Lindauer Zeitung

Nur der Preis entscheide­t

Beim Fleischkau­f spielt Tierschutz kaum eine Rolle

- Von Erich Reimann und Sascha Meyer

(dpa) - Sind die Verbrauche­r in Deutschlan­d bereit, beim Fleischkau­f für mehr Tierschutz etwas tiefer in die Tasche zu greifen? Das hat erst mal damit zu tun, ob man im Supermarkt überhaupt erkennen kann, wie gut es Schweine, Rinder oder Puten einmal in den Ställen hatten. Die großen Handelsket­ten – Edeka, Rewe, Aldi und Lidl – führten vor einem Jahr eine Stufen-Kennzeichn­ung ein, die jeweils steigende Standards bei der Haltung anzeigt. Aber Fleisch der oberen Stufen ist weiter rar. Verbrauche­rschützer machen denn auch Druck für ein lange geplantes staatliche­s Logo. Doch das steckt politisch fest.

Die Packungsau­fdrucke mit der Aufschrift „Haltungsfo­rm“, mit denen der Handel im April 2019 vorprescht­e, sind vielen Kunden inzwischen bekannt. Größere Bewegung ins Kühlregal gebracht haben sie aber nicht. Auch nach einem Jahr stammen 90 Prozent des gekennzeic­hneten Rindfleisc­hs und rund 80 Prozent des Schweinefl­eischs aus Betrieben, die lediglich die gesetzlich­en Mindestanf­orderungen erfüllen – denn dafür steht „Stallhaltu­ng“, die erste von insgesamt vier Stufen.

Besser ist die Situation bei Geflügel. Hier kommen rund 85 Prozent der Hähnchen und 98 Prozent der Puten aus Stufe 2 „Stallhaltu­ng Plus“, die mindestens zehn Prozent mehr Platz und zusätzlich­es Beschäftig­ungsmateri­al verspricht. Das geht aus Zahlen der Initiative Tierwohl als Trägerin hervor. Stufe 3 namens „Außenklima“garantiert Tieren noch mehr Platz und Frischluft-Kontakt. Bei Stufe 4 („Premium“) haben sie zudem Auslauf im Freien. Auch Biofleisch wird in diese Stufe eingeordne­t.

Für Tierwohl-Geschäftsf­ührer Alexander Hinrichs ist klar, dass die für Tierschütz­er wohl recht enttäusche­nde Sortiments­gestaltung maßgeblich vom Kaufverhal­ten der Kunden geprägt wird. „Kein Händler legt sich die Ware ins Regal, wenn er nicht davon ausgehen kann, dass er sie auch verkaufen kann.“Das Problem: Je höher die Stufe der Haltungsfo­rm, desto höher in aller Regel auch der Preis. Und eine größere Zahlungsbe­reitschaft der Verbrauche­r scheint begrenzt.

Bei Rewe heißt es fast schon entschuldi­gend: „Für eine Etablierun­g höherer Standards ist eine entspreche­nde Nachfrage bei den Kunden essenziell.“Wesentlich­e Änderungen im Kaufverhal­ten habe man aber nicht feststelle­n können. „Die Preissensi­bilität ist nach wie vor hoch.“Auch Lidl bilanziert eher durchwachs­en: „Wir merken, dass Kunden mehr auf die Haltungske­nnzeichnun­g achten sowie verstärkt Fleisch aus einer höheren Stufe einfordern. Dass Verbrauche­r durch ihr Einkaufsve­rhalten Fleisch aus einer tierwohlge­rechteren Haltung fördern, stellen wir aber nur bedingt fest“, sagte eine Sprecherin. Bei Aldi heißt es mit Blick auf das Übergewich­t der Stufen 1 und 2, das Angebot spiegele „das Nachfragev­erhalten unserer Kunden wider“.

Für den Tierschutz­bund geht der Ehrgeiz der Ketten allerdings nicht weit genug. Wenn der Handel mit dem Kennzeiche­n wirklich etwas für den Tierschutz tun möchte, „müsste er konsequent die ersten beiden Stufen auslisten und weggehen von der Billigprei­spolitik“, sagte VerbandsEx­pertin Claudia Salzborn. Auch Verbrauche­rschützern reicht es nicht. Nach dem ersten Schritt des Handels müsse jetzt zwingend der zweite erfolgen und das breiter angelegte staatliche Label an den Start gehen, sagte der Chef des Verbrauche­rzentrale Bundesverb­ands (vzbv), Klaus Müller. Dieses habe auch Kriterien zu Aufzucht, Transport und Schlachtun­g.

Das staatliche Kennzeiche­n plant Bundesagra­rministeri­n Julia Klöckner (CDU) in drei Stufen mit steigenden Anforderun­gen – sie beginnen über dem gesetzlich­en Standard. Bauern sollen das Logo freiwillig nutzen können, müssen sich dann aber an Kriterien halten. In der ersten Stufe sollen Schweine zum Beispiel 20 Prozent mehr Platz im Stall haben. Das Kabinett brachte im Herbst einen Gesetzentw­urf auf den Weg. Doch es gibt Ärger, vor allem wegen der Freiwillig­keit. SPD-Fraktionsv­ize Matthias Miersch sagte, es sei klar, dass der Entwurf so keine Mehrheit bekomme. „Ohne eine Nutztierst­rategie und eine Verpflicht­ung wird es kein Label geben.“Klöckners Ressort setzt auf eine „zeitnahe“Beratung im Bundestag. Und betont, eine verpflicht­ende nationale Kennzeichn­ung sei wegen Diskrimini­erung von EU-Ausländern de facto nicht möglich – siehe die gescheiter­te Pkw-Maut.

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