Verfassungsschutz beobachtet AfD-„Flügel“
Behördenchef Haldenwang nennt Höcke und Kalbitz „Rechtsextremisten“– Weidel will sich juristisch wehren
(dpa/klw) - Der von AfD-Politikern gegründete rechtsnationale „Flügel“ist für den Verfassungsschutz jetzt offiziell ein Beobachtungsfall. Seine wichtigsten Vertreter, der Thüringer Fraktionsvorsitzende Björn Höcke und der Brandenburger Fraktionschef Andreas Kalbitz, seien erwiesenermaßen „Rechtsextremisten“, sagte der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Thomas Haldenwang,
am Donnerstag in Berlin. Die Einstufung als Beobachtungsobjekt bedeutet, dass die Bewegung mit dem kompletten Instrumentarium nachrichtendienstlicher Mittel beobachtet werden darf, etwa der Observation und das Anwerben von Informanten. Nach Schätzungen des Verfassungsschutzes hat der Zusammenschluss rund 7000 Anhänger. „Wenn sich die Spielarten des Extremismus erweitern, dann erweitern auch wir unseren Beobachtungsradius“, erklärte Haldenwang.
Die AfD-Bundesspitze reagierte am Donnerstag nicht offiziell. Fraktionschefin Alice Weidel sagte jedoch der „Stuttgarter Zeitung“: „Es wurde klar, dass es darum geht, die größte Oppositionspartei in eine Ecke zu stellen, in die sie nicht gehört.“Haldenwang habe „nichts von Substanz“vorgetragen. Die AfD werde sich mit juristischen Mitteln wehren.
Lob für die Maßnahme kam von FDP-Politiker Benjamin Strasser. „Der ‚Flügel‘ ist die Spitze des braunen Eisbergs der AfD“, sagte er. „Der dominierende Einfluss des ‚Flügels‘ auf die Gesamtpartei ist besorgniserregend.“Dies zeige, dass die AfD in weiten Teilen verfassungsfeindlich sei. Die AfD-Führung habe noch genau eine Chance: Sie müsse den „Flügel“konsequent aus allen Strukturen verbannen.
- Markus Söder ist ausgesprochen ernst: „Wir wollen keine Panik schüren“, betont Bayerns Ministerpräsident am Donnerstagnachmittag nach der Sitzung der Ministerpräsidenten in Berlin. Doch die Lage in Sachen Corona-Ausbreitung verschlechtere sich täglich. „Wir müssen unser Tempo der Entwicklung anpassen. Wir müssen uns auf einiges einstellen, was uns nicht gefällt.“Man dürfe der Lage nicht hinterherlaufen und fasse deshalb die Schließung von Schulen und Kitas ins Auge. Man wolle sich nach Rücksprache mit der Kanzlerin entscheiden und mit dem Nachbarn BadenWürttemberg abstimmen. Bayern arbeite an einer Notbetreuung für Kinder, deren Eltern als Polizisten oder Mediziner die öffentliche Infrastruktur aufrechterhalten und prüfe Möglichkeiten des „Home-Schooling“. Bayern wolle spätestens am Freitag entscheiden, sagt Söder. Und sieht in dieser Kurzfristigkeit eine Notwendigkeit: „Ich befürchte, dass wir schneller und klarer entscheiden müssen, als das bisher der Fall war.“
Der Freistaat fasst auch die Sicherung von Alten- und Pflegeheimen, von Behinderteneinrichtungen und Krankenhäusern ins Auge. Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU), die kurz zuvor flächendeckende Schulschließungen für unnötig erklärt hatte, wird vom CSUMann abgewatscht. Die Aussage der Ministerin sei „unglücklich“und „überraschend“.
Die Lage sei „sehr, sehr ernst“, sagt Söder auch mit Blick auf die Wirtschaft. Die Rückmeldungen aus den Unternehmen seien „ähnlich verheerend“wie die aus der Medizin, es drohe ein wirtschaftlicher „Corona-Infarkt“, mahnt Söder und rät: Man solle „in den Dimensionen von Draghi denken“, um eine „ganz große Rezession“zu verhindern. Der frühere EZB-Chef Mario Draghi hatte mit seiner sehr lockeren Geldpolitik die Märkte mit Liquidität regelrecht geflutet.
Söder sagt das als Ministerpräsident von Bayern, nicht als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz, die kurz zuvor getagt hatte. Denn die Runde, bei der SüdwestRegierungschef Winfried Kretschmann wegen einer Corona-Schutzmaßnahme fehlte, hat keine einheitliche Meinung im Umgang mit dem Virus. Es gebe „sehr unterschiedliche Auffassungen“, sagt Söder nach der mehrstündigen Konferenz. Während der Süden allein wegen der Grenzen zu Österreich und Frankreich als besonders gefährdet gilt, sind die Infektionszahlen in Mecklenburg-Vorpommern übersichtlich.
Auch Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher will Söders Kurs (noch) nicht folgen: Bei Schließung der Schulen und Kitas müssten berufstätige Eltern zu Hause bleiben. Oder – noch schlimmer – würden die Kinder in die Obhut besonders gefährdeter Großeltern geben. Allerdings sieht auch Tschentscher noch einiges auf die Menschen zukommen. „Wir werden in den nächsten Wochen und Monaten große Herausforderungen bewältigen, die wir bisher nicht kannten. Aber keine Panik: Wir sind sehr sortiert“, sagt er. Die Ministerpräsidenten verständigen sich am Ende des Treffens statt einer gemeinsamen Linie eine enge Zusammenarbeit, dann geht es zum Gespräch ins Kanzleramt.
Eigentlich hätte es bei dem Treffen der Länderchefs um eine Einigung im Streit um die holpernde Energiewende gehen sollen. Doch dafür fehlte sowohl die Zeit als auch die Einigkeit. In der Nacht zuvor hatten Union und SPD noch vergeblich versucht, sich beim Mindestabstand von Windrädern zur Wohnbebauung zu einigen. Strittig ist, ob der Bund einen Abstand von 1000 Metern vorgeben soll, von dem die Länder dann abweichen können. Nun soll eine Arbeitsgruppe versuchen, die weit auseinanderliegenden Positionen zusammenzubringen. Eine schnelle Lösung ist nicht in Sicht. „Wir haben sehr viel Arbeit vor uns“, sagt Söder.
An normalen Tagen wäre die weitere Verzögerung in Sachen Energiewende eine große Nachricht. Doch dieser Tage ist auch im politischen Berlin nichts normal. Zwar tagt am Donnerstag der Bundestag – doch fehlen Abgeordnete und Minister, die sich vorsichtshalber in Quarantäne befinden. Auch das Gewusel rund um den Reichstag nimmt ab, in den sonst proppenvollen U-Bahnen gibt es plötzlich Platz. Die vielen weithin
unsichtbaren Veranstaltungen rund um die Sitzungen im Reichstag dünnen sich aus: Ausschusssitzungen, Anhörungen, Fachtagungen, Besprechungen, Preisverleihungen und Pressegespräche fallen im Minutentakt aus. Wie lange der Bundestag mit seinen 709 Abgeordneten noch in dieser Form zusammenkommt, ist fraglich. Dabei sind die Parlamentarier durchaus gefragt, denn sie werden wohl bald milliardenschwere staatliche Hilfsprogramme für die Wirtschaft lostreten müssen. Dabei stehen ganze Branchen im Fokus – und oft trifft es die Kleinen: Gasthäuser, Kinos und Konzertsäle melden ebenso Umsatzeinbrüche wie Messebauer, Taxifahrer, Busunternehmen oder Caterer. Möglicherweise wackelt dann sogar die schwarze Null, das Gebot der Null-Neuverschuldung. In normalen Zeiten wäre das ein großes Thema. Doch normal ist in Berlin gerade nichts.