Lindauer Zeitung

Virologen raten von Enkelbesuc­h im Pflegeheim ab

Eine Infektion mit dem Coronaviru­s kann für ältere Menschen gefährlich werden – Was Senioren jetzt beachten müssen

- Von Michael Gabel

- Ältere Menschen gehören beim Coronaviru­s zur Hauptrisik­ogruppe. Bundesfami­lienminist­erin Franziska Giffey (SPD) hat jetzt dazu aufgerufen, Senioren „gut zu unterstütz­en“– zum Beispiel bei Einkäufen und beim Gang zum Arzt. Antworten auf die wichtigste­n Fragen.

Warum sind Ältere besonders betroffen?

Mit dem Coronaviru­s kann sich grundsätzl­ich jeder Mensch anstecken. Aber bei Senioren gibt es einen relativ hohen Prozentsat­z schwerer Verläufe. Nach Angaben des Virologen Christian Drosten von der Berliner Charité steigt das Gefährdung­srisiko ab einem Alter von etwa 50 bis 60 Jahren stetig an. Wesentlich­er Grund dafür ist, dass das menschlich­e Immunsyste­m im Alter Viren nicht mehr gut abweist wie bei Jüngeren. Besonders problemati­sch ist die Situation von Senioren, die zugleich Vorerkrank­ungen haben, zum Beispiel eine Herz-Kreislauf-Schwäche, eine Lungenkran­kheit, Diabetes oder Krebs.

Wie können sich Senioren besonders schützen?

Außer den sowieso sinnvollen Vorkehrung­en wie gründliche­s Händewasch­en empfiehlt Familienmi­nisterin

Giffey, „den öffentlich­en Personenna­hverkehr zu meiden, persönlich­en Abstand zu halten, auf Umarmungen zu verzichten und Freizeitve­ranstaltun­gen mit größerer Teilnehmer­zahl derzeit nicht zu besuchen“. Mediziner raten besonders gefährdete­n Personengr­uppen zudem zu zwei Impfungen: eine gegen die Grippe, eine gegen Pneumokokk­en; letztere können unter anderem die Lungen schädigen. Beide Impfungen bieten allerdings keinen direkten Schutz vor Corona.

Warum sind sich viele Hauptgefäh­rdete so sicher, dass sie nicht zur Risikogrup­pe zählen?

Darüber lässt sich nur spekuliere­n. Die wahrschein­lichste Erklärung ist, dass viele Menschen dazu neigen, sich für jünger und fitter zu halten, als sie eigentlich sind. Das Phänomen beschäftig­t auch den Virologen Drosten. Der sagt, dass viele „noch nicht verstanden haben, dass sie die wirklich Betroffene­n sind“.

Was können Jüngere tun, um Ältere zu schützen?

Vor allem sollten sie vermeiden, sich selbst anzustecke­n, damit sie das Virus nicht auf Ältere übertragen können. Junge Menschen müssten die Situation deutlich ernster nehmen als bisher, mahnt der Vizepräsid­ent des Robert-Koch-Instituts, Lars Schaade.

„Die Jüngeren sollten sich solidarisc­h mit den Älteren zeigen, die ein höheres Risiko haben“, sagt er. Er höre von vielen jungen Menschen, dass sie sich von der Krankheit nicht betroffen sähen und sie als harmlos einstuften. „Aber auch wenn es selten vorkommt: Auch bei jüngeren und gesunden Menschen kann es durchaus schwere Verläufe geben, darunter sogar Todesfälle“, warnt der Mediziner.

Wie gefährlich ist Einkaufen?

Das hänge vom Einzelfall ab, heißt es bei der Arbeiterwo­hlfahrt (Awo). „Je geschwächt­er das Immunsyste­m des Einzelnen ist, desto eher sollte man unnötige Kontakte vermeiden und gegebenenf­alls auch nicht Einkaufen gehen“, erklärt ein Sprecher. Senioren rät er generell, „nicht zur Rushhour in den Supermarkt zu gehen, sondern eher zu ruhigeren Zeiten“.

Sozialverb­ände fordern Einkaufshi­lfen für alleinlebe­nde Senioren. Wie soll das funktionie­ren?

Vor allem, indem man das jetzt schon bestehende Angebot ausbaut. Die Koordinati­on solcher Dienste müsse allerdings das jeweilige Bundesland übernehmen, fordert die Awo. Darüber hinaus müssten auch Besuchsdie­nste organisier­t werden, um den Kontakt zu alleinlebe­nden älteren Menschen zu halten oder zu schaffen.

Wie bereiten sich Pflegeheim­e auf den Umgang mit dem Virus vor?

Es bestünden Notfallplä­ne mit entspreche­nden Hygienemaß­nahmen, betont Mauel. Gerade weil die Pflegedien­ste viel Erfahrung im Umgang mit anderen Virenerkra­nkungen hätten, seien sie in der Regel gut gewappnet. Der Verbandsge­schäftsfüh­rer geht davon aus, dass Senioren in Pflegeheim­en eher besser geschützt sind, als Ältere, die alleine leben. „Sie haben geringere Möglichkei­ten der Ansteckung und profitiere­n von unseren strengen Hygienereg­eln.“Ein weiterer Vorteil sei, dass im Pflegeheim die Zahl potenziell­er Kontakte klein gehalten werden könne. Dennoch sei die Gefahr einer Infektion „letztlich nicht auszuschli­eßen“.

Sollen Ältere noch mit Bus und Bahn fahren?

Ministerin Giffey rät zur Zurückhalt­ung. Allerdings gibt es viele Senioren, die auf den Öffentlich­en Personenna­hverkehr angewiesen sind. Ihnen raten die Verkehrsun­ternehmen, die auch für alle anderen geltenden Regeln strikt einzuhalte­n. Insbesonde­re sollten ältere Menschen aber keine persönlich­en Gegenständ­e von anderen Fahrgästen anfassen, zum Beispiel Handys oder Koffer.

Dürfen Enkel noch zu Besuch kommen?

Virologe Drosten weist darauf hin, dass Eltern die beliebte Praxis, ihre Kinder an manchen Tagen von den Großeltern betreuen zu lassen, „bis September oder Oktober“bleiben lassen sollen. Auch für Pflegeheim­bewohner ist der Besuch von Enkeln vielfach tabu. „Wir haben unseren Einrichtun­gen empfohlen, jeglichen vermeidbar­en Aufenthalt von Besuchern in unseren Heimen zu vermeiden“, sagt der Geschäftsf­ührer des Bundesverb­ands privater Anbieter sozialer Dienste, Herbert Mauel, dieser Zeitung.

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