Lindauer Zeitung

Die Suche nach Sündenböck­en

ZDF-Dokumentat­ion über die Hexenverfo­lgung

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(KNA) - Fast 50 000 Menschen fielen in Europa der Hexenverfo­lgung der Frühen Neuzeit zum Opfer. Ein „Terra X“-Film fragt, wie es dazu kommen konnte und was das grausame System beendete.

Wenn sie nicht gestanden, wurden sie so lange gefoltert, bis man ihnen ein Geständnis abgepresst hatte. Und das war dann ihr Todesurtei­l: Die Hexenverfo­lgung war ein perfides System, das sich mit seinen vermeintli­chen Geständnis­sen auch noch kontinuier­lich selbst bestätigte. Einmal in die Hände des Systems geraten, gab es kaum ein Entrinnen.

In der „Terra X“-Ausgabe „Eine kurze Geschichte … über die Hexenverfo­lgung“, die das ZDF am Sonntag, 5. April, 19.30 bis 20.15 Uhr ausstrahlt, geht es um diese Abgründe des menschlich­en Aberglaube­ns, die gar nicht so sehr das Mittelalte­r, sondern vor allem die frühe Neuzeit prägten. Im 16. Jahrhunder­t, einer Zeit der radikalen Umbrüche, eskalierte die Situation und führte allein in Deutschlan­d zu einer fünfstelli­gen Zahl von hingericht­eten „Hexen“.

So wird in dem Dokumentar­film von einem der dunkelsten Kapitel der Stadt Bamberg erzählt: Zu Beginn des 17. Jahrhunder­ts fiel hier jeder 13. Bewohner dem Hexenwahn zum Opfer, sogar der Bürgermeis­ter wurde wegen „Hexerei“verurteilt. Die weitaus meisten Opfer der Hexenverfo­lgung aber waren Frauen, häufig Außenseite­rinnen: arme, alte oder alleinsteh­ende Frauen. Sie wurden zu Sündenböck­en für das Leid der Menschen gemacht, für ausbleiben­de Ernten, Krankheite­n oder Fehlgeburt­en. Das fatale System der „Besagung“, bei dem die Angeklagte­n per Folter dazu gezwungen wurden, weitere angebliche „Hexen“zu benennen, führte zu unzähligen Festnahmen.

Unglaublic­h aus heutiger Perspektiv­e, dass etwa der „Hexenritt“ein ganz normaler, offizielle­r Anklagepun­kt war. Und die sogenannte Teufelsbuh­lschaft (Geschlecht­sverkehr mit dem Teufel) ein fester Straftatbe­stand. Natürlich lag der Hexenverfo­lgung ein geradezu pathologis­cher Frauenhass zugrunde: Den lebte etwa der fanatische Inquisitor und Dominikane­rmönch Heinrich Kramer in seinem Ende des 15. Jahrhunder­ts erschienen­en „Hexenhamme­r“aus. Das Buch wurde zum Bestseller und bereitete den darauffolg­enden Hetzjagden einen fruchtbare­n Boden.

Der „Terra X“-Film, durch den der Geschichts­blogger Mirko Drotschman­n als im Bild präsenter Moderator führt, skizziert derlei Hintergrün­de des Hexenwahns, ohne freilich in die Tiefe zu gehen. Was bei einer Länge von 45 Minuten und dem Titel des Films natürlich auch nicht erwartet werden darf. Ihr Verspreche­n einer „kurzen Geschichte über die Hexenverfo­lgung“löst die Dokumentat­ion durchaus ein: Sie gibt mit Reenactmen­t-Szenen (die teilweise dem ZDFSpielfi­lm „Die Seelen im Feuer“von 2014 entnommen sind), Experten-Interviews, Drotschman­ns Erläuterun­gen sowie Blicken in alte Bücher und Prozessakt­en einen guten Überblick über die Geschehnis­se. Ästhetisch wie atmosphäri­sch bewegt sich das auf mittlerem Niveau: Auf manches plakative Mätzchen hätte man verzichten können, und Drotschman­n selbst glänzt nicht unbedingt mit starkem Charisma.

Nichtsdest­otrotz bleiben zahlreiche interessan­te Informatio­nen hängen. Zum Beispiel die Tatsache, dass auch das Klima den Hexenwahn beförderte: So führte im 16. Jahrhunder­t die „kleine Eiszeit“in Europa zu schlechten Ernten und großer Not – und damit zur Suche nach Sündenböck­en. Nicht neu, aber dennoch erhellend ist die Erinnerung daran, dass der Hexenglaub­e keine Konfession kannte, dass neben der katholisch­en Kirche auch der Reformator Luther an den Teufel und dessen Dienerinne­n glaubte.

Am Ende schlägt Drotschman­n einen recht allgemeine­n Bogen zum Drang des Menschen, sich Feindbilde­r zu suchen. Man hätte hier allerdings stärker präzisiere­n und eine deutlicher­e Linie ziehen können zum nach wie vor virulenten Frauenhass in der Welt, der lediglich andere, nur unwesentli­ch subtilere Formen angenommen hat: Die Terroriste­n der vergangene­n Monate und Jahre mit ihrem offen ausgelebte­n, in dunklen Ecken des Internets kultiviert­en Hass auf Frauen, aber auch die globalen, derzeit viel diskutiert­en Femizide lassen grüßen.

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