„Die Landwirte sind im falschen System gefangen“
Expertin Tanja Busse spricht über die Zukunft der Agrarwirtschaft und den Druck, der auf den Bauern lastet
- Die promovierte Journalistin Tanja Busse ist auf einem Bauernhof im Landkreis Höxter in Nordrhein-Westfalen aufgewachsen. Ihre Kindheit bezeichnet sie als Bullerbü-Idyll, das mit dem Höfesterben verloren ging. Daher hat sie sich als Journalistin bei WDR und Zeit sowie als Autorin dem Thema Landwirtschaft verschrieben. Ihr Bucherfolg „Die Wegwerfkuh“ist auch in Schlachters aufmerksam gelesen worden, wo Busse am Donnerstag, 12. März, im Haus des Gastes einen kostenlosen Vortrag hält. Jan Scharpenberg hat sich mit ihr im Vorfeld über die Zukunft der Landwirtschaft und radikale Bauern unterhalten.
Sie kennen nicht nur die solidarische Landwirtschaft in Schlachters, sondern sind in ganz Deutschland gut vernetzt. Welche neuen Agrar-Projekte sind für Sie zukunftsweisend?
Was die zukünftige Art der Landwirtschaft angeht, würde ich Agrarforstsysteme nennen.
Was genau ist das?
Das System verbindet Land- und Forstwirtschaft. Acker, Wald und Weide werden möglichst kleinteilig so miteinander kombiniert, dass Systeme entstehen, die sich gegenseitig regenerieren. Zum Beispiel spenden Bäume Schatten für die Tiere auf der Weide und sind so angelegt, dass dazwischen andere Pflanzen besser gedeihen können.
Jetzt gilt die Forstwirtschaft aber nicht gerade als ein Geschäft, mit dem man viel Geld verdienen kann.
Es geht nicht um klassische Forstwirtschaft, die allein der schnellen Holzproduktion dient. Sondern es geht um eine kluge Kombination von verschiedenen Bäumen und Hecken, die Nüsse und Beeren produzieren. Es gibt sogar Bäume, die wie Leguminosen, Stickstoff im Boden binden und Dünger für andere Pflanzen bereitstellen. Es geht um Synergien auf allen Ebenen. Das ist die Abkehr von der dominierenden Spezialisierung, die Forst- und Landwirtschaft genauso trennt, wie Ackerbau und Tierhaltung.
Aber trägt sich das denn auch ohne Subventionen wirtschaftlich?
Wenn man damit jetzt schon so einfach Gewinn machen könnte, würden das ja schon viel mehr Leute machen. Aber aktuell ist das noch etwas für Pioniere. Das ist nicht leicht, weil unser heutiges Agrarsystem Spezialisierung und Massenproduktion geradezu fördert - gegen alle ökologische Erkenntnis. Dieses System ist nun an seine Grenzen gekommen, viele Landwirte, die sich darauf eingelassen haben und sich für den Bau solcher Ställe hoch verschuldet haben, merken nun, dass sie ökonomisch nicht mehr über die Runden kommen.
Dann hätten sie ja umso mehr Grund, andere Formen der Landwirtschaft auszuprobieren.
Es sehen ja auch ganz viele Landwirte, dass wir uns aktuell auf einem Irrweg befinden. Sie wissen aber nicht, wie sie da wieder rauskommen können. Wenn jemand an der Berufsschule oder im Studium lernt, dass günstige Schweinefleischproduktion in einem Stallsystem so und so funktioniert, dann ist der einfach nicht dafür ausgebildet, neue Formen einer vielfältigen Landwirtschaft aufzubauen und die auch regional zu vermarkten. Aktuell sind die Bauern als Lieferanten der Lebensmittel ja nicht einmal auf einer Augenhöhe mit den Abnehmern. Tausende einzelner Landwirte stehen einer sehr stark konzentrierten Lebensmittelwirtschaft gegenüber, ihre Produkte sind austauschbar, und das nutzen die Verarbeiter eiskalt aus.
Sollten Landwirte also direkt an den Verbraucher verkaufen und die Discounter außen vor lassen?
Entscheidend ist, dass dieser Preisdruck weg muss. Es wäre natürlich irrational zu sagen, wir schaffen jetzt die Discounter ab. Aber wir müssen den Lebensmitteleinzelhandel so verändern, dass er insgesamt nachhaltiger wird.
Wie ist das zu schaffen?
Wissenschaftler haben ganz viele Modelle untersucht, mit denen man Einfluss nehmen könnte. Man könnte zum Beispiel eine Abgabe auf Pestizide einführen. Mit einer Zuckerabgabe würden wir ungesunde Getränke verteuern und die Hersteller dazu bringen, ihre Rezepturen zu verbessern. Krankenkassen und Ernährungsmediziner würden das sehr begrüßen. Denn zur Zeit lügen die Preise: Produkte aus nicht-nachhaltiger Produktion sind billiger als gesunde und nachhaltige. Das kann nicht sein!
Ist der Verbraucher oder die Politik der Hauptverantwortliche dafür, dass Bio-Produkte im Discounter keinen fairen Preis haben?
Es ist ein sehr beliebtes Spiel, den Schwarzen Peter von einem zum anderen zu schieben, sodass am Ende keiner Schuld an der Misere hat. Jeder hat Verantwortung, jeder Konsument, jeder Landwirt, jeder Lebensmittelverarbeiter, der Handel natürlich, die Verbände, die Berater, die Banken und die Politik auf allen Ebenen. Je mehr Macht und Einfluss jemand hat, desto mehr muss man ihn in die Pflicht nehmen. Ein milliardenschwerer Lebensmitteleinzelhändler hat eine höhere Verantwortung als ein einzelner Konsument.
Als Akteure haben wir also die Verbraucher, den Handel und die Politik. Die Landwirte scheinen überall zwischen den Stühlen zu sitzen.
So ist es, und dazu kommen übrigens noch die eigenen Bauernverbände, die viel zu spät erkannt haben, dass die Linie Massenproduktion für den Weltmarkt keine Lösung ist.
Der Bayerische Bauernverband hat mir gesagt, dass hier viele kleine Betriebe mit eigenen Hofläden existieren und der bayerische Weg als Vorbild für Deutschland gilt.
Dass es jetzt in Bayern noch viele kleine Betriebe gibt, liegt eher an der dortigen allgemeinen Wertschätzung für Ernährung und Agrarstrukturen. Mir ist nicht aufgefallen, dass der Bauernverband dazu etwas beigetragen hätte. Auch die süddeutschen Bauernverbände haben die Entwicklung zu einer Massenproduktion für den Weltmarkt mitgetragen.
Eine biologischere und diversere Produktion bedeutet aber nicht, dass Sie einfach zurück zu einer ursprünglichen Landwirtschaft wollen?
Nein, absolut nicht. Das wird vor allem von Vertretern des Bauernverbandes behauptet. Gegner neuer Modelle tun diese gerne als naiven Wunsch ab, mit dem man einfach kein Geld machen kann. Damit gibt man den Landwirten geschickt das Gefühl, dass es in den Städten nur naive grüne Spinner gibt, die ihre Haustiere verhätscheln und gleichzeitig wollen, dass die Bauern wieder die Mistgabeln in die Hand nehmen und ihren technischen Fortschritt aufgeben. Dabei ist die wirkliche Innovation die Verbindung von moderner Technik mit modernen Erkenntnissen aus der Ökologie. Und es ist die Abkehr von einem finanzgetriebenen Agrarsystem.
Da sind viele Landwirte, die sehen, dass sie in das falsche System investiert haben aber darin schlichtweg gefangen sind. Sie sind weder reich geworden, noch erhalten sie Anerkennung für ihre Arbeit. Die sind richtig sauer.
Wie drückt sich das aus?
Es gibt jetzt zum Beispiel in Holland die Farmers Defense Force. Die haben auch schon Autos von Tierschützern umgekippt und sind mit einem Frontlader in ein Verwaltungsgebäude gefahren, um die Bürokraten dort zur Rede zu stellen. Das sind eben Bauern, denen nach jahrelangem Druck von allen Seiten die Hutschnur gerissen ist, die aber keine Idee haben, wie es besser werden kann.
Wie kann man denn die Landwirte vor der eigenen Tür unterstützen, damit es besser wird?
Interessierte sollten zu Betrieben in ihrer Nähe gehen und ganz einfach fragen, was man gemeinsam tun kann, um eine Landwirtschaft zu unterstützen, die naturnäher ist. Viele Milchbauern zum Beispiel würden sehr gerne ihren männlichen Kälbern das Schicksal der langen Transporte zu Kälbermastbetrieben ersparen und ihnen auf der Weide ein schönes Leben gönnen. Das können die Landwirte, wenn es noch Schlachter in der Nähe gibt und genug Bürger, die sich am Fleisch dieser Tiere beteiligen.