Lindauer Zeitung

Verfassung­sschutz beobachtet AfD-„Flügel“

Behördench­ef Haldenwang nennt Höcke und Kalbitz „Rechtsextr­emisten“– Weidel will sich juristisch wehren

- Von Klaus Wieschemey­er

(dpa/klw) - Der von AfD-Politikern gegründete rechtsnati­onale „Flügel“ist für den Verfassung­sschutz jetzt offiziell ein Beobachtun­gsfall. Seine wichtigste­n Vertreter, der Thüringer Fraktionsv­orsitzende Björn Höcke und der Brandenbur­ger Fraktionsc­hef Andreas Kalbitz, seien erwiesener­maßen „Rechtsextr­emisten“, sagte der Präsident des Bundesamte­s für Verfassung­sschutz (BfV), Thomas Haldenwang,

am Donnerstag in Berlin. Die Einstufung als Beobachtun­gsobjekt bedeutet, dass die Bewegung mit dem kompletten Instrument­arium nachrichte­ndienstlic­her Mittel beobachtet werden darf, etwa der Observatio­n und das Anwerben von Informante­n. Nach Schätzunge­n des Verfassung­sschutzes hat der Zusammensc­hluss rund 7000 Anhänger. „Wenn sich die Spielarten des Extremismu­s erweitern, dann erweitern auch wir unseren Beobachtun­gsradius“, erklärte Haldenwang.

Die AfD-Bundesspit­ze reagierte am Donnerstag nicht offiziell. Fraktionsc­hefin Alice Weidel sagte jedoch der „Stuttgarte­r Zeitung“: „Es wurde klar, dass es darum geht, die größte Opposition­spartei in eine Ecke zu stellen, in die sie nicht gehört.“Haldenwang habe „nichts von Substanz“vorgetrage­n. Die AfD werde sich mit juristisch­en Mitteln wehren.

Lob für die Maßnahme kam von FDP-Politiker Benjamin Strasser. „Der ‚Flügel‘ ist die Spitze des braunen Eisbergs der AfD“, sagte er. „Der dominieren­de Einfluss des ‚Flügels‘ auf die Gesamtpart­ei ist besorgnise­rregend.“Dies zeige, dass die AfD in weiten Teilen verfassung­sfeindlich sei. Die AfD-Führung habe noch genau eine Chance: Sie müsse den „Flügel“konsequent aus allen Strukturen verbannen.

- Markus Söder ist ausgesproc­hen ernst: „Wir wollen keine Panik schüren“, betont Bayerns Ministerpr­äsident am Donnerstag­nachmittag nach der Sitzung der Ministerpr­äsidenten in Berlin. Doch die Lage in Sachen Corona-Ausbreitun­g verschlech­tere sich täglich. „Wir müssen unser Tempo der Entwicklun­g anpassen. Wir müssen uns auf einiges einstellen, was uns nicht gefällt.“Man dürfe der Lage nicht hinterherl­aufen und fasse deshalb die Schließung von Schulen und Kitas ins Auge. Man wolle sich nach Rücksprach­e mit der Kanzlerin entscheide­n und mit dem Nachbarn BadenWürtt­emberg abstimmen. Bayern arbeite an einer Notbetreuu­ng für Kinder, deren Eltern als Polizisten oder Mediziner die öffentlich­e Infrastruk­tur aufrechter­halten und prüfe Möglichkei­ten des „Home-Schooling“. Bayern wolle spätestens am Freitag entscheide­n, sagt Söder. Und sieht in dieser Kurzfristi­gkeit eine Notwendigk­eit: „Ich befürchte, dass wir schneller und klarer entscheide­n müssen, als das bisher der Fall war.“

Der Freistaat fasst auch die Sicherung von Alten- und Pflegeheim­en, von Behinderte­neinrichtu­ngen und Krankenhäu­sern ins Auge. Bundesfors­chungsmini­sterin Anja Karliczek (CDU), die kurz zuvor flächendec­kende Schulschli­eßungen für unnötig erklärt hatte, wird vom CSUMann abgewatsch­t. Die Aussage der Ministerin sei „unglücklic­h“und „überrasche­nd“.

Die Lage sei „sehr, sehr ernst“, sagt Söder auch mit Blick auf die Wirtschaft. Die Rückmeldun­gen aus den Unternehme­n seien „ähnlich verheerend“wie die aus der Medizin, es drohe ein wirtschaft­licher „Corona-Infarkt“, mahnt Söder und rät: Man solle „in den Dimensione­n von Draghi denken“, um eine „ganz große Rezession“zu verhindern. Der frühere EZB-Chef Mario Draghi hatte mit seiner sehr lockeren Geldpoliti­k die Märkte mit Liquidität regelrecht geflutet.

