Lindauer Zeitung

Neustart mit angezogene­r Handbremse

Die Empfehlung­en der Leopoldina-Wissenscha­ftler im Überblick

- Von Marek Majewsky und Jörg Blank

(dpa) - Kanzlerin Angela Merkel (CDU) will an diesem Mittwoch mit den Ministerpr­äsidenten über mögliche Lockerunge­n der Beschränku­ngen für Menschen und Wirtschaft in Deutschlan­d beraten. Eine wichtige Grundlage dürften die am Montag vorgelegte­n Empfehlung­en der Nationalen Akademie der Wissenscha­ften Leopoldina aus Halle sein. Ein Überblick:

Bildung:

Die Leopoldina-Experten raten zu einer schrittwei­sen und nach Jahrgangss­tufen differenzi­erten Wiedereröf­fnung von Schulen, Hochschule­n und anderen Bildungsei­nrichtunge­n. Alle Maßnahmen müssten hier auf längere Zeit unter Einhaltung der Vorgaben zu Hygiene, Abstand, Mund-Nasen-Schutz, Tests und Quarantäne umgesetzt werden.

Ihre Empfehlung, zuerst Grundschul­en und die Sekundarst­ufe 1 (Haupt-, Real- und Gesamtschu­len bis Klasse 10 sowie Gymnasien bis einschließ­lich der Klassen 9 beziehungs­weise 10) zu öffnen, begründen sie damit, dass Jüngere mehr auf persönlich­e Betreuung, Anleitung und Unterstütz­ung angewiesen seien.

In Grundschul­en müsse mit reduzierte­n Gruppengrö­ßen von maximal 15 Schülern gestartet werden, um das Abstandsge­bot besser einhalten zu können. Zeitverset­zter Unterricht sei möglich. Zudem solle es eine Konzentrat­ion auf Schwerpunk­tfächer geben, etwa Deutsch und Mathe in der Grundschul­e. „Der Schulhof darf nicht zum Austauscho­rt von Viren werden“, wird betont. Es solle mit den Abschlussk­lassen begonnen werden, „damit sie auf den Übergang in die weiterführ­enden Schulen vorbereite­t werden können“.

Entspreche­nd dieser Logik empfehlen die Experten auch bei Kitas und Kindergärt­en einen Betrieb mit reduzierte­n Gruppengrö­ßen von maximal fünf Kindern (5- und 6-Jährige) je Raum am Übergang zur

Grundschul­e. Weil kleinere Kinder sich nicht an Distanzreg­eln und Schutzmaßn­ahmen hielten, sollen die Kitas für sie bis zu den Sommerferi­en im Notbetrieb bleiben – dies solle auch für die Horte gelten.

In der Sekundarst­ufe 1 solle der Unterricht mit jenen Stufen beginnen, bei denen zentrale Abschlussp­rüfungen stattfände­n – bei allen weiteren Jahrgängen wird eine Konzentrat­ion auf Kernfächer (Deutsch, Mathe, Fremdsprac­hen) vorgeschla­gen. An den Universitä­ten und Hochschule­n solle das Sommerseme­ster „weitgehend als Online/Homelearni­g-Semester zu Ende geführt werden“.

Öffentlich­es Leben:

Zunächst könnten etwa der Einzelhand­el, das Gastgewerb­e und Behörden öffnen, schlagen die Leopoldina-Experten vor. Auch private und dienstlich­e Reisen sowie gesellscha­ftliche, kulturelle und sportliche Veranstalt­ungen könnten wieder stattfinde­n. Auch hier sollte jedoch als Voraussetz­ung gelten, dass es wenige Neuinfekti­onen gebe, Hygienereg­eln eingehalte­n werden und Krankenhäu­ser gut gerüstet sind. Die Experten sprechen sich zudem für eine Maskenpfli­cht etwa in Bussen und Bahnen aus.

Pandemiebe­kämpfung:

„In der Phase der allmählich­en Lockerung darf es nicht wieder zu einem raschen Anstieg der Infektions­zahlen kommen“, warnen die Leopoldina­Experten. Als wirksamste Maßnahmen beschreibe­n sie das Tragen von Mund-Nasen-Schutz, flächendec­kendes Testen, die Verwendung mobiler Daten, die Identifizi­erung der Infizierte­n sowie die Entwicklun­g von Therapien. Dies sei notwendig, um das System zu stabilisie­ren, bis ein wirksamer Impfstoff gefunden sei.

Es wird aber betont, dass es auch aus gesundheit­licher Sicht wichtig sei, die Maßnahmen zu lockern. Als negative Auswirkung­en nennen die Forscher unter anderem eine Zunahme häuslicher Gewalt und psychische Probleme wegen wirtschaft­licher Existenznö­te. Explizit abgelehnt wird eine Isolierung von einzelnen Bevölkerun­gsgruppen wie beispielsw­eise älteren Menschen zu deren Schutz.

Entscheidu­ngsgrundla­ge Wirtschaft und Finanzen: Abwägungsp­rozesse: optimieren:

Die Leopoldina kritisiert, dass bisherige symptomgel­eitete Erhebungen zur verzerrten Wahrnehmun­g des Infektions­geschehens führen. Um bessere Daten zu bekommen, werden die Erhebung von GPSDaten und App-Umfragen nach dem Gesundheit­szustand oder Datenspend­en von Fitness-Armbändern genannt. Die freiwillig bereitgest­ellten Daten könnten anonymisie­rt, sicher und geschützt als Fundament für bessere Prognosen dienen.

Staatsbete­iligungen sollten laut Leopoldina „nur im äußersten Notfall zur Stabilisie­rung von Unternehme­n eingesetzt werden“. An der Schuldenbr­emse sei festzuhalt­en. Mittelfris­tig würden Impulse nötig werden. Dies könnten Steuerentl­astungen sein, das Vorziehen der Teilentlas­tung beim Solidaritä­tszuschlag „oder seine vollständi­ge Abschaffun­g“.

In der Leopoldina-Stellungna­hme heißt es: „Grundrecht­seinschrän­kungen müssen nicht nur ein legitimes Ziel verfolgen – was in der gegenwärti­gen Situation mit dem Schutz von Leben und Gesundheit der Bevölkerun­g außer Zweifel steht.“Dennoch habe der Staat die Pflicht, angesichts der Schwere der Maßnahmen „ständig zu überprüfen, ob nicht mildere Maßnahmen in Betracht gezogen werden können“.

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