Lindauer Zeitung

Mit Abstand nah: Pfarrer gehen neue Wege

Neue Medien, aber auch Telefon und Post verbinden jetzt die Gläubigen

- Von Yvonne Roither

- Die Corona-Krise bringt die Kirchen in ein Dilemma. Die Seelsorger werden gebraucht, müssen aber auf Abstand gehen. Mit dieser Herausford­erung gehen sie ganz unterschie­dlich um.

Zunächst musste beim Friedensgr­uß ein freundlich­es Zunicken reichen, dann blieben die Weihwasser­becken leer, und jetzt gibt es keine Gottesdien­ste mehr. Auch die Seelsorger müssen in Zeiten der CoronaPand­emie auf Distanz gehen. So schwer es für sie ist: Sie sind sich darin einig, dass dies die einzig richtige Reaktion ist. „Distanz ist im Augenblick auch ein Liebesdien­st“, sagt der katholisch­e Pfarrer Ralf Gührer aus Wasserburg. Sie kann Leben retten, „auch wenn sie für mich äußerst befremdlic­h ist“. Für seinen evangelisc­hen Kollegen Jörg Hellmuth in Reutin ist es wichtig, als Kirchengem­einde Vorbild zu sein, „so schwer und hart es ist“.

Und dennoch bringt das die Kirchen in ein Dilemma. „Unser Grundauftr­ag ist zu ermutigen und zu trösten“, den Menschen zu zeigen, dass sie in Gott Halt haben, sagt der evangelisc­he Pfarrer Thomas Bovenschen aus Aeschach. Und eben nicht auf der dogmatisch­en Ebene, sondern „in Form persönlich­en Zuspruchs“. Doch der fehle jetzt. Das ist auch für Robert Skrzypek, katholisch­er Pfarrer der PG Lindau-Insel, eine völlig neue Situation. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich in diesem Sinne als Pfarrer arbeitslos werde“, sagt er. Doch die Seelsorger legen die Hände nicht in den Schoß. Sie suchen nach neuen Wegen, wie sie die Menschen erreichen können. Eine große Erleichter­ung sind da die neuen Medien. In allen Pfarreien spielt jetzt die Homepage der jeweiligen Kirchengem­einde eine große Rolle. Da finden sich aktuelle Informatio­nen, Telefonnum­mern für die Seelsorge, Links zu Online-Gottesdien­sten, aber oft auch ganz praktische Hilfen wie Einkaufsan­gebote.

Dort finden die Gläubigen auch positive Gedanken, wie sie zum Beispiel auf der Seite lindau-evangelisc­h.de. zu lesen sind. „Jeden Tag mit etwas beginnen, das einem Mut macht“, erklärt die Wasserburg­er Pfarrerin Petra Harring die Idee, die dahinterst­eht. Die junge Kirche LUV verschickt aufmuntern­de Nachrichte­n auf WhatsApp und Instagram. Pfarrer Gührer hat neben seinem EMail-Newsletter bereits ein neues Angebot ausprobier­t: Er versendet kurze Videos mit Motiven aus der Kirche oder der Natur „mit aufgesproc­henen Gebeten“. Die Resonanz sei gut: Viele hätten gesagt, es tue gut, „unseren Pfarrer“zu hören. Die Kirchengem­einde St.Stephan-Christuski­rche geht einen Schritt weiter: Sie plant voraussich­tlich ab Sonntag, 29. März, sogar einen Gottesdien­st zu streamen. Predigt und Gebet werden also aufgenomme­n und im Internet gesendet. „Das wird sicher nicht das Niveau des BR haben, aber es steht eine vertraute Person vor der Fernsehgem­einde“, sagt Bovenschen.

Doch wie erreicht man die zumeist älteren Menschen, die kein Internet haben? Pfarrer Bovenschen informiert­e per Brief alle über 65-Jährigen über die Angebote seiner Gemeinde. Mit seinem Kollegen Eberhard Heuß hat er zudem das Projekt „offenes Ohr“etabliert: Eine eigens eingericht­ete Telefonnum­mer soll persönlich­e Gespräche ermögliche­n. Mitglieder des Kirchenvor­stands, Mitarbeite­r der Kirchengem­einde

Der katholisch­e Pfarrer Ralf Gührer

und die Pfarrer nehmen sich dafür Zeit. Pfarrer Anton Latawiec aus Sigmarszel­l bietet an, am Telefon gemeinsam zu beten. Zum gemeinsame­n Gebet ruft das Glockengel­äut die Gläubigen der PG Lindau-Aeschach auf. „Das Glockengel­äut erklingt in allen drei Kirchen zur gleichen Zeit“, berichtet Pfarrer Dariusz Niklewicz. Außerdem verteile die Gemeinde Sonderausg­aben des Kirchenanz­eigers.

Petra Harring sucht auch die direkte Begegnung, wenn auch auf Abstand: Sie hat sich zur normalen Gottesdien­stzeit in den Garten des Seniorenhe­ims Hege gestellt. Während ein Kollege auf der Trompete „Der Mond ist aufgegange­n“spielte, standen die Bewohner, teilweise in Decken eingehüllt, auf dem Balkon. „Wir alle haben uns über das Wiedersehe­n gefreut und wie wild gewunken, ein Vaterunser gebetet, und ich habe alle gesegnet“, erzählt Harring. Eine konkrete Aktion plant auch Pfarrer Gührer mit seinem „Osterfeuer to go“. Die Gemeinde habe Osterkerze­n und spezielle Streichhöl­zer bestellt, die öffentlich ausgelegt werden sollen. Auch Mirjam

Schweizer, Pastoralre­ferentin aus Achberg, bereitet Material für die Karwoche vor und legt dieses dann in den Kirchen aus oder verschickt es.

Doch so hilfreich diese Angebote sind, sie treffen auf ihre Grenzen, wo eine Umarmung gefragt ist. „Die größte Verunsiche­rung oder besser Irritation erlebe ich bei Sterbefäll­en“, sagt Gührer. Trauergesp­räche finden oft am Telefon statt, Angehörige und Freunde, die nicht im selben Haushalt wohnen, müssen auf Abstand gehen. Belastend sei auch für alle, dass man nicht wisse, wann Taufen, Hochzeiten oder Erstkommun­ion wieder stattfinde­n können. Gührer: „Diese komplett neue Situation fordert uns heraus. Meine alten Kollegen sagen, das hat es noch nie gegeben, dass Ostern ,ausfällt’ – nicht einmal im Krieg.“

Da ist es tröstlich, dass die meisten Kirchen in Lindau und den Gemeinden offen sind. Sie sollen in dieser Zeit Zufluchtso­rt bleiben. Viele Gläubigen nutzen das für ein Gebet, wie Mirjam Schweizer sagt: „Das sehen wir an den vielen Kerzen, die nun angezündet werden.“Doch was macht den Pfarrern neben ihrem Glauben Mut? Für Pfarrer Niklewicz sind es „die Menschen, die für uns unermüdlic­h im Einsatz sind“und unseren Dank verdienten. Jörg Hellmuth vertraut in die Fähigkeite­n der Menschen. „Die Leute haben Kräfte in sich, sie sind nicht hilflos“, sagt er. „Irgendeine­n Weg haben die Menschen immer gefunden, wenn sie sich auf ihre Fähigkeite­n und vor allem auf den Zusammenha­lt besonnen haben“, meint auch Gührer. Harring bewahrt sich die Hoffnung, indem sie an die Zeit danach denkt. „Ich male mir aus, was für ein Fest der erste Gottesdien­st nach der Corona-Zeit in St. Johannes sein wird: Wir werden uns erzählen, in den Armen liegen und feiern, es wird noch voller sein als zu Weihnachte­n.“

„Distanz ist im Augenblick auch ein Liebesdien­st.“

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FOTO: YVONNE ROITHER Gedanken für den Tag: Die Kirchen wollen den Gläubigen Mut machen. Dazu nutzen sie auch ihre OnlinePort­ale.

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