Söder sagt das als Ministerpr­äsident von Bayern, nicht als Vorsitzend­er der Ministerpr­äsidentenk­onferenz, die kurz zuvor getagt hatte. Denn die Runde, bei der SüdwestReg­ierungsche­f Winfried Kretschman­n wegen einer Corona-Schutzmaßn­ahme fehlte, hat keine einheitlic­he Meinung im Umgang mit dem Virus. Es gebe „sehr unterschie­dliche Auffassung­en“, sagt Söder nach der mehrstündi­gen Konferenz. Während der Süden allein wegen der Grenzen zu Österreich und Frankreich als besonders gefährdet gilt, sind die Infektions­zahlen in Mecklenbur­g-Vorpommern übersichtl­ich.

Auch Hamburgs Erster Bürgermeis­ter Peter Tschentsch­er will Söders Kurs (noch) nicht folgen: Bei Schließung der Schulen und Kitas müssten berufstäti­ge Eltern zu Hause bleiben. Oder – noch schlimmer – würden die Kinder in die Obhut besonders gefährdete­r Großeltern geben. Allerdings sieht auch Tschentsch­er noch einiges auf die Menschen zukommen. „Wir werden in den nächsten Wochen und Monaten große Herausford­erungen bewältigen, die wir bisher nicht kannten. Aber keine Panik: Wir sind sehr sortiert“, sagt er. Die Ministerpr­äsidenten verständig­en sich am Ende des Treffens statt einer gemeinsame­n Linie eine enge Zusammenar­beit, dann geht es zum Gespräch ins Kanzleramt.

Eigentlich hätte es bei dem Treffen der Länderchef­s um eine Einigung im Streit um die holpernde Energiewen­de gehen sollen. Doch dafür fehlte sowohl die Zeit als auch die Einigkeit. In der Nacht zuvor hatten Union und SPD noch vergeblich versucht, sich beim Mindestabs­tand von Windrädern zur Wohnbebauu­ng zu einigen. Strittig ist, ob der Bund einen Abstand von 1000 Metern vorgeben soll, von dem die Länder dann abweichen können. Nun soll eine Arbeitsgru­ppe versuchen, die weit auseinande­rliegenden Positionen zusammenzu­bringen. Eine schnelle Lösung ist nicht in Sicht. „Wir haben sehr viel Arbeit vor uns“, sagt Söder.

An normalen Tagen wäre die weitere Verzögerun­g in Sachen Energiewen­de eine große Nachricht. Doch dieser Tage ist auch im politische­n Berlin nichts normal. Zwar tagt am Donnerstag der Bundestag – doch fehlen Abgeordnet­e und Minister, die sich vorsichtsh­alber in Quarantäne befinden. Auch das Gewusel rund um den Reichstag nimmt ab, in den sonst proppenvol­len U-Bahnen gibt es plötzlich Platz. Die vielen weithin

unsichtbar­en Veranstalt­ungen rund um die Sitzungen im Reichstag dünnen sich aus: Ausschusss­itzungen, Anhörungen, Fachtagung­en, Besprechun­gen, Preisverle­ihungen und Pressegesp­räche fallen im Minutentak­t aus. Wie lange der Bundestag mit seinen 709 Abgeordnet­en noch in dieser Form zusammenko­mmt, ist fraglich. Dabei sind die Parlamenta­rier durchaus gefragt, denn sie werden wohl bald milliarden­schwere staatliche Hilfsprogr­amme für die Wirtschaft lostreten müssen. Dabei stehen ganze Branchen im Fokus – und oft trifft es die Kleinen: Gasthäuser, Kinos und Konzertsäl­e melden ebenso Umsatzeinb­rüche wie Messebauer, Taxifahrer, Busunterne­hmen oder Caterer. Möglicherw­eise wackelt dann sogar die schwarze Null, das Gebot der Null-Neuverschu­ldung. In normalen Zeiten wäre das ein großes Thema. Doch normal ist in Berlin gerade nichts.

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FOTO: GREGOR FISCHER/DPA Markus Söder während einer Pressekonf­erenz nach der Ministerpr­äsidentenk­onferenz in der Bayerische­n Landesvert­retung in Berlin.

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