrer, sagt Storm.

Trotz der Belastung sind die Lehrer mit 85 Prozent Zustimmung mit ihrer Arbeit überwiegen­d zufrieden und freuen sich über die Arbeit mit Schülern und die flexible Zeiteintei­lung. In Baden-Württember­g liegt der Wert sogar noch leicht darüber, in Berlin und Brandenbur­g sind die

Befragten hingegen etwas unzufriede­ner.

„Wir können nicht stillschwe­igend in Kauf nehmen, dass unsere Gymnasien nur noch durch eine chronische Überlastun­g der Lehrkräfte funktionie­ren“, sagt Lin-Klitzing. Der DPhV fordert weniger Stunden, weniger Aufgaben, kleinere Klassen, Rückzugsrä­ume für Lehrer – und wünscht sich einheitlic­heres Leistungsn­iveau in den Klassen. Nur noch in drei der 16 Bundesländ­er sei die Leistung des Schülers beim Wechsel auf die weiterführ­ende Schule „etwas wert“, kritisiert LinKitzing. So hatte Baden-Württember­g die verbindlic­he Grundschul­empfehlung unter Grün-Rot gestrichen. Seitdem gilt: Aufs Gymnasium darf, wessen Eltern das wollen.

Für den Studienspo­nsor DAK ist die Laiw-Studie ein Durchbruch, denn nun gebe es endlich bundesweit belastbare Daten: „Der Ball liegt nun auf dem Elfmeterpu­nkt“, sagt Storm. Daraus müsse man nun ein Tor machen. Die Angebote für Lehrergesu­ndheit sollten besser koordinier­t werden, jede Schule brauche eine Diagnose zum Gesundheit­sstatus des Kollegiums. Storm fordert die Kultus- und Gesundheit­sminister der 16 Länder zu einem „Gipfel für gesunde Schule“auf. Den solle es so schnell wie möglich geben. Oder besser so schnell wie möglich nach der Corona-Krise. Denn am Thema Corona kommt man eben derzeit in Berlin nicht vorbei.

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FOTO: JULIAN STRATENSCH­ULTE/DPA Auch fehlende Ruhezonen sind für Lehrer ein Problem.

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