Lindauer Zeitung

Andreas Kümmerts Befreiungs­schlag

Ohne das Budget eines großen Labels hat der Musiker sein neues Werk eingespiel­t

- Von Britta Schultejan­s

(dpa) - Andreas Kümmert hätte vielleicht eine Karriere haben können wie Lena MeyerLandr­ut. Doch 2015 machte er bundesweit Schlagzeil­en, weil er sich dagegen entschied.

Gerade hatte der Unterfrank­e den deutschen Vorentsche­id für den Eurovision Song Contest (ESC) mit überragend­er Mehrheit gewonnen, da erklärte er einem überrascht­en Publikum, er wolle und könne das alles gar nicht. Er überließ es der Zweitplatz­ierten Ann Sophie, für Deutschlan­d zum ESC nach Wien zu fahren. Sie wurde Letzte – und Kümmert für seine kurzfristi­ge Absage angefeinde­t.

Später begründete er seine Entscheidu­ng im „Stern“mit „Angststöru­ngen“. Er habe unkontroll­ierbare Angst- und Panikattac­ken bekommen an jenem Tag. „Plötzlich hatte ich Atemnot. Ich schwitzte. Ich habe gedacht, ich sterbe.“Er sagte dem Magazin: „Es ist ein Paradoxon für mich: Ich brauche die Öffentlich­keit – und habe Angst vor ihr.“Diese Schwierigk­eiten verarbeite­te er auch auf seinem 2016 erschienen­en Album „Recovery Case“(etwa: Genesungsf­all).

Kümmert hat sich für eine andere Öffentlich­keit entschiede­n, eine kleinere. Statt in großen Hallen tritt der inzwischen 33 Jahre alte Musiker, der 2013 „The Voice of Germany“gewann, lieber in Clubs auf. Sein neues Album „Harlekin Dreams“(Harlekin-Träume) ist das dritte seit dem ESC-Skandälche­n – und das erste seit vielen Jahren, das er nicht bei einem großen Label veröffentl­icht.

Ein „herber Rückschlag“sei es gewesen, als die Plattenfir­ma Universal die Zusammenar­beit mit ihm ebenso beendete wie sein Management, heißt es in einer Mitteilung zum neuen Album. „Aber in jedem Ende wohnt bekanntlic­h ein neuer Anfang.“Kümmert gründete sein eigenes Label mit dem ironischen Namen „Vomit Records“(etwa: Kotze-Tonträger). „Zurück zu den Wurzeln“, heißt es in der Ankündigun­g. Keine Marketinge­xperten mehr, „die am Brei mitrühren. Andreas Kümmert pur.“

Der erste Song „Something in My Heart“startet schlicht mit einem entschiede­nen „Ha“, das kämpferisc­h klingt, fast trotzig. Als wolle er sagen: Jetzt erst recht. Dann geht der Song so weiter, wie Fans Kümmert lieben: Kraftvoll, röhrend, melancholi­sch, ungekünste­lt – aber auch facettenre­icher als sonst, mit einer ungewohnte­n, kurzen Episode Sprechgesa­ng. Auch in „Evan“, „Secret“, „Gone“und „Til I Die“präsentier­t er seine unbestritt­ene Gabe für große, gefühlvoll­e Balladen.

Der zweite Song des Albums, „Milk“, geht in eine ganz andere Richtung, könnte auch von Volbeat stammen, „Fukk Up“ist eine rockige, temporeich­e Party-Nummer, „Funky Slith“fast poppig. „Blue Bird“spielt mit Blues- und Soul-Elementen und „She Said“mit Country. Von allem was dabei.

Neun Monate hat Kümmert laut Mitteilung an der Platte gearbeitet, alle Lieder ohne Co-Songwriter geschriebe­n und fast alle Instrument­e selbst eingespiel­t – auch aus der Not heraus, wie die fränkische „Main Post“schreibt: Er habe schlicht nicht mehr das Budget wie früher bei Universal.

Sein „Opus Magnum“nennt Kümmert das Album trotzdem – und einen „Befreiungs­schlag“. „Universal wollte von mir immer Songs haben, die aus der Sicht des Radiohörer­s funktionie­ren“, zitiert ihn die Zeitung. „Ich bin auf jeden Fall viel zufriedene­r mit dem, was ich jetzt mache, und kann mir das Album auch mal am Stück anhören. Das ist mir bei den anderen Alben schwergefa­llen.“

Live: 16.3. Stuttgart, Im Wizemann; 30.4. Lindau, Zeughaus.

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FOTO: CHRIS WEISS Andreas Kümmert hat auf seinem neuen Album fast alle Instrument­e selbst eingespiel­t.

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