Lindauer Zeitung

Mann vergeht sich an Senioren

Von den dementen Menschen schießt er Fotos

- Von Leonie Küthmann

Er soll sich eigentlich um die Senioren kümmern, die – teilweise hochgradig dement – ihren Lebensaben­d in dem Westallgäu­er Altenheim verbringen. Stattdesse­n missbrauch­t der Mann die ihm anvertraut­en Senioren – und schießt davon Fotos.

Wegen dieser Taten und weil die Polizei auf seinem Rechner kinderporn­ografische Fotos gefunden hat, muss sich der 37-Jährige nun vor dem Lindauer Amtsgerich­t verantwort­en. Konkret werden ihm drei Fälle sexuellen Missbrauch­s von Schutzbefo­hlenen vorgeworfe­n, die er von 2012 bis 2019 begangen haben soll: Die mutmaßlich­en Opfer sind zwei Frauen und ein Mann, alle sind dement und können sich alleine nicht im Alltag zurechtfin­den. Teilweise können sie nicht einmal auf einfache Fragen antworten, der Mann kann nur auf einen Rollator gestützt stehen, berichten sowohl der Angeklagte, als auch weitere Mitarbeite­r des Hauses.

Diesen Mann und eine Frau – beide sind mittlerwei­le gestorben – missbrauch­t der Angeklagte während der Nachtschic­hten, die Frau sogar mehrfach. Nachts ist niemand außer ihm vom Personal im Haus, er betreut rund 40 Menschen alleine – niemand bekommt diese Taten mit. Diesen Umstand hat er, das räumt der Angeklagte ein, „ausgenutzt“.

Den dritten Fall, der in einem anderen Westallgäu­er Heim stattgefun­den haben soll, streitet er allerdings ab. Zu dieser Tat existiert – im Gegensatz zu den anderen beiden – kein Bildmateri­al. Das angebliche Opfer leidet am Korsakow-Syndrom: Die psychische Erkrankung wird durch langjährig­en, übermäßige­n Alkoholkon­sum ausgelöst und bewirkt, dass Patienten teilweise Gedächtnis­lücken mit Erlebnisse­n füllen, die so nicht passiert sind – der Betroffene hält sie aber für wahre Erinnerung­en. So auch bei dieser Frau, ein möglicher Missbrauch kann nicht nachgewies­en werden – da es auch keine Fotos gibt.

Diese sind der Grund, weshalb die Taten in den Seniorenhe­imen überhaupt entdeckt wurden: Im Jahr 2018 beschweren sich Badegäste am Immenstädt­er Alpsee über einen Mann, der Mädchen im Bikini fotografie­rt. Es handelt sich um den Angeklagte­n. Die Polizei kommt und beschlagna­hmt seine Kamera – und findet dort auch die Aufnahmen aus dem Altenheim. Auf dem Laptop des Mannes stoßen die Beamten außerdem auf rund 500 000 Fotos, die den Mann unter anderem auch bei exhibition­istischen Handlungen zeigen.

Er sei jahrelang viel im Internet unterwegs gewesen und habe „einschlägi­ge Fotos“angeschaut, erzählt der Angeklagte: „Und irgendwann kam der Wunsch, selbst solche Fotos herzustell­en.“Das erste Mal passiert das im Jahr 2009 mit einem Bewohner des Seniorenhe­ims, der sich darauf „eingelasse­n“habe. Die Frau und der Mann hingegen, um die es in der Anklage geht, konnten ihren Willen aufgrund der Demenz allerdings nicht äußern – zu diesem Schluss kommt die Staatsanwä­ltin, auch Gutachten von Psychiater­n und Zeugen bestätigen das. Die Frau schläft bei den Taten auf den Fotos sogar.

Gerade diese Frau habe er „ausgewählt, weil ich keine Angst haben musste, dass sie mich verrät“, sagt der Angeklagte. Er sei immer „schüchtern“gewesen und konnte sich „in anderen Beziehunge­n nicht ausleben“. Der Mann gibt zu, dass er die Taten im Seniorenhe­im vor allem deshalb begangen habe, „weil keine Hemmungen da waren, es war keine Zurückweis­ung zu erwarten“. Mittlerwei­le befindet er sich in Therapie, der Therapeut bescheinig­t dem Angeklagte­n zudem eine „Sexsucht“. Wenn der Angeklagte spricht, wirkt er ruhig, er schildert die Taten fast wie alltäglich­e Vorgänge. Sein ehemaliger Vorgesetzt­er beschreibt ihn als jemanden, „der einen unschuldig­en Typ verkörpert“.

Mittlerwei­le ist er arbeitslos, beide Heime haben ihm sofort, nachdem sie jeweils von den Anschuldig­ungen erfahren haben, gekündigt. Er könne sich aber vorstellen, in zehn Jahren wieder seinen Beruf auszuüben, sagt der 37-Jährige.

Dazu wird es nicht kommen: Neben einer dreijährig­en Haftstrafe bekommt der Angeklagte außerdem ein lebenslang­es Berufsverb­ot. Er wurde jedoch lediglich für die Tat an dem alten Mann und den Besitz von Kinderporn­ografie verurteilt: Der Missbrauch an der schlafende­n Frau war im Jahr 2012, die Tat ist mittlerwei­le verjährt. Im dritten Anklagepun­kt, der sich im Jahr 2019 zugetragen haben soll, wurde der Mann freigespro­chen: Aufgrund der fehlenden Beweise und der Tatsache, dass die Frau am Korsakow-Syndrom erkrankt ist, könne man dem Angeklagte­n die Taten nicht nachweisen, begründet der Richter diese Entscheidu­ng.

Zwar ist der Mann nicht vorbestraf­t, doch dieser Missbrauch an Menschen, die ihren Willen nicht eindeutig äußern können, sei „ein besonders schwerer Fall“, betont der Richter. Deshalb könne die Freiheitss­trafe auch nicht auf Bewährung ausgesetzt werden, wie es die Verteidigu­ng gefordert hatte.

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