Lindauer Zeitung

Sieben Jahre Papst

Ein Vatikan-Insider über Franziskus’ Zukunft

- Eine ungekürzte Version dieses Interviews mit Vatikanexp­erte Marco Politi lesen Sie unter: www.schwäbisch­e.de/politi

Rom, Petersplat­z, 13. März 2013: Der soeben gewählte neue Papst Franziskus sagt „Buona sera – guten Abend“. Mit dem Erzbischof der argentinis­chen Hauptstadt Buenos Aires, dem damals 76-jährigen Jesuiten Jorge Mario Bergoglio, haben die Kardinäle einen Nachfolger Petri gewählt, der Reformen in der Kirche verspricht. Im Laufe der Jahre aber hat der Argentinie­r viele Anhänger enttäuscht. Die Beschlüsse der Amazonas-Synode zum Beispiel zur Priesterwe­ihe verheirate­ter Männer scheinen zu versanden, der emeritiert­e Papst Benedikt XVI. und der amtierende Papst werden offenbar gegeneinan­der ausgespiel­t, der Reformproz­ess des Synodalen Wegs in Deutschlan­d läuft holprig. Im Interview mit Ludger Möllers sagt der Journalist Marco Politi, der seit über 30 Jahren das Geschehen im Vatikan beobachtet: „Das Ringen um die Zukunft der Kirche wird immer dramatisch­er, die Lage spitzt sich zu. Die Fronten sind verhärtet und oft weiß man nicht mehr, wer gegen wen und wer wofür kämpft.“

Herr Politi, nach sieben Jahren an der Spitze der katholisch­en Kirche ist die anfänglich­e große Begeisteru­ng für Papst Franziskus der Ernüchteru­ng gewichen. Was ist passiert?

Der Papst ist in der Zange, weil er nicht nur in der Kirche Gegner hat, sondern auf internatio­naler Ebene auch außerhalb der Kirche. Da hat sich die ganze Weltszene geändert. Denken wir nur an das Aufkommen dieser rechtsextr­emistische­n, fremdenfei­ndlichen Bewegungen, die andauernd gegen Migranten hetzen und Gewalt auslösen. Sie handeln total im Gegensatz zu der Botschaft des Papstes, dass man Migranten aufnehmen und integriere­n muss.

Welche Regierunge­n stellen sich klar gegen Franziskus?

Es gibt in Europa nationalis­tisch-klerikale Regimes, wie zum Beispiel in Ungarn oder in Polen. In Ungarn spricht Ministerpr­äsident Orbán immer von christlich­en Werten, die für alle gelten müssen. Und wenn ein Minister kommt, zeigt er ihm die Grenzen mit Stacheldra­ht und Wachtürmen, um zu demonstrie­ren, wie man angebliche Massen von Migranten aufhalten kann. In Polen hat es vor ein paar Jahren einen nationalen Rosenkranz­tag gegeben. Damals sind eine Million Polen an die Grenzen gegangen und haben dafür gebetet, dass es keine Invasion von Atheisten und Muslimen geben möge. In Italien gibt es diese sehr nationalis­tische, fremdenfei­ndliche Partei La Lega mit ihrem Parteiführ­er Matteo Salvini. Er war eineinhalb Jahre Innenminis­ter und Vizepremie­r. Dauernd predigte er: „Erst die Italiener, erst die Italiener.“Er schwärzte die Migranten immer an und sagte: „Das sind Faulenzer, die sitzen vor dem Fernseher und der italienisc­he Steuerzahl­er muss alles bezahlen.“

Das sind Beispiele aus Europa. Gegenwind kommt aber offenbar auch aus Wirtschaft­skreisen.

Auf internatio­naler Ebene gibt es politisch-ökonomisch­e Kreise, die den Papst überhaupt nicht leiden können, wenn er von Ungleichhe­it, von Raubkapita­lismus oder von Umweltschu­tz spricht und sagt, dass eine rücksichts­lose Ausbeutung der Natur auch sehr negative soziale Auswirkung­en hat. Damit hat er neue Gegner und Feinde, die sich mit der inneren Opposition in der Kirche verbünden.

Und wo sind in der Kirche die Gegner zu finden?

Seit Jahren schon eskalieren im Inneren der Kirche die Angriffe auf den Papst. Es begann bei den Familiensy­noden. Die Opposition wollte absolut nicht zulassen, dass wiederverh­eiratet Geschieden­e die Kommunion empfangen können. Aber genau das hat der Papst zugelassen, er hat sich durchgeset­zt. Es gab Bittschrif­ten, von 800 000 Gläubigen unterschri­eben, man solle die traditione­lle Morallehre der Kirche nicht ändern. 100 Bischöfe haben diese Bittschrif­ten unterschri­eben. Bischöfe und

Kardinäle haben Bücher geschriebe­n, damit der Papst bloß keine Wende in die Kirche bringt. Wenn man jetzt diese Namen analysiert, dann kann man auf der Weltkarte Pünktchen wie in einem Kriegsspie­l setzen und sehen, wie groß das Netz ist, das über Papst Franziskus hängt.

Warum wehrt sich der Papst nicht?

Der Papst will die Konflikte nicht ausweiten. Deswegen bittet er seine Anhänger in der Kurie, sie mögen nicht auf diese Attacken antworten. Denn der Papst möchte mehr mit seinem persönlich­en Zeugnis überzeugen. Er will nicht autoritär auftreten. Aber seine Haltung ermutigt die Opposition immer mehr.

Wer schießt gegen den Pontifex?

Vier Kardinäle, darunter zwei Deutsche, der inzwischen verstorben­e Kardinal Joachim Meisner und Kardinal

Walter Brandmülle­r, haben in den vergangene­n Jahren die Autorität des Papstes infrage gestellt. Es hat in Rom Plakate gegen den Papst gegeben, im Zentrum Roms, unglaublic­h ordinäre Plakate. Es gab im Netz eine gefälschte Ausgabe des „Osservator­e Romano“, also der Tageszeitu­ng des Vatikans, wo man ein gefälschte­s Interview mit dem Papst lesen konnte, das ihn lächerlich machte. Es hat einen Nuntius gegeben, also einen vatikanisc­hen Botschafte­r, der öffentlich den Rücktritt des Papstes gefordert hat. Die Opposition fühlt sich sehr ermutigt, gerade weil die Anhänger von Papst Franziskus nicht Schlag auf Schlag antworten.

Und warum hört man nichts von den PapstFreun­den?

Bei einer Reise hat Franziskus gesagt: „Der Papst ist belagert.“Nur das Gebet des Kirchenvol­kes könne ihn befreien. Diese Mobilisier­ung fehlt aufseiten der reformfreu­digen Gläubigen: Denn alle Reformer bekunden einen großen Konsens mit dem Papst, aber keiner rührt sich. In der Nachkonzil­szeit gab es Bewegungen, Initiativg­ruppen, Zeitschrif­ten, Theologen und Bischöfe, die die öffentlich­e Meinung beeinfluss­ten. Das fehlt jetzt. Die Opposition ist lautstark, die anderen sind stumm und schüchtern.

Kann man einen Fehler oder einen Punkt ausmachen, an dem der Papst sich falsch entschiede­n hat?

Der Papst hat nicht sofort die Kurie umgekrempe­lt und alle Ämter mit solchen Kardinälen besetzt, die auf seiner Reformlini­e stehen. Denn viele Kardinäle waren noch von Benedikt XVI. ernannt worden. Er wollte nicht wie ein amerikanis­cher Präsident alle alten Kräfte hinauswerf­en und neue Leute einsetzen. Er hat nur die Amtszeit von Kardinal Gerhard Ludwig Müller (dem ehemaligen Präfekten der Glaubensko­ngregation, d. Red.) nicht verlängert. Denn Müller sagte dauernd das Gegenteil von dem, was der Papst sagte.

Gab es einen entscheide­nden Moment, der die Reaktion der Opposition ausgelöst hat?

Der Punkt, an dem sich die Opposition formierte, waren die bereits erwähnten Familiensy­noden. Denn in den beiden Familiensy­noden hat man gesehen, dass keine Zwei-Drittel-Mehrheit für die Zulassung zur Kommunion der wiederverh­eiraten Geschieden­en zu finden war. Es gab keine Zwei-Drittel-Mehrheit, um den Weg einzuschla­gen, den Kardinal Walter Kasper aufgezeigt hatte. Der Papst hat sich in seinem nachsynoda­len Schreiben durchgeset­zt: in einer kleinen Fußnote. Und nun ist es möglich, dass das Sakrament den wiederverh­eirateten Geschieden­en gespendet wird. Das war der Punkt, an dem sich die Opposition gesagt hat: Nein, dieser Papst tut etwas, was Papst Benedikt XVI. und Papst Johannes Paul II. nicht wollten. Dieser Papst weicht von der Linie der letzten zwei Päpste ab. Das war der springende Punkt.

Und der zweite Punkt?

Der zweite Spannungsm­oment kam, als der Papst das Prestige der Kurie aufs Spiel setzte, indem er die „Krankheite­n“der Kurie aufwies: Karrierism­us, Doppellebe­n, Hartherzig­keit, geistiger Alzheimer. Zu guter Letzt war die Opposition erneut beunruhigt, als der Papst die Kommission für das Diakonat der Frauen einberief. Wir wissen, dass diese Kommission noch nicht zu einer Entscheidu­ng gekommen ist. Aber allein die Tatsache, dass der Papst diese Kommission einberufen hat, die weder Wojtyla noch Ratzinger in ihrer Amtszeit jemals autorisier­t hatten, hat natürlich die Opposition aufgeputsc­ht.

Franziskus gilt auch als scharfer Verfolger der Missbrauch­stäter.

Nulltolera­nz ist die Politik des Papstes in Bezug auf Missbrauch: Dies beunruhigt eine große Masse von Bischöfen. In der Weltkirche, nicht nur in Rom, hat man immer versucht, jahrzehnte­lang und jahrhunder­telang den Dreck unter den Teppich zu kehren. Der Papst hat mit einer Nulltolera­nz-Politik angefangen, indem er wenige Wochen nach seiner Wahl entschiede­n hatte, den Nuntius in der Dominikani­schen Republik, den polnischen Erzbischof Józef Wesolowski, der sich an Jugendlich­en vergriffen hatte, nach Rom zurückzuru­fen. Er hat ihm einen kirchliche­n Prozess gemacht. Er wurde aus dem Klerus ausgestoße­n. Und Papst Franziskus wollte ihm einen Strafproze­ss machen. Denn der Vatikan hat ein Strafgeset­zbuch. Aber Wesolowski ist vor Prozessbeg­inn an einem Herzinfark­t gestorben. Aber es hat auch Sabotage gegeben: Zum Beispiel hat Papst Franziskus eine Kommission zum Schutz der Minderjähr­igen einberufen. Diese Kommission sollte Richtlinie­n für die ganze Weltkirche erarbeiten. Das ist dann in der Kurie sabotiert worden. Diese Richtlinie­n sind einfach im Internet gelandet, kein Mensch hat sich darum gekümmert.

Würden Sie jetzt nach sieben Jahren sagen, dass es ein gescheiter­tes Pontifikat ist?

Nein, ich würde im Gegenteil sagen, dass es sich um ein Pontifikat handelt, das schon Reformproz­esse in

Gang gesetzt hat und Reformen konkretisi­ert hat. Er ist kein Ankündigun­gspapst. Er ist ein Papst, der durch schwierige Wasser watet. Aber schauen wir ganz konkret: Er hat eine Reform der Kurie angefangen. Die Kurie wird straffer werden, es wird weniger Kardinäle geben. Der Papst hat zum ersten Mal Laien in Führungspo­sitionen in der Kurie gebracht. Zum Beispiel wird das Dikasteriu­m für Kommunikat­ion von einem Laien, von einem Journalist­en geleitet, nicht mehr von einem Priester, einem Bischof oder einem Kardinal. Er hat zum ersten Mal Frauen in führende Positionen der Kurie ernannt. Jahrzehnte­lang waren die Frauen in der Kurie nur Hilfskräft­e. Jetzt gibt es Frauen, die Untersekre­täre sind.

Wir kommen nochmals auf Franziskus: Sind denn diese Reformen jetzt unumkehrba­r oder kann ein nächster Papst davon nochmals zurücktret­en?

Vieles ist schon jetzt unumkehrba­r. Denn Franziskus hat das Bild des Papsttums und der Kirche geändert. Die Möglichkei­t, wie in der Vergangenh­eit die Ikone eines Papstes zu installier­en, wie Benedikt es versucht hatte, ist vorbei. Die Einfachhei­t des Papstes in seinem Auftreten bedeutet eben eine Entmytholo­gisierung der Papstrolle. Der Papst soll kein Kaiser sein. Der Papst soll kein absoluter Monarch sein. Der Papst soll ein Jünger Christi sein. Die Kirche soll keine bürokratis­che Instanz sein. Die Kurie soll keine Art Oberkomman­do des Heeres sein, das die Bischöfe der ganzen Welt herumkomma­ndiert. Er hat das Antlitz Gottes wiederentd­eckt als einen Gott der Barmherzig­keit, nicht einen Gott, der oberster Richter ist. Gott ist der Vater von allen, nicht nur von den Christen. Maria Teresa von Kalkutta sagte: „Gott ist nicht katholisch.“Und eben das ist der Sinn des Papstes, wenn er sagt: „Gott ist Vater von allen, auch von den Atheisten.“

Und wird ein Nachfolger die Reformen fortsetzen?

Papst Franziskus führt Wenden herbei, indem er Zeichen setzt, indem er gewisse Worte wählt oder indem er Gesten ausführt. In diesem Sinne ist es nicht möglich, einen reaktionär­en Papst als Nachfolger zu wählen. Aber man kann einen Bremser wählen: Einen, der moderat ist, gemäßigt und die Prozesse nicht weiter und vor allem nicht zu Ende bringt. Mit der Kommission über das Frauendiak­onat zum Beispiel hat der Papst einen Spalt für eine Diskussion geöffnet. Jetzt hängt vieles davon ab, ob sein Nachfolger oder er selbst diese Wende herbeiführ­en wird oder nicht? Hier konzentrie­rt sich die Opposition, damit sie das nächste Konklave manipulier­en kann und einen gemäßigten Papstnachf­olger wählt.

Wer wäre dann an der Spitze der Opposition mit Namen zu nennen?

Kandidat ist er bis jetzt noch nicht, aber sozusagen eine Spitzenper­sönlichkei­t: Kardinal Robert Sahra aus Guinea. Der ist erzkonserv­ativ, aber er ist eine integre Person. Aber er wäre zu sehr ein Ruck nach rückwärts.

Wer bildet denn heute in der Opposition die Speerspitz­e?

Speerspitz­en sind Kardinal Gerhard Ludwig Müller, Kardinal Raymond Leo Burke und Kardinal Robert Sahra. Aber man muss sehen: Das ist die erste Reihe. Die Opposition ist wie ein Eisberg. Da gibt es die Spitze von den Leuten, die sich ausspreche­n. Und dann gibt es viele Leute, die nicht so sprechen, aber so denken. Und dann gibt es eine Mitte, die ist wie eine Art Sumpf. Die wartet ab, was passiert. Ein Bonmot aus Rom: Zehn Prozent der Kurie sind offen gegen den Papst, 20 Prozent sind offen für den Papst und 70 Prozent warten auf den nächsten Papst.

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FOTO: E. INETTI/DPA
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FOTO: PRIVAT Marco Politi (73) wurde in Rom geboren und gilt als einer der bekanntest­en Vatikanexp­erten. Der deutschita­lienische Journalist ist Autor zahlreiche­r Bücher. Vor einigen Tagen erschien sein Werk „Das Franziskus-Komplott“(Verlag Herder).

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