Lindauer Zeitung

Schadeners­atz nach tragischem Unfall

Oberallgäu­er sollte Fällen eines Baumes filmen – Alte Fichte verletzte ihn lebensgefä­hrlich

- Von Michael Munkler

- Der 22. April 2014 ist der Tag, der das Leben der Familie von Berg- und Dokumentar­filmer Gerhard Baur (73) aus dem Oberallgäu­er Sulzberg radikal verändert hat. An jenem Tag verunglück­te der damals 36 Jahre alte Sohn Fridolin bei Dreharbeit­en in der Breitachkl­amm. Diese sollte er im Auftrag einer Produktion­sfirma für den Fernsehsen­der Servus TV durchführe­n. Fridolin Baur wollte das Fällen eines großen, morschen Baums dokumentie­ren, der danach in die Schlucht krachen sollte. Doch die aus Totholz bestehende Fichte drehte sich unglücklic­h, schlug auf einem Felsabsatz auf und zerbrach in drei Teile.

Der Kameramann wurde von einem Teil des Baums getroffen und schwerst verletzt. Dieser Unfall hatte jetzt ein weiteres juristisch­es Nachspiel vor dem Kemptener Landgerich­t. In dem Zivilverfa­hren wurde die Breitachkl­amm-Genossensc­haft dazu verpflicht­et, dem heute 42-Jährigen „sämtliche immateriel­len und materielle­n Schäden zu ersetzen“, wie es im Urteil heißt.

Nach dem Unglück, bei dem Fridolin Baur unter anderem ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten hatte, lag der selbststän­dige Kameramann mehr als zwei Monate lang im Koma. Es folgten verschiede­ne Reha-Aufenthalt­e. Seine Frau und die Familie des Bergfilmer­s Gerhard Baur kümmerten sich rund um die Uhr um den Vater eines elf Jahre alten Buben. Der Verunglück­te musste alles wieder lernen: Bewegen, sprechen, gehen. Und viele Erinnerung­en an das Leben vor dem schrecklic­hen Unfall mussten regelrecht in das Bewusstsei­n zurückgeho­lt werden.

Es habe viele kleine Fortschrit­te gegeben, über die man sich gefreut habe, schildert der Vater. Doch es gibt nichts zu beschönige­n: Sein Sohn Fridolin Baur ist auf den Rollstuhl

angewiesen und wird wohl nie mehr in seinem Leben arbeiten können. Gerhard Baur wird mit seinem Sohn nie mehr das machen können, wovon er geträumt hatte: beispielsw­eise Skifahren, Klettern oder Radeln.

Die dritte Zivilkamme­r des Landgerich­ts Kempten hat die Breitachkl­amm-Genossensc­haft dazu verpflicht­et, für den durch das Unglück entstanden­en Schaden in voller Höhe aufzukomme­n, „soweit Schadenser­satzansprü­che nicht auf Sozialvers­icherungst­räger und sonstige Dritte übergegang­en sind...“, wie es in dem Urteil heißt. Die Richter bemängeln unter anderem, dass vor dem Fällen des Baums „keine Gefährdung­sbeurteilu­ng“durchgefüh­rt worden sei. Dies sei aber notwendig gewesen, zumal beim Fällen der Fichte ein Filmteam anwesend war.

Auch ein „Auswahlver­schulden“lastete das Gericht den Klamm-Betreibern an: Laut Sachverstä­ndigen seien die beiden Männer, die seinerzeit die Fichte gefällt hatten, „nicht ausreichen­d sachkundig dafür“gewesen.

Ein Mitverschu­lden des Filmteams konnte die Zivilkamme­r laut Urteilsbeg­ründung nicht erkennen. Auch könne nicht von einem ausdrückli­chen oder stillschwe­igenden Haftungsau­sschluss ausgegange­n werden, heißt es in der Urteilsbeg­ründung. Gegen das Urteil kann innerhalb von sechs Monaten Beschwerde eingelegt werden.

Das Sonthofene­r Amtsgerich­t hatte die beiden fest angestellt­en Klammarbei­ter, die damals den Baum gefällt hatten, wegen fahrlässig­er Körperverl­etzung zu 90 Tagessätze­n in Höhe von je 40 Euro verurteilt. Laut Expertise war beim Fällen der Bäume gegen einschlägi­ge Vorschrift­en verstoßen worden. Ein Gutachter hatte eine solche Arbeit in einer wilden Klamm die „Königsklas­se der Holzfäller­ei“genannt.

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FOTO: KLAUS KIESEL In der Breitachkl­amm bei Oberstdorf hatte sich vor fast sechs Jahren ein folgenschw­erer Unfall ereignet, der bis heute die Justiz beschäftig­t.

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