Ein eiserner Wille: „Immer wieder am Schopf packen“
Nach einem fast tödlichen Rosenkratzer hat sich eine Lindauerin zurück ins Leben gekämpft – Jetzt will sie Senioren aufmuntern
- Gertrud Hillebrecht ist sehr ehrlich: Mit Blick auf die Corona-Pandemie und deren Folgen fühle sie sich derzeit „geschockt und deprimiert“. Dabei hat die heute 82-Jährige bereits einen harten Schicksalsschlag hinter sich: Vor einigen Jahren hat sie eine schwerste Blutvergiftung nur knapp überlebt. Und das Coronavirus schränke sie nun noch mehr ein, als ihre schwere Gehbehinderung ohnehin schon. Doch Hillebrecht gibt nicht auf. Sie freut sich einerseits auf den ersten Besuch einer jungen Helferin der Aktion „We care Lindau“. Und will zudem andere ältere Lindauer aufmuntern mit einem besonderen Geschenk.
Acht Jahre ist es jetzt her, seit die lebenslustige und früher auch sehr reiselustige Frau jenen verhängnisvollen Unfall erlitt: Sie sortierte einige ihrer Geburtstagsblumen, einen Rosenstrauß, in eine Vase – dabei hinterließ ein Dorn einen kleinen Riss am Finger. Eine kleine Unachtsamkeit, wie sie jedem passieren kann. Die letzte Freundin ging, Hillebrecht vergaß den Kratzer. Was sie an jenem Abend nicht ahnte: Der Rosendorn sollte ihr Leben komplett verändern.
Mit schweren Rückenschmerzen kam sie drei Tage später in ein Krankenhaus, schließlich in eine Intensivstation. Musste zweimal reanimiert werden, war eine ganze Zeit lang vom Kinn abwärts gelähmt: Die Blutvergiftung im Finger war erst sehr spät entdeckt worden. Gut zwei Jahre dauerte es, bis sich Hillebrecht mit eisernem Willen zurückgekämpft hatte in ein einigermaßen selbstständiges Leben: Mit Rollstuhl und Rollator zog sie in eine kleine barrierefrei erreichbare Gartenwohnung in Aeschach.
Dort lebt Hillebrecht noch heute. „Es gibt vieles, was mich interessiert und wenig, was tatsächlich realisiert werden kann“, hatte sie nach ihrem Einzug gesagt. Doch trotz der schweren Gehbehinderung als Folge der Blutvergiftung hat sie sich in ihrem neuen Leben eingerichtet.
Und nun – Corona! Fragt man Gertrud Hillebrecht, wie es ihr geht, dann ist sie sehr ehrlich: „Wie fast allen Menschen – geschockt und deprimiert!“Mit ihren heute 82 Jahren zählt die Seniorin, die als junge Frau voller Begeisterung tauchte und etliche Jahre auf Zypern und im Oman lebte, mit Blick auf das Coronavirus zur Hochrisikogruppe. Und das krempelt ihr Leben erneut um.
So haben bisher oftmals ihre Freundinnen für sie eingekauft, wenn der Weg zum Supermarkt in Aeschach schmerzbedingt doch zu weit gewesen ist. „Aber die sind fast alle in meinem Alter“, stellt sie fest, müssen also selbst zu Hause bleiben. Bei der Lektüre der Lindauer Zeitung stößt sie auf die Initiative „We care Lindau“. Sie meldet sich dort, fragt nach – und freut sich: „Am Freitag kommt eine junge Frau und geht für mich einkaufen.“Für Hillebrecht ein großer Lichtblick angesichts der Beschränkungen, die ihr das Coronavirus auferlegt. „Ich sollte beispielsweise jeden Tag ein gutes Stück laufen, damit mein linkes Bein einigermaßen beweglich bleibt.“Doch soll sie sich angesichts der Gefahr, am
Covid-19 zu erkranken, noch aus der Wohnung heraustrauen?
Gertrud Hillebrecht lässt sich dennoch nicht hängen. Sie habe den Aufruf der LZ-Redaktion gelesen, für Bewohner der Pflegeheime zu zeichnen oder Briefe zu schreiben. „Da ist mir der Stapel Mandalas eingefallen, die ich immer noch aufhebe.“Die möchte sie nun jenem Lindauer Seniorenheim spenden, in dem sie nach zahlreichen Operationen und Klinikaufenthalten einige Monate gelebt hat. „Damit die Bewohner dort diese vorgezeichneten Mandalas selbst ausmalen können und so etwas Abwechslung in dieser schweren Zeit haben“, wie es die Aeschacherin ausdrückt. Für sich selbst hat Gertrud Hillebrecht ein ganz klares Motto, auch in Zeiten von Corona: „Immer wieder am Schopf packen.“