Stimme der Sachlichkeit
Der Virologe Anthony Fauci berät US-Präsident Donald Trump auf der Basis von Fakten – Damit eckt er an
Für Berater aus dem engeren Kreis um Donald Trump gibt es eine sichere Methode, sich den Zorn ihres Vorgesetzten zuzuziehen. Wer zu oft auf der großen Bühne steht, dort gar brilliert, wer dem Hauptdarsteller die Schau stiehlt, der muss damit rechnen, demnächst aus dem Rampenlicht verbannt zu werden. Auch Anthony Fauci, der angesehenste Virologe der USA, könnte diese Erfahrung jetzt machen.
Wie so oft, wenn der dünnhäutige Präsident Leute, in denen er Rivalen sieht, vom Podest zu ziehen versucht, begann es am Sonntagabend mit einem Signal beim Kurzmitteilungsdienst Twitter. Trump griff einen Tweet auf, den DeAnna Lorraine in die Welt gesetzt hatte, eine Republikanerin, die Nancy Pelosi im Kampf um ein Abgeordnetenmandat herausforderte, bei einer offenen Vorwahl in San Francisco allerdings nur auf knapp zwei Prozent der Stimmen kam. Fauci behaupte jetzt, man hätte Menschenleben retten können, hätte Trump früher auf den Rat der Mediziner gehört, schrieb die Kalifornierin bei Twitter. Am 29. Februar indes habe er selber den Leuten erzählt, dass es nichts gebe, worüber man sich Sorgen machen müsse, fügte sie hinzu, um mit einer Forderung konservativer Trump-Fans zu enden. „Time to #Fire Fauci“– Höchste Zeit, Fauci zu feuern.
Vorausgegangen war ein Interview, in dem der erfahrene Epidemiologe
einmal mehr seinem Ruf gerecht wurde, die unbeirrbare Stimme der Wissenschaft zu sein. Strikt faktenbasiert auch dann, wenn das Weiße Haus ihn unter Druck setzt. Der New Yorker, der seit 1984 das Nationale Institut für Allergien und Infektionskrankheiten leitet, wurde von dem CNN-Moderator Jake Tapper gefragt, ob heute weniger tote Amerikaner zu beklagen wären, wären Kontaktbeschränkungen bereits in der dritten Februarwoche und nicht erst Mitte März angeordnet worden. Zu einer Zeit also, in der Virologen in vertraulichen Papieren empfahlen, genau das zu tun. Die Antwort fiel differenziert und nachdenklich aus, typisch Fauci. Natürlich könne man, logisch betrachtet, sagen, dass man Leben hätte retten können, wären früher Vorsichtsmaßnahmen ergriffen worden. Nur sei eben komplex, was in diese Art von Entscheidungen alles einfließe. „Aber Sie haben recht. Hätten wir von Anfang an alles geschlossen, sähe es heute vielleicht ein wenig anders aus. Doch es gab starken Widerstand dagegen, alles dichtzumachen.“
Die Stimme ausgewogener Sachlichkeit – so nehmen viele Amerikaner den 79-Jährigen wahr. In den 1980er-Jahren gelang es ihm, den Präsidenten Ronald Reagan, der in Aids die Rache der Natur an Schwulen sah, davon zu überzeugen, sich ernsthaft mit der Krankheit auseinanderzusetzen. Heute warnt er vor vermeintlichen Wundermitteln gegen den Corona-Erreger, etwa das von Trump empfohlene Malariamittel Chloroquin. Zudem wehrt er sich gegen Blaupausen, in denen die Politik
vorgibt, ab wann die Rückkehr zu normalen Verhältnissen beginnen kann. Das Virus bestimme den Zeitplan, dozierte er, als Trump von vollen Kirchenbänken am Ostersonntag träumte. Mittlerweile hat die Regierung eine Normalisierung ab dem 1. Mai ins Auge gefasst. Hinter den Kulissen ist offenbar ein heftiges Tauziehen im Gange, zwischen Medizinern, die zur Vorsicht mahnen, und Ökonomen, die ein wirtschaftliches Desaster befürchten, falls man zu lange wartet mit der Öffnung.
Während Trump zunehmende Ungeduld erkennen lässt, plädiert Fauci für Augenmaß, für Pragmatismus, für regionale Abstufungen. Doch es sind nicht allein, und wahrscheinlich auch nicht in der Hauptsache, inhaltliche Differenzen, die den Präsidenten auf Distanz zu seinem angesehensten Seuchenspezialisten gehen lassen. Es dürfte vor allem Faucis Popularität sein, an der er sich reibt. Nach einer Erhebung der Quinnipiac University heißen 78 Prozent der US-Bürger gut, wie sich der Wissenschaftler in der Krise verhält, während nur 46 Prozent das Krisenmanagement des Staatschefs befürworten. Neben Andrew Cuomo, dem nervenstarken Gouverneur New Yorks, ist Fauci der Mann, dem eine Mehrheit der Amerikaner vertraut. Das liberale, intellektuell anspruchsvolle Magazin „The New Yorker“hat ihm einen simplen Titel verpasst: Amerikas Doktor. Noch ein Grund für Trump, ihn madig zu machen.