Mexikos Frauen legen das Land lahm
Feministinnen streiken landesweit und protestieren gegen Gewalt und Ausbeutung
- Luby Springall greift zur Kreide, geht in die Knie und schreibt mit ausladenden Bewegungen: „Erinnern wir an und ehren wir alle Frauen, die Opfer von Gewalt geworden sind.“Springall schreibt diesen Satz auf das Mahnmal für die getöteten Frauen in Mexiko Citys Stadtteil Polanco. Und Ehren heißt für die bekannte Architektin nicht nur am Weltfrauentag zu demonstrieren, sondern vor allem auch, am Montag in den Streik zu treten. „Am 9. März gehen wir alle in den Ausstand, um zu zeigen, dass es keine Welt ohne Frauen geben kann, dass sie uns respektieren müssen, damit es Gerechtigkeit gibt, damit sie uns gut bezahlen.“
Springall hat in ihrem Architekturbüro den angestellten Frauen freigegeben. Auch ihre Haushaltshilfe muss nicht zur Arbeit erscheinen. „So merken die Männer und die Gesellschaft hoffentlich, dass sich was ändern muss. Wir sind wütend und wollen nicht mehr in Angst davor leben, überfallen, misshandelt oder ermordet zu werden.“
In Mexiko werden nach Angaben des Nationalen Statistikamtes INEGI pro Tag zehn Frauen ermordet. 2018 zählten die Behörden 3752 sogenannte Feminizide, das heißt die Opfer wurden getötet, weil sie Frauen waren. Es war die höchste Zahl seit Beginn der Zählung 1990. 1722 Frauen gelten zusätzlich als vermisst. Und noch immer verdienen Frauen nach Angaben der staatlichen AntiDiskriminierungsbehörde Conapred in Lateinamerikas zweitgrößtem Land 34 Prozent weniger als die Männer.
Ganz Mexiko-Stadt erwachte am Montag wie an einem Feiertag. Der Verkehr der 22-Millionen-Metropole war entspannt, weil bestenfalls die Hälfte der Kinder zur Schule und kaum eine Frau zur Arbeit ging. In der U-Bahn sah man praktisch nur Männer. Viele Ticket-Schalter blieben zu, weil dort gewöhnlich nur Frauen arbeiten. Frauen sah man im Stadtteil Condesa nur auf dem Spielplatz mit Kindern oder beim Spazierengehen. Nur ganz wenige widersetzten sich dem Aufruf zum Konsumverzicht, andere wenige gingen zur Arbeit.
#UnDíaSinNosostras – „Ein Tag ohne uns“ist der Hashtag, mit dem vor allem feministische Kollektive, Frauenschutzorganisationen, aber auch die Regierung, angeführt von Innenministerin Olga Sánchez Cordero, zum Ausstand aufgerufen haben. „Keine Frau auf der Straße, keine in der Arbeit, in der Schule, der Uni oder dem Supermarkt“– lautete das Motto für diesen Montag. Nicht mal in den sozialen Netzwerken sollten die Frauen unterwegs sein. Sie sollen für einen Tag völlig aus dem Straßenbild und der virtuellen Welt verschwinden.
In Mexiko leben 60 Millionen Frauen, die 45,5 Prozent der Werktätigen stellen. Sie erwirtschaften rund 37 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das Geldinstitut BBVA Bancomer México schätzt die Verluste des Frauenstreiks für die Volkswirtschaft auf umgerechnet 1,5 Milliarden Dollar. Frauen sind in Mexiko vor allem im Dienstleistungssektor und dem Bildungsbereich tätig.
Viele große Firmen, darunter auch deutsche Autobauer, haben angekündigt, den Streik zu unterstützen. Bei Volkswagen de México stellten Frauen 13 Prozent der Arbeiterinnen. Daher mache es keinen Sinn, die Bänder laufen zu lassen, teilte das Unternehmen mit und betonte, es werde keine ökonomischen Einbußen für die Frauen geben.
Große internationale Handelsketten und mexikanische Firmen unterstützen den Ausstand. Supermärkte, Fernsehsender, Nahrungsmittelhersteller, Banken und Universitäten – alle machen mit. Die meisten Firmen zahlen den Lohn an dem Tag weiter. Andere – wie etwa Cafés in den beliebten Ausgehvierteln
von Mexico City – stellten ihren Mitarbeiterinnen frei, ob sie zur Arbeit kommen. Lediglich im breiten informellen Sektor waren die Frauen wie jeden Tag zur Arbeit erschienen. „Ich kann mir einfach einen Tag ohne Einkünfte nicht leisten“, sagte Marta García, die im Zentrum von Mexiko-Stadt Kleidung an einem fliegenden Stand verkauft.
Der linke Präsident Andrés Manuel López Obrador begleitet den Streik der Frauen mit Gleichgültigkeit und Arroganz. Er war schon der Gewalt gegen Frauen in den vergangenen Wochen mit mangelndem Einfühlungsvermögen begegnet. Man solle nicht nur über Feminizide reden, Mexiko habe noch andere Probleme, sagte er. Dezidiert anders spricht Innenministerin Sánchez Cordero: „Die Frauen sind die Priorität der Regierung, ohne sie wird Mexiko sich nicht verändern können.“