„Wir haben eine Verantwortung, nicht zu vergessen“
„Alles auf Hoffnung“ist die Antwort an das Leben von Gil Ofarim
Gil Ofarim gibt mit seinem neuen Album „Alles auf Hoffnung“das Mantra für sein Leben vor: Aufgeben ist nichts für den Künstler, der bereits als Teenie in der Bravo abgelichtet wurde. Heute ist Ofarim 37 und um Lebenserfahrung reicher. Auf seinem neuen Album verarbeitet der Musiker sehr persönliche Momente und gibt dem Zuhörer einen Einblick in sein Innerstes. Im Interview mit Eva-Maria Peter spricht der gebürtige Münchner über den Tod seines Vaters und das Gefühl, schon in jungen Jahren ein Bravo-Poster-Boy zu sein.
Gil, dein neues Album trägt den Titel „Alles auf Hoffnung“. Hält der Titel, was er verspricht?
„Alles auf Hoffnung“ist ein nachdenkliches Album, das trotzdem laut und rockig ist. Die vergangenen Jahre habe ich sehr viel durchlebt und erlebt. Das, was mir von der Seele runterkam, steckt in diesen Songs. Mein Ventil war schon immer die Kunst, die Musik, Tanzen oder Malen. Die Quintessenz des Albums ist: Egal, was das Leben bringt, jeder kann immer wieder aufstehen und weitermachen. Aufgeben ist nicht. Alles auf Hoffnung.
Deine Songtexte lesen sich wie Tagebucheinträge. Wie fühlt es sich an, sein Innerstes nach außen zu kehren?
Ich öffne mich nicht zu sehr. Für mich fühlt es sich jedenfalls nicht wie Seelenstriptease an. Meine Intention ist, dass der Zuhörer sich selber in meinen Songs finden und Schlüsse daraus ziehen kann.
War dein Mantra schon immer „Alles auf Hoffnung“?
Bewusst wurde mir das erst in den letzten Jahren. Ich bin positiv und glaube an das Gute. Uns werden im Leben immer wieder neue Aufgaben und Herausforderungen gestellt. Es gibt für mich nur Hoffnung und keine zweite Option. Wir leben nur einmal. Alles, was du in deinem Leben machst, kannst du nicht mit nach oben nehmen. Du kannst allerdings Fußspuren hinterlassen.
Wie viel Hoffnung hast du, dass der Rechtsruck und Antisemitismus in Deutschland weniger werden?
Der Antisemitismus war nie weg. Wir haben 2020 und es ist so viel passiert und doch einiges gleich geblieben. Für mich war das normal, dass ein bayerischer Polizist mit einem Maschinengewehr vor dem Kindergarten stand. Später hatte ich Hundekot im Briefkasten mit antisemitischen Beleidigungen. Wir haben eine große Verantwortung, nicht zu vergessen, was passiert ist. Leider verlassen uns die Zeitzeugen alle und es gibt immer mehr Nährboden für Menschen, die leugnen, was passiert ist. Die Mehrheit weiß jedoch, was richtig ist. Ich kann nur hoffen, dass sich die Geschichte nicht wiederholt. Es gilt zusammenzuhalten.
Keinen Millimeter nach rechts.
Ist der Glaube etwas, was dir Zuversicht und Kraft gibt?
Ich bin Jude und wurde jüdisch erzogen. Ich lebe allerdings nicht streng religiös. Jedem ist der eigene Glaube selbst überlassen, solange er keine anderen bedrängt, missioniert und in eine Richtung drängt. Wir sind eine bunte, kulturelle Gesellschaft, in der jeder so sein kann, wie er möchte. Ich glaube in erster Linie an den Menschen, an die Sonne und an die Natur.
Der Song „Nach dir der Regen“ist deinem verstorbenen Vater Abi Ofarim gewidmet. Wie schwer war es diesen Song zu schreiben?
Ich habe lange damit gekämpft, einen Song für meinen verstorbenen Vater zu schreiben. Und das ist natürlich sehr schwer, wenn man eine Person schmerzlich vermisst. Aber ich habe das irgendwie gebraucht, um das besser verarbeiten zu können. Mich hat der Song nächtelang verfolgt und ich habe immer wieder was geschrieben und wieder verworfen. Dann hatte ich das Glück, mit tollen Menschen zusammenarbeiten zu können. Mit Nicholas Müller von Jupiter Jones, der mit „Still“einen der schönsten Abschiedssongs jemals geschrieben hat, und mit Christoph Hessler von der Band The Intersphere. Wir saßen gemeinsam in Münster und an diesem Tag habe ich gemerkt, heute wird es passieren. Ich habe mir vorgestellt, mein Vater wäre da und würde zu mir sprechen.
Das Lied klingt vom Sound her trist, gar wütend, der Text ist liebevoll. Was hat dieser Kontrast zu bedeuten?
Mein Vater war mein Vorbild und Mentor. Er war ein Lebemann, sehr weltbejahend und hat immer das Positive gesehen. Eine traurige Ballade mit Geigen und Orchester hätte einfach nicht gepasst. Ich wollte wütend sein und die Trauer einfach mal rausschreien.
Durch deinen Vater bist du schnell im Musikbusiness angekommen und warst selbst schon früh im Rampenlicht: Wie war das Gefühl, ein Bravo-Poster-Boy zu sein?
Von klein an wollte ich schon immer Musik machen, singen, auf die Bühne, tanzen, schauspielen. Ich habe es mir immer gewünscht und mein Kinderzimmer gedanklich in ein Stadion verwandelt. Bei uns lagen immer Instrumente rum und Künstler gingen ein und aus, weil mein Vater mit ihnen gearbeitet hat. Ich habe stundenlang MTV und Viva geschaut. Dass es mit 14 Jahren schon losging, habe ich nicht erwartet. Es gibt kein Handbuch für eine Musikkarriere. Learning by doing. Auch schmerzhafte Erfahrungen gehören dazu.
Du hast auch als Schauspieler und Synchronsprecher gearbeitet, warst bei Let’s Dance oder diversen TV Shows dabei. Gibt es noch etwas, was du unbedingt im Leben machen willst?
Der Traum einer eigenen Radiosendung wurde mir gerade von Rock Antenne erfüllt. Früher wollte ich immer mal Fallschirmspringen, seit ich Kinder habe, ist das Verlangen weg. Den Motorradführerschein möchte ich irgendwann noch machen. In der späten Midlife Crisis eines Mannes vielleicht. Für den Moment lebe und liebe ich einfach und bin dankbar für das, was ich habe und mache.
Live: 22.10. Stuttgart, Im Wizemann; 24.10. Memmingen, Kaminwerk; 28.10. Nürnberg, Hirsch; 18.11. Aschaffenburg, Colos-Saal.