„Eine tatsächlich schwierige Aufgabe“
- Die Maßnahmen gegen die Corona-Ausbreitung legen auch die Wirtschaft lahm. Virologe Professor Thomas Mertens erklärt im Gespräch mit Daniel Hadrys, wie eine Exit-Strategie aussehen könnte.
Als Stichtag für eine mögliche Lockerung der Beschränkungen gilt der 20. April. Halten Sie das derzeitig für realistisch?
Ich will mich nicht auf einen „Stichtag“festlegen, aber bis dahin sollten wir Pläne für das weitere Vorgehen haben. Zunächst brauchen wir eine Bestandsaufnahme. Aus der Sicht eines Virologen, Epidemiologen und Arztes denke ich, dass wir bis jetzt relativ gut durch die Pandemie hindurchgekommen sind. Das liegt an den richtigen Entscheidungen unserer politischen Führung, an unserem im internationalen Vergleich hervorragenden Gesundheitssystem und daran, dass weitestgehend alle Bürger die beschlossenen Maßnahmen mitgetragen haben. Man kann einen Effekt der Maßnahmen an stagnierenden Zahlen der Neuinfizierten erkennen, aber wir brauchen noch Zeit, um zu sehen, ob dieser Effekt stabil bleibt.
Unabhängig davon muss jetzt über das weitere Vorgehen intensiv nachgedacht werden, denn mit den aktuellen täglichen Neuinfektionen würde es zu lange dauern, bis eine Gemeinschaftsimmunität (Herdenimmunität) einträte, selbst wenn man etwas willkürlich annimmt, dass die jetzige tatsächliche Infektionsrate vierfach höher liegt, als die dokumentierte, also bei etwa 25 000/Tag läge. Wenn, wie anzunehmen ist, nach Infektion Immunität besteht, müssen, um Gemeinschaftsimmunität zu erreichen, etwa 50 000 000 Menschen in Deutschland infiziert worden sein. Die Aufgabe ist nun, künftige Maßnahmen so zu gestalten, dass Risikopersonen weiter geschützt bleiben, dass die Kapazität unseres Gesundheitssystems weiter nicht überfordert wird und dass dennoch langsam gesellschaftliche Normalität möglich wird, sehr auch im Sinne unserer Wirtschaft. Ich würde dies mit einem „kontrollierten und steuerbaren Fluten“vergleichen, eine tatsächlich schwierige Aufgabe.
Müssen wir uns an Schutzmasken und Handy-Ortung gewöhnen?
Das Tragen von Schutzmasken ist Frage einer gesellschaftlichen Gewohnheit und Rücksichtnahme, wie man in Asien sehen kann, und gegen datenschutzrechtlich geprüfte Handy-Ortung habe ich nichts einzuwenden.
Wie kann Schulunterricht künftig gewährleistet werden?
Vielleicht müssen wir, im Sinne des zuvor Gesagten, verschiedene „Schultypen“wie Kindergarten, Grundschule, weiterführende Schulen, nacheinander starten. Das gehört zur guten Planung.
Wer sollte an einer Exit-Strategie mitarbeiten?
Sehr viele, vor allem müssen die letztlich geplanten Maßnahmen so gut erklärt und vermittelt werden, dass alle Bürger dann mitmachen, wenn es losgeht. An der Planung müssen unter anderem Politiker, Sozialwissenschaftler, Epidemiologen, Wirtschaftsfachleute, Ärzte, Juristen und spezialisierte Mathematiker beteiligt sein. Letztere, weil diese versuchen müssen zu berechnen, welche Auswirkung man von verschiedenen Maßnahmen erwarten muss. Eine tägliche Diskussion über getroffene Maßnahmen halte ich nach dem Start des „Flutens“nicht für sinnvoll, aber natürlich eine ausführliche spätere „Manöverkritik“.