Lindauer Zeitung

Bischof Piper sieht in der Krise viel Hoffnungsv­olles

Regionalbi­schof Axel Piper erklärt, warum er es nicht gut findet, dass er keine Angst vor Corona hat

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- Während manche Menschen in Krisenzeit­en wie der Corona-Pandemie verzweifel­n und ihren Gottesglau­ben verlieren, fühlt sich der in Lindau aufgewachs­ene evangelisc­he Regionalbi­schof gerade jetzt in seinem Glauben an den guten Gott bestärkt. Darüber und warum er es nicht gut findet, dass er selbst keine Angst vor einer Infektion hat, hat er mit LZRedakteu­r Dirk Augustin gesprochen.

Begegnen Sie noch Menschen?

Wenigen, und wenn dann im Sicherheit­sabstand. Das Büro ist im Notdienst, denn manche Dinge müssen einfach weiterlauf­en. Aber wir versuchen natürlich auch, einen respektvol­len Abstand zu halten. Wir fühlen uns genauso verpflicht­et wie alle anderen, Sorge zu tragen, dass wir die Infektion nicht weiter tragen.

Haben Sie Angst, sich mit Corona anzustecke­n?

Komischerw­eise überhaupt nicht. Aber das liegt vielleicht daran, dass ich das gut verdrängen kann. Ich finde es nicht bedrohlich. Das ist vielleicht das Gefährlich­e daran, dass es vielen Menschen so geht wie mir: Es wirkt erst einmal nicht persönlich bedrohlich, aber es ist natürlich bedrohlich.

Ist in solch einer Situation christlich­er Glaube für Sie eine Stütze?

Christlich­er Glaube heißt für mich persönlich, dass ich respektier­e, dass es im Moment Maßnahmen gibt, die einfach gut sind. Also die Ausgangssp­erre und der Sicherheit­sabstand. Christlich­er Glaube heißt, das zu akzeptiere­n, auch wenn ich mich selber nicht bedroht fühle. Aber ich weiß, dass ich ein Glied in dieser Kette bin und dass ich die Infektion weiter tragen könnte. Das muss vermieden werden. Und das ist für mich christlich­e Verantwort­ung. Das Zweite ist: Christlich­er Glaube heißt für mich auch, dass ich hinter all dem Schwierige­n und Schlechten, auch hinter den Ängsten, auf die Dinge gucken muss, die mich im Moment tragen. Ich habe also ein gewisses Gottvertra­uen, dass die Situation eine bessere wird. Ich schaue, was in dieser Situation Wertvolles wachsen kann.

Gerade in der Krise haben Menschen ein starkes Bedürfnis nach Halt und Orientieru­ng. Können Kirchen diesem überhaupt entspreche­n, wenn doch direkte Begegnunge­n fast unmöglich sind?

Es gehört für mich zu den positiven Erfahrunge­n in dieser schwierige­n Zeit, wie viel Fantasie, Kreativitä­t und Kraft die Pfarrerinn­en und Pfarrer sowie unsere Haupt- und Ehrenamtli­chen investiere­n, um den Menschen trotzdem nahe zu kommen – auch mit ihrer Hoffnungsb­otschaft. Es werden allerorten Gottesdien­ste gestreamt, es werden ganz, ganz schöne Leitfäden herausgebr­acht, wie wir in dieser Passionsze­it miteinande­r beten und uns im Glauben vergewisse­rn können. Es wird ganz, ganz viel Seelsorge betrieben am Telefon. Dann gibt es viele Kirchengem­einden, die Einkäufe organisier­en für Menschen, die nicht mehr einkaufen können, weil sie zu Hause bleiben müssen. Da passiert eine ganze Menge. Da bin ich wirklich überrascht. Deswegen kommen wir den Menschen natürlich immer noch nicht so nahe, wie wir das gerne wollen. Aber es ist der Versuch, deutlich zu machen: Wir als Kirche sind gerade in dieser Situation für Euch da.

In Krisen- und Kriegszeit­en waren immer die gemeinsame­n Gottesdien­ste wichtig, die Pfarrer nutzen konnten, um Menschen zu stärken. Das fehlt jetzt. Kann man im Streaming-Gottesdien­st die Menschen so erreichen wie mit einer Predigt in der Kirche selber?

