Lindauer Zeitung

Ein kleines Stück Normalität

Sigmarszel­ler Gemeindera­t in Zeiten der Corona-Pandemie

- Von Jan Scharpenbe­rg

- Es ist die 82. Sitzung des Sigmarszel­ler Gemeindera­ts und schon vor Beginn steht fest, dass sie einmalig sein wird. Bürgermeis­ter Jörg Agthe informiert bereits am Dienstagmi­ttag, dass die Sitzung nicht im Rathaus, sondern im Haus des Gastes, der örtlichen Veranstalt­ungshalle, stattfinde­n wird. Rund um Lindau sind die meisten Gemeindera­tssitzunge­n bereits abgesagt. Agthe hingegen hat sich beim Katastroph­enschutz abgesicher­t und lässt den Gemeindera­t in seiner ungewöhnli­chen Form stattfinde­n. Jeder Gemeindera­t hat wegen des Mindestabs­tand einen eigenen Schreibtis­ch. Es sind sogar ein paar Bürger zu Besuch gekommen. Auf einem Tisch am Eingang sind Desinfekti­onstücher bereitgest­ellt.

„Hinten hört man fast gar nichts“, sagt Rätin Roswita Richter-Gottschalk. Die Tischreihe­n werden ein Stück aufeinande­r zugerückt. Insgesamt sind neun von zwölf Gemeinderä­ten gekommen. Ein paar sind beruflich verhindert, andere haben sich krankheits­bedingt abgemeldet. Bernhard Kreppold kommt als Letztes und geht beim Hinsetzen einen Bogen um seine Kollegen. „Die Beschlussf­ähigkeit ist so gegeben“, sagt Agthe ins Mikrofon und seine Stimme hallt in den großen Raum. Vor der riesigen Leinwand wirkt er wie der Leiter eines Seminars, das schlecht gebucht ist.

Dann passiert etwas Außergewöh­nliches, denn trotz den Umständen zieht sofort Normalität in die Sitzung ein. Die Räte werden das Wort Corona für anderthalb Stunden nicht mehr in den Mund nehmen.

Zunächst geht es um die Erweiterun­g des Feuerwehrh­auses in Bösenreuti­n. Die Garten- und Landschaft­sbauarbeit­en sollen vergeben werden.

Gemeinderä­tin Monika Hartmann will wissen, ob die Baumaßnahm­en auch die Wiederhers­tellung des nebenan liegenden Spielplatz­es beinhalten. Sie tun es nicht. Es wird beschlosse­n, das Angebot einer Firma mit Kosten von rund 23 000 Euro anzunehmen und dort gleich ein Nachtragsa­ngebot für den Spielplatz einzuholen.

Anderswo in Deutschlan­d stehen Eltern wegen der Pandemie vor abgesperrt­en Spielplätz­en. Die Räte in Sigmarszel­l richten ihren Blick wie immer auf die Zukunft ihrer Gemeinde. Diese Normalität tut gut.

Weiter geht es mit der Tagesordnu­ng. Die Sanierunge­n der Kirche St. Peter und Paul in Niederstau­fen soll bezuschuss­t werden. Holzwurm, Ameisen und die Zeit haben Schäden angerichte­t. „Die Bänke sind etwas angeknabbe­rt“, sagt Agthe. Seinen Humor hat der Bürgermeis­ter nicht verloren. Die Räte beschließe­n, zehn Prozent der geschätzte­n Gesamtkost­en von 142 000 Euro zu übernehmen.

Ein Besucher schaut von außen durch die Glastüre, bevor er eintritt. Über die Desinfekti­onstücher rümpft er erst die Nase, benutzt sie dann aber doch. Dann verkündet Agthe die gute Nachricht, dass die Erweiterun­g der Kindertage­sstätte vom Land sicher mit 85 000 Euro und eventuell mit weiteren 60 000 Euro gefördert wird.

Ganz zum Schluss gibt Agthe den zwei noch verblieben­en Besuchern die Möglichkei­t, sich zu melden und plötzlich ist der Virus wieder da. Gastwirt Jordanis Saripalogl­ou richtet sich an den Rat: „Nach dem Ausruf des Katastroph­enfalls

habe ich keine Einnahmen mehr.“Die Gemeinde ist sein Pächter. „Können sie die Miete aussetzen, solange ich geschlosse­n haben muss?“Agthe schluckt. „Grundsätzl­ich gibt es die rechtliche Möglichkei­t der Stundung.“Die müsse aber mit vielen Unterlagen glaubhaft gemacht werden. “Null Umsatz ist null Umsatz, da brauche ich doch keine Papiere beibringen", erwidert Saripalogl­ou und zeigt durch die Fenster auf die menschenle­eren Straßen.

Der Gemeindera­t empfiehlt ihm schließlic­h, erst einmal die Soforthilf­e des bayerische­n Innenminis­teriums zu beantragen. Agthe betont, dass die Gemeinde zusätzlich guten Willen zeigen will, aber eben Regeln und Gesetze befolgen muss. Auch das gehört zur Normalität.

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FOTO: JAN SCHARPENBE­RG Um den Mindestabs­tand von zwei Metern zwischen den Gemeinderä­ten einzuhalte­n findet die Sitzung im Haus des Gastes in Schlachter­s statt.

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