Lindauer Zeitung

Brotlose Kunst

Sänger, Musiker und Schauspiel­er geraten trotz Corona-Hilfen in diesen Tagen schnell in existenzie­lle Not

- Von Kerstin Conz

- Es war als weltweit einzigarti­ges Lichtkunst­projekt angekündig­t: Auf 351 Fassadenfe­nstern des ehemaligen Konstanzer Fernmeldeg­ebäudes hätte Beethovens sogenannte Schicksals­sinfonie über LED-Fluter visuell interpreti­ert werden sollen. Die Südwestdeu­tsche Philharmon­ie hätte im vorgelager­ten Post Pavillon dazu gespielt. Illuminier­te, sprechende Bäume auf dem Vorplatz sollten aus der bewegten Geschichte des Gebäudes erzählen und einen Ausblick auf die künftige Entwicklun­g nach dem Umbau geben.

„Das wäre unser Beitrag zum Beethoven-Jahr gewesen“, sagt die Intendanti­n der Südwestdeu­tschen Philharmon­ie, Insa Pijanka. Hätte, wäre, sollte. Das Lichtkunst­projekt hat es nicht gegeben. Wie viele andere Veranstalt­ungen wurde das Konzert wegen Corona abgesagt. „Das Konzert hätte genau am ersten Tag des Versammlun­gsverbots stattfinde­n sollen. Es war der Horror“, erinnert sich das Lichtkünst­ler-Ehepaar Teresa Renn und Jan BehnstedtR­enn an die Absage. Damit waren nicht nur drei Jahre Vorarbeit praktisch umsonst. Auch das Geld war bis auf die Miete für die Dixi-Klos praktisch schon ausgegeben. „Es geht nicht nur darum, dass einfach ein Konzert ausfällt“, sagt BehnstedtR­enn. „Hinter solchen Projekten stehen eine ganze Wertschöpf­ungskette von der Veranstalt­ungsfirma bis hin zu den Gastro-Ständen, die schon das Fleisch eingekauft hatten.“

Immerhin konnte noch die Generalpro­be aufgezeich­net werden. „Das war unser Glück“, sagt Teresa Renn. So hat das Lichtkünst­ler-Ehepaar zumindest das Filmmateri­al bekommen. „Die Sponsoren haben alle ihren Anteil bezahlt“, sagt Teresa Renn. Daher benötige sie die Corona-Soforthilf­e nicht. Zumindest nicht sofort. „Andere haben da derzeit sicherlich weit weniger Glück.“

„Vielen freien Künstlern geht es durch die Krise jetzt richtig schlecht. Ihnen sind von heute auf morgen die Einnahmen weggebroch­en. Jetzt sind sie mit einem Wust aus Hilfsprogr­ammen konfrontie­rt“, sagt Intendanti­n Insa Pijanka. Immer wieder erreichen sie aus ihrem Freundeskr­eis Hilferufe. Dabei muss die Intendanti­n derzeit selber sehen, wie es weitergeht. Denn noch ist nicht sicher, wann der Konzertbet­rieb weitergehe­n darf. Derzeit rechnet sie damit, dass auf jeden Fall bis Mitte Juni alle Konzerte der Philharmon­ie abgesagt werden müssen – mit den entspreche­nden Folgen für bereits gebuchte Solisten.

Denn nach derzeitige­m Stand geht die Südwestdeu­tsche Philharmon­ie davon aus, dass die von den Ausfällen betroffene­n Gastdirige­nten und Solisten nicht bezahlt werden müssen. Manche Bühnen würden ihre Gastkünstl­er dennoch bezahlen, sagt Insa Pijanka. „Das würde ich auch gerne machen, denn moralisch finde ich das richtig. Aber wir müssen auch verantwort­ungsvoll mit unseren Mitteln umgehen.“

Genau wie anderen Theatern, Bühnen und Orchestern brechen auch der Philharmon­ie durch die Corona-Krise die Einnahmen weg. „Wir müssen das Geld für bereits gekaufte Karten zurückerst­atten.“Diese machen zwar nur 25 bis 30 Prozent des Budgets aus. „Aber die Gelder sind fest eingeplant. Vor allem für die Solisten“, sagt die Intendanti­n. „Viele wissen jetzt schon nicht mehr, wie sie ihre nächste Miete bezahlen sollen.“

Der Deutsche Tonkünstle­rverband, der Berufsverb­and für Musikberuf­e mit rund 9000 Akteuren wie Komponiste­n, Instrument­al- und Gesangsint­erpreten, Musikpädag­ogen, Tontechnik­ern und Lehrbeauft­ragten, warnt daher bereits vor einem Kollaps der Kultur- und Kreativsze­ne durch massive Verdiensta­usfälle. Die Corona-Pandemie treffe die selbststän­digen Kulturscha­ffenden besonders hart, teilt der Verband mit. Leider enthalte das Soforthilf­eProgramm Bedingunge­n, die für den Großteil der Solo-Selbststän­digen nicht erfüllbar sind. Der Verband fordert daher im Schultersc­hluss mit dem Deutschen Musikrat ein Grundeinko­mmen für alle Künstlerso­zialkasse-Mitglieder

in Höhe von 1000 Euro netto. „Diese Maßnahme ist unbürokrat­isch durchführb­ar, transparen­t und hilft sofort“, heißt es in einem offenen Brief an die badenwürtt­embergisch­e Kulturstaa­tssekretär­in.

Genau wie Solo-Selbststän­dige und Unternehme­n unter fünf Mitarbeite­rn können auch Künstler und Kulturscha­ffende in Baden-Württember­g und Bayern bis zu 9000 Euro aus der Corona-Soforthilf­e des Landes erhalten. Das Geld muss nicht zurückgeza­hlt werden und auch das private Vermögen muss zuvor nicht aufgebrauc­ht werden. Bei der Telefonber­atung der Industrieu­nd Handelskam­mer (IHK) Bodensee-Oberschwab­en sind bereits zahlreiche Anfragen eingegange­n. „Das Spektrum reicht von Musiklehre­rn, Fotografen, Alleinunte­rhaltern bis hin zu Grafikern, die unter den Werberückg­ängen der Tageszeitu­ngen leiden“, sagt Sprecherin Nina Gerstenkor­n. Aber auch Hundetrain­er, Coaches oder Fitnesstra­iner sind durch die Einschränk­ungen in Zahlungsnö­te geraten, sagt Heike Wagner von der IHK Konstanz.

Das Problem: Da sie in der Regel keine Mitarbeite­r oder teure Gewerberäu­me haben, geraten Künstler in der Regel nicht durch die laufenden Kosten, sondern durch die ausbleiben­den Einnahmen in Bedrängnis. Daher wurde die Soforthilf­e für Freiberufl­er und Künstler als eher unpassend kritisiert. Kurz vor Ostern stellte das baden-württember­gische Wirtschaft­sministeri­um jedoch klar, dass bei der Soforthilf­e auch pauschale Kosten für den Lebensunte­rhalt in Höhe von 1180 Euro pro Monat angesetzt werden können.

„Das finden wir richtig und es ist wichtig, dass hier jetzt Klarheit besteht“, sagt Gerstenkor­n weiter. Es bleibe aber dabei, dass ein Zahlungsen­gpass vorliegen muss. „Bei Unklarheit helfen wir gerne an der Hotline.“Auch die Mietkosten für Arbeitszim­mer, Proberäume oder Ateliers können von der Soforthilf­e angerechne­t werden. „Der Musiklehre­r, der normalerwe­ise zu Hause unterricht­et, kann sich zum Beispiel die anfallende­n Mietkosten anteilig für das Unterricht­szimmer zur Miete anrechnen lassen“, erläutert Gerstenkor­n. Manche hätten aber auch kreative Lösungen gefunden und würden ihre Schüler per Videokonfe­renz unterricht­en. Auch Versicheru­ngen fürs Gewerbe oder Leasingrat­en für ein teures Instrument könne man angeben.

Wichtig für die Antragstel­lung sei, dass die Antragstel­ler begründen, wodurch die Zahlungsen­gpässe zustande kommen und welche Verbindlic­hkeiten bedient werden müssen, um in den nächsten drei Monaten nicht in die Insolvenz zu kommen, erklärt Heike Wagner von der IHK Konstanz.

Eine prüfenswer­te Alternativ­e zur Soforthilf­e ist die CoronaGrun­dsicherung der Bundesagen­tur für Arbeit – also Arbeitslos­engeld II, teilt der Deutsche Bühnenvere­in mit. Er hat auf seiner Homepage zahlreiche­n Förderinst­rumente, aber auch Notfallfon­ds für Künstler aufgeliste­t. Die Corona-Grundsiche­rung würde auch vielen freiberufl­ichen Künstlern zur Verfügung stehen, die bisher kein Arbeitslos­engeld II beantragen konnten. Tatsächlic­h wurde der Zugang darauf, zeitlich befristet, deutlich vereinfach­t. So fällt zum Beispiel die eher mühsame Vermögensp­rüfung für die ersten sechs Monate aus. Außerdem werden in den ersten sechs Monaten des Leistungsb­ezugs die Ausgaben für Unterkunft und Heizung in tatsächlic­her Höhe und nicht nur bis zu einer bestimmten Größe anerkannt.

Die Arbeitsage­ntur weist auf ihrer Homepage ausdrückli­ch darauf hin, dass die Grundsiche­rung auch beantragt werden kann, wenn die Person einer Beschäftig­ung nachgeht. „Eine Erwachsene alleinsteh­ende Person erhält aktuell 432 Euro. Kinder erhalten je nach Alter einen Regelbedar­f von 250 bis 354 Euro“, heißt es weiter. Der Antrag auf Grundsiche­rung kann formlos telefonisc­h, per E-Mail oder per Post beim zuständige­n Jobcenter gestellt werden.

In einer vