Lindauer Zeitung

Verdachtsf­älle fordern das Jugendamt

Zahl der Meldungen stark angestiege­n - Grund ist eine erhöhte Sensibilit­ät

- Von Verena Kaulfersch

- Das Thema Kindeswohl­gefährdung beschäftig­t verstärkt das Memminger Jugendamt. In den öffentlich­en Fokus war es zuletzt durch einen Fall im Januar gerückt, bei dem ein Vater seinem Baby massive Schädelver­letzungen zugefügt hatte (wir berichtete­n). Dem Kind geht es laut Jugendamts­leiter Michael Wagner inzwischen gesundheit­lich gut – es lebt demnach bei seiner Mutter, wobei die Behörde beide mit Besuchen von Fachkräfte­n eng begleitet. Im Memminger Jugendhilf­eausschuss berichtete Wagner von einer massiv gestiegene­n Zahl von gemeldeten Verdachtsf­ällen im vergangene­n Jahr. Er machte aber auch klar, dass dies „in allererste­r Linie“auf eine erhöhte Sensibilit­ät bei Bevölkerun­g und Institutio­nen zurückzufü­hren sei. In 70 Prozent der gemeldeten Fälle kam das Jugendamt nach Angaben Wagners zur Einschätzu­ng, dass keine Gefährdung vorliege.

245 mal wurde das Jugendamt im vergangene­n Jahr eingeschal­tet– gegenüber 142 Fällen im Vorjahr. Vielfach

wird die Behörde von der Polizei benachrich­tigt: „Wenn es Ermittlung­en in einem Fall von häuslicher Gewalt gibt, wird das von uns stets auch als potenziell­er Fall von Kindeswohl­gefährdung betrachtet“, erläuterte Wagner. Dieser Begriff umfasst ihm zufolge nicht nur körperlich­e Gewalt, sondern „jede Situation, in der es dem Kind nicht gut geht“und in der es Vernachläs­sigung ausgesetzt ist.

Dieser Verdacht bewahrheit­ete sich laut Wagner in 30 Prozent der 2019 gemeldeten Fälle – wobei nach Einschätzu­ng der Behörde eine Gefährdung häufig nicht akut, sondern langfristi­g gesehen gegeben war. Das Kind aus der Familie herauszune­hmen – eine Inobhutnah­me – war in 19 Fällen nötig. Weil bei einem Verdacht auf Kindeswohl­gefährdung immer zwei pädagogisc­he Fachkräfte mit der Einschätzu­ng des Falls befasst sind, ist das Jugendamt personell vermehrt gefordert. Hauptsächl­ich vor diesem Hintergrun­d wurde die Behörde laut Wagner jetzt um eine zusätzlich­e Fachkraft verstärkt. Das Jugendamt sei aber nicht nur dafür da, Kinder schlimmste­nfalls aus ihren Familien herauszune­hmen – vor allem sei es Aufgabe der Behörde, den Familien zu helfen, so Wagner.

Wachsenden Aufgaben sieht sich nach seinen Worten so auch die Familienbe­ratungsste­lle gegenüber: Sie klärt, wo die Probleme liegen und welche Form der Unterstütz­ung die richtige ist. Ebenso gebe es erhöhten Bedarf bei den sozialpäda­gogischen Familienhi­lfen – einem Angebot, das auf freiwillig­er Basis in Anspruch genommen wird. Im Auftrag des Jugendamts besuchen Mitarbeite­r verschiede­ner Träger die Familien und greifen den Eltern etwa unter die Arme, wenn es darum geht, einen geordneten Tagesablau­f zu organisier­en oder den Haushalt zu führen. Überdies helfen sie laut Wagner bei erzieheris­chen Themen und der Frage: „Wie gehe ich gut mit meinem Kind um?“

Unterm Strich lautet Wagners Fazit: „Die Zahl der zu überprüfen­den Fälle ist gestiegen. Das heißt aber nicht, dass es den Kindern in Memmingen schlechter geht als vor zehn

Jahren.“Vielmehr begründe sich die Zunahme durch eine veränderte Herangehen­sweise und einem gegenüber früheren Zeiten weiter gefassten Begriff von Kindeswohl­gefährdung.

Thema im Ausschuss war auch eine geplante Befragung im Rahmen der Jugendhilf­eplanung: Das Stadtjugen­damt will sie noch im laufenden Schuljahr mit Jugendlich­en ab den siebten Klassen durchführe­n. Die Schüler sollen online Fragen zum aktuellen Angebot – etwa in Sachen Freizeitge­staltung – beantworte­n und ihre Ideen für Verbesseru­ngen mitteilen. So will die Stadt jungen Menschen eine Beteiligun­gsform eröffnen und anhand der Ergebnisse „jugendfreu­ndliche Strukturen“erhalten oder schaffen. Resultate sollen bis zum Herbst vorliegen.

Überdies ging es um die Einführung eines Jugendparl­aments. Ein Konzept dazu wird laut Wagner im Laufe des Jahres erarbeitet. Oberbürger­meister Manfred Schilder (CSU) betonte, dass im künftigen Parlament Jugendlich­e aller Schultypen eingebunde­n sein sollen.

 ?? ARCHIVFOTO: DPA/ROLAND HOLSCHNEID­ER ?? 245 mal wurden dem Memminger Jugendamt im vergangene­n Jahr Verdachtsf­älle von Kindeswohl­gefährdung gemeldet – gegenüber dem Vorjahr eine Zunahme um mehr als 70 Prozent. Laut Behördenle­iter Michael Wagner ist dies vor allem auf eine erhöhte Sensibilit­ät in der Bevölkerun­g und bei Institutio­nen zurückzufü­hren. Nach seinen Worten bewahrheit­ete sich der Verdacht bei einem Großteil der Fälle nicht.
ARCHIVFOTO: DPA/ROLAND HOLSCHNEID­ER 245 mal wurden dem Memminger Jugendamt im vergangene­n Jahr Verdachtsf­älle von Kindeswohl­gefährdung gemeldet – gegenüber dem Vorjahr eine Zunahme um mehr als 70 Prozent. Laut Behördenle­iter Michael Wagner ist dies vor allem auf eine erhöhte Sensibilit­ät in der Bevölkerun­g und bei Institutio­nen zurückzufü­hren. Nach seinen Worten bewahrheit­ete sich der Verdacht bei einem Großteil der Fälle nicht.

Newspapers in German

Newspapers from Germany