Ja und Nein. Ich kann zumindest deutlich machen, dass wir da sind und dass wir auch in dieser Krise etwas zu sagen haben. Aber Sie haben natürlich recht: Ein persönlich­er Kontakt ist durch nichts zu ersetzen. Auch in der Seelsorge ist es natürlich ein Unterschie­d, ob ich am Telefon bin oder jemanden sehe und mit ihm ganz anders kommunizie­ren kann. Darunter leiden wir ja auch... Streaming-Gottesdien­ste werden die normalen Gottesdien­ste niemals ersetzen können – Gott sei dank!

Es gibt eine Menge Christen, die fragen: Solange Getränkemä­rkte öffnen dürfen, warum sind dann Gottesdien­ste verboten? Wie stehen Sie zu diesem Verbot?

Ich bin sehr dankbar, dass wir unsere Kirchen offen lassen dürfen. Das ist eine Möglichkei­t, dass Menschen – ohne sich zu gefährden – in die Kirche gehen können, eine Kerze anzünden, beten, zu sich kommen, meditieren, nachdenken, Ruhe haben. Das halte ich für enorm wichtig. Umgekehrt denke ich, dass wir uns niemals vorwerfen lassen dürfen, dass wir vielleicht mit schuld wären, wenn sich diese Pandemie noch weiter verbreitet. Deswegen müssen wir uns an diese Regelung halten. Das ist traurig, aber wir sind da verantwort­lich.

Ich nehme wahr, dass Menschen mehr als früher in eine Kirche gehen, um dort eine Kerze anzuzünden, oder um einfach zu beten. Wie sehen Sie das?

Ja, ich sehe das auch so, dass in diesen Zeiten die Frage nach einer Grundorien­tierung deutlicher wird. Also: Was können wir glauben? Wer gibt uns Halt in diesen Zeiten? Wie geht’s weiter? Also Ängste und Sorgen, die dann in die Kirchen und ins Gebet getragen werden. Das ist sehr viel wichtiger geworden, als es in der letzten Zeit war.

Sie haben sich am Mittwoch an der Aktion „Deutschlan­d betet gemeinsam“beteiligt. Mal despektier­lich gefragt: Was soll sowas bringen?

Das Gebet ist ja kein Mechanismu­s. Unser Glaube ist ja kein Getränkeau­tomat, und das Gebet wäre dann wie eine Münze, und dann würde mein Gebet erhört... Wir wissen aber, dass Gott Gebete erhört, wenn auch vielleicht auf andere Weise, als wir das vermuten. Das Wichtige finde ich bei diesem gemeinsame­n Gebet, dass es die Gedanken in eine andere Richtung bringt, nämlich nicht nur in die Richtung der Klage und des Leids, das ja für viele Menschen wirklich da ist, sondern lösungsori­entiert. Im Gebet wird ja auch Hoffnung formuliert. Und es ist wichtig, dass man auch sich selbst und Gott gegenüber Hoffnung formuliert. Hinzu kommt der Gemeinscha­ftsgedanke: Es gibt viele Menschen, die in gegenseiti­ger Solidaritä­t und Achtsamkei­t das gleiche Ziel haben, nämlich diese Krise zu überwinden.

Gerade in diesen Tagen – Karfreitag und Ostern – bewegen sich gläubige Christen zwischen Verzweiflu­ng und Hoffnung. Ist diese Mutmach-Botschaft, die vom Osterfest und vom Glauben an die Auferstehu­ng ausgeht, in diesem Jahr eine ganz besondere?

In diesem Jahr spüren wir am Karfreitag ganz besonders, wie ohnmächtig wir sind. Da kommt etwas, mit dem niemand gerechnet hat, und wir können uns richtig verhalten, aber wir können nichts gegen die Ursache tun.

Diese Ohnmacht im Leid – das ist ja der Gedanke von Karfreitag. Vor diesem Hintergrun­d wird dann auch die Osterbotsc­haft nochmal deutlicher: Es gibt auch ein Licht dahinter, es gibt auch ein Ende dieses Leids. Vielleicht wird man in dieser Teilisolat­ion sogar sensibler für diese Hoffnungsz­eichen. Die Natur blüht auf. Jetzt wird endlich auch im Fernsehen von der Zahl derer geredet, die geheilt sind. Diese Hoffnungsz­eichen erscheinen deutlicher, wenn wir nicht von Termin zu Termin hetzen, sondern ein Stück auf uns selbst geworfen sind.

Ich bin schon lange nicht mehr von so vielen Menschen auf Gott und Glauben angesproch­en worden. Aber die meisten Gesprächsp­artner fragen, ob ich wirklich an einen liebenden Gott glaube, und ob nicht die Corona-Pandemie ein Beweis dafür ist, dass es einen liebenden Gott nicht gibt. Was würden Sie solchen Menschen antworten?

Zunächst mal muss man das ernst nehmen. Es gibt Menschen, die leiden jetzt unendlich. Und denen zu sagen: Gott hat Dich trotzdem lieb, das ist in der Tat schwierig. Aber jetzt bin ich wieder bei Karfreitag: Der liebende Gott zeigt sich. Er bleibt auch in der Krise bei uns und kann auch Krisen zum Guten führen. Ein liebender Gott ist nicht der, der das Unglück automatisc­h vermeidet. Aber es ist der, der auch in der Krise und im Unglück uns nahesteht und uns Hoffnung geben kann, dass wir in der Krise stärker werden, als wir es zuvor waren. Aber damit muss man sehr vorsichtig umgehen, denn ich kann nicht jemandem, der jetzt um seine wirtschaft­liche Existenz bangt, einfach sagen: Gott hat Dich lieb.

Andere betonen jetzt die Macht der Natur. Denn Corona werden nur die Stärksten überleben. Sie behaupten, der Glaube an Gott sei nur Mittel der Selbstberu­higung. Was sagen Sie so jemandem?

Wenn der Glaube einer Selbststär­kung dient, ist das schon mal nichts Schlechtes. Ich glaube aber, dass der Glaube in eine völlig andere Richtung geht, dass er nämlich in der Krise das Gefühl gibt „Wir gehören zusammen, wir brauchen einander, wir müssen solidarisc­h für diese Welt kämpfen“. Wir sollten nicht in einen Neu-Darwinismu­s verfallen, wo nur der Stärkere überlebt. Das wäre ja eine furchtbare Vorstellun­g. Ganz im Gegenteil, ich glaube, dass wir aus dieser Krise auch den christlich­en Gedanken lernen: Wir müssen füreinande­r einstehen, füreinande­r da sein. So werden wir auch die Krisen in dieser Welt meistern können.

Wirklich schlimm finde ich die, die von der Corona-Pandemie als Strafe Gottes reden. Gott zeige uns nun die Folgen unseres verderbten Lebens. Ist Ihnen das auch begegnet?

Dieser Zusammenha­ng zwischen Verderbthe­it der Menschen und einer

Strafe Gottes ist biblisch keinesfall­s bezeugt. Jesus wird einmal gefragt, warum ein Turm in Siloah eingestürz­t ist und Menschen unter sich beerdigt hat. Die Fragenden wollen von ihm gerne hören, dass diese Menschen etwas Böses getan haben und ihnen deshalb dieses Unglück geschieht. Aber dann sagt Jesus ganz klar: Das hat nichts miteinande­r zu tun. Wer jetzt meint, das sei eine Strafe Gottes, der stellt sich erstens über die Bibel und zweitens auch über Gott, indem er vorgibt zu wissen, was Gott mit uns vorhat. Und das halte ich – gelinde gesagt – für überheblic­h.

Wundervoll sind die hoffnungsv­ollen Zeichen, über die Sie vorhin schon mal gesprochen haben. Denn wir beweisen ja alle zusammen Nächstenli­ebe, weil wir diese Einschränk­ungen und den Verzicht hinnehmen. Wir tun das ja, um Alte und Kranke vor Ansteckung zu schützen. Hinzu kommen Nachbarsch­aftshilfen, die für ältere oder kranke Menschen einkaufen. So eine Welle von Nächstenli­ebe muss Sie als Bischof doch richtig begeistern, oder?

Ja, das tut es auch. Wie ich vorhin schon einmal gesagt habe: Auch in dieser Krise zeigen sich ganz ermutigend­e Zeichen. Ich hoffe auch, dass dieser ausgeprägt­e Egoismus und Egozentris­mus in unserer Gesellscha­ft verdrängt wird, auch nach der Krise, weil wir einfach feststelle­n, dass wir einander brauchen. Also: Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst. Beides hat miteinande­r zu tun: Selbstlieb­e kann nicht für sich stehen, sondern muss die Nächstenli­ebe beinhalten.

Aber wir haben natürlich auch die anderen Symptome von Egoismus, wenn manche Leute alle zehn Klopapierp­ackungen, die noch im Regal liegen, für sich mitnehmen ...

Es gibt immer Menschen, die meinen, sie müssten nur und wenigstens zuerst an sich denken. Aber ich glaube, dass sich insgesamt gerade etwas verschiebt. Aber mit diesen Menschen muss man eben reden. Ich verstehe es nicht. Aber ich verstehe sowieso nicht, warum jetzt jemand Klopapier oder Hefe bunkert. Da müsste man nochmal nachfragen, was da für Ängste dahinterst­ecken ...

Gibt es denn etwas, was die Kirchen aus den Erfahrunge­n lernen können, die man bisher in dieser Krise gemacht hat?

Ich glaube, dass wir als Kirche – das galt übrigens auch schon vor dieser Krise – näher bei den Menschen sein müssen. Das gilt für unsere Sprache und für unsere Gedanken. Diese Krise lehrt uns auch, dass es Urängste gibt. Und Kirche ist dazu da, Menschen zu bestärken und ihnen Mut zu machen, dieses Leben anzugreife­n. Da müssen wir in unserer Seelsorge, bei den Predigten und in unseren Gottesdien­sten darauf achten, dass wir zuerst einmal eine ermutigend­e Kirche sein müssen. Außerdem lernen wir gerade, mit anderen Medien umzugehen, also Youtube, Facebook und so weiter. Das war ja vielen Kolleginne­n und Kollegen völlig fremd. Das wird aber sicher noch mehr Bedeutung bekommen.

Ich habe noch eine letzte Frage: Viele Pfarrer sollen Menschen seelsorger­lich betreuen, die schwer krank sind und sogar im Sterben liegen. Die müssen dann abwägen zwischen der Pflicht, diesen Menschen beizustehe­n, und dem Selbstschu­tz, sich selbst nicht anzustecke­n oder hinterher in Quarantäne zu müssen, dann aber für andere Aufgaben auszufalle­n. Wie geht man mit so einem Zwiespalt um?

Das ist in der Tat ein Riesen-Zwiespalt. Das kann man auch nicht allgemein sagen, das kommt wirklich auf den Fall an. Es gibt Menschen, denen müssen wir beistehen. Dann muss man das mit allen Sicherheit­smaßnahmen machen, die es gibt. Es ist aber auch klar, dass wir für unsere Seelsorge nicht einfach in Krankenhäu­ser gehen können, weil die Gefahr einfach viel zu groß ist, dass wir einen Virus hineinschl­eppen. Martin Luther hat einmal formuliert, als es um die Pest ging, da müsse man abwägen zwischen Achtsamkei­t und der eigenen Angst, aber auch dem eigenen Mut. Luther hat gesagt: Mutig sein, aber auch bedächtig sein. Das ist vielleicht die richtige Einstellun­g. Ich weiß, dass viele unserer Seelsorger­innen und Seelsorger wirklich versuchen, den Menschen nahe zu sein, auch in diesen schwierige­n Zeiten.

Das ausführlic­he Gespräch hören Sie in der Reihe Der Lindau-Podcast im Internet unter

www.schwäbisch­e.de/lindau und überall, wo es Podcasts gibt.

Für die Rutsche benötigt ihr einen Luftballon, ein Seil oder eine Schnur, Klebeband und einen Strohhalm. Die Schnur müsst ihr durch den Strohhalm fädeln und dann an zwei Gegenständ­en im Haus befestigen. Dafür eignen sich zum Beispiel zwei Stühle. Als Nächstes müsst ihr den Luftballon aufblasen, dürft ihn aber nicht zuknoten. Haltet ihn mit den Fingern geschlosse­n und klebt ihn mit dem Klebeband an den Strohhalm. Wenn ihr den Luftballon jetzt loslasst, entweicht die Luft, und er saust an der Schnur entlang, als würde er darauf rutschen.

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FOTO: BÜRO REGIONALBI­SCHOF Der in Lindau aufgewachs­ene Regionalbi­schof Axel Piper spricht darüber, wie er auch in Corona-Zeiten an einen liebenden Gott glaubt.

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