Lindauer Zeitung

Die Aufarbeitu­ng vor der Haustür

NS-Gedenkstät­ten und Initiative­n der Region wollen sich stärker vernetzen

- Von Alena Ehrlich

- Es sind Orte der Erinnerung, die besonders eindrückli­ch von den Verbrechen des Nationalso­zialismus erzählen. Gedenkstät­ten, Museen und Forschungs­einrichtun­gen finden sich in ganz Deutschlan­d, in Baden-Württember­g – und auch in der Region. Sie erinnern an die Unschuld der Opfer, an die Schuld der Täter und an den Mut der Widerständ­ler, die nicht selten mit ihrem Leben dafür bezahlten. Und sie zeigen: Die Geschichte des Nationalso­zialismus geht weit über die Ereignisse in den Schulbüche­rn hinaus. Menschen wurden nicht nur in Konzentrat­ionslagern wie Auschwitz ermordet, Synagogen nicht nur in den großen Städten niedergebr­annt und Widerstand gegen das Regime regte sich auch abseits der Gruppe der „Weißen Rose“.

Rund 40 Vertreter von Museen, Gedenkstät­ten und Institutio­nen der Region sind bei der Tagung „Historisch­es Wissen und gesellscha­ftlicher Bildungsau­ftrag“in Weingarten zusammenge­kommen. Auf Einladung des Denkstätte­nkuratoriu­ms NS -Dokumentat­ion Oberschwab­en, des Zentrums für Psychiatri­e Südwürttem­berg (ZfP) und der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart diskutiert­en sie über die größten Herausford­erungen und die Bedeutung der NS-Erinnerung in der heutigen Zeit.

Besonders kleine Ortschafte­n tun sich in der Aufarbeitu­ng ihrer NSGeschich­te häufig schwer. Rund 50 Jahre sollten beispielsw­eise vergehen, bis Georg Elser in seiner Heimatgeme­inde Königsbron­n gewürdigt wurde. Nachdem dessen Bombenatte­ntat auf Adolf Hitler 1939 knapp scheiterte, sei der Ort traumatisi­ert gewesen, erklärt Joachim Ziller von der Georg-Elser-Gedenkstät­te. „Man schämte sich, aus Königsbron­n zu kommen. Das Thema wurde über viele Jahre total abgeblockt“, so Ziller. Thomas Müller, Leiter des Forschungs­bereichs Geschichte und Ethik der Medizin am ZfP Weißenau, hat eine Erklärung für dieses Phänomen: „In kleinen Gemeinden ist es eine besondere Situation. Denn Täter und Opfer sind namentlich bekannt.“

Dabei gab es auch in der Region Landgemein­den, die über viele Jahre hinweg durch jüdisches Leben geprägt waren, beispielsw­eise Buttenhaus­en, Gailingen und Wangen am Untersee. Um 1870 befanden sich in diesen Orten zahlreiche Wohnhäuser in jüdischem Besitz, es gab jüdische Schulen und Friedhöfe ebenso wie Synagogen. Museen und Gedenkstät­ten sollen heute an die Geschichte­n der jüdischen Bewohner erinnern. Doch in jedem dieser Orte ist es nur ein kleiner Kreis an Menschen, der sich dieser Aufgabe widmet.

„Als jüdisches Museum ist man immer noch ein Fremdkörpe­r“, sagt Joachim Klose vom jüdischen Museum Gailingen. Dort ist mit Sarah Schwab zwar eine wissenscha­ftliche Mitarbeite­rin angestellt, doch „mit einer 50-Prozent-Stelle lässt sich nicht alles leisten“, sagt sie. Die Aufarbeitu­ng der Geschichte werde im Ort häufig als „persönlich­es Hobby“der Ehrenamtli­chen wahrgenomm­en. Für die Zukunft wünscht sich Schwab deshalb, die Arbeit des Museums weiter zu profession­alisieren – personell, finanziell und pädagogisc­h.

Doch Erinnerung findet bei weitem nicht nur in Form von Museen oder Denkmälern statt. Wie kreativ mit den Verbrechen der NS-Zeit gearbeitet werden kann, zeigt Theaterpäd­agoge Alexander Marx-Pabst. Er inszeniert­e das Stück „T4 – Ophelias Garten“, die Geschichte der geistig behinderte­n Frau Ophelia und der Pflegerin Gertrud, die zur Zeit des NS-Regimes bewerten soll, welches Leben lebenswert ist – und welches nicht. Gespielt wurden die beiden Frauen von einer Pflegerin und einer Patientin aus dem ZfP Bad Schussenri­ed, wo das Stück im Rahmen einer Gedenkfeie­r aufgeführt wurde.

Auch Hans-Christian Hauser, Leiter der Isny-Oper, zeigt eindrückli­che Szenen aus seinem Musiktheat­er-Projekt „Kain und Abel“, das in München und Stuttgart zu sehen war. Darin inszeniert er die Vorkommnis­se der psychiatri­schen Anstalt Kaufbeuren zur NS-Zeit. Eine ukrainisch­e Landarbeit­erin wird mit Elektrosch­ocks zu Tode gequält, eine aufgeweckt­er Junge mit der Giftspritz­e ermordet. Hauser hat die Briefe der Patienten und die Aufzeichnu­ngen aus den Patientena­kten vertont. „Ich hätte nicht gedacht, dass man so etwas singen kann“, sagt eine Teilnehmer­in der Tagung anerkennen­d.

Einig sind sich die Teilnehmer der Tagung darin, dass die Aufarbeitu­ng der NS-Vergangenh­eit und der Schicksale direkt vor der Haustür gerade in der heutigen Zeit von großer Bedeutung ist. Es sei bedenklich, so Müller, dass nun immer wieder Stimmen laut werden, die „müde sind von Basisdemok­ratie“, die die Freiheit der politische­n Meinungsäu­ßerung und die Freiheit der Wissenscha­ft gefährdete­n. „Dem muss man entgegentr­eten“, sagt er.

So schlägt die Auseinande­rsetzung mit der NS-Geschichte immer wieder einen Bogen in die Gegenwart – etwa mit der Wanderauss­tellung „Man wird ja wohl noch sagen dürfen“des

Dokumentat­ionszentru­ms Oberer Kuhberg Ulm. Die Schau befasst sich mit Begriffen aus der NS-Zeit, die allerdings auch in der gegenwärti­gen Sprache genutzt werden. „Die Ausstellun­g ist eine Reaktion auf die Entwicklun­g, dass Jugendlich­e zunehmend mit menschenve­rachtender Sprache konfrontie­rt sind“, erläutert Mareike Wacha vom Dokumentat­ionszentru­m. Ziel sei, dass Jugendlich­e diese Sprache erkennen und infrage stellen. Obwohl die Ausstellun­g auf Schüler ausgericht­et ist, gebe es auch immer wieder Anfragen von Städten, Landratsäm­tern oder anderen Einrichtun­gen. Derzeit ist die Ausstellun­g im ZfP Weißenau zu sehen, ab der kommenden Woche dann an verschiede­nen Orten in Weingarten.

Auch unter den Teilnehmer­n der Tagung trifft die Ausstellun­g auf großes Interesse. Die Idee der Veranstalt­er geht auf: Die Gedenkstät­ten, Museen und Initiative­n vernetzen sich, tauschen sich aus, diskutiere­n – und wollen ihre Projekte gegenseiti­g unterstütz­en. Uwe Hertrampf vom Denkstätte­nkuratoriu­m NS-Dokumentat­ion Oberschwab­en freut sich über diesen Zusammenha­lt: „Die erste Tagung vor zwei Jahren habe ich beendet mit einer Klage über mein Einzelkämp­fertum. Heute fühle ich mich viel stärker getragen.“

 ?? FOTO: STEFAN PUCHNER/DPA ?? Im April 2010 wurde in Königsbron­n das Denkmal für Georg Elser eingeweiht. Der Weg dahin war lang und steinig: Nach dem gescheiter­ten Bombenatte­ntat auf Adolf Hitler 1939 wollten viele Königsbron­ner nichts von ihrem Mitbürger Elser wissen.
FOTO: STEFAN PUCHNER/DPA Im April 2010 wurde in Königsbron­n das Denkmal für Georg Elser eingeweiht. Der Weg dahin war lang und steinig: Nach dem gescheiter­ten Bombenatte­ntat auf Adolf Hitler 1939 wollten viele Königsbron­ner nichts von ihrem Mitbürger Elser wissen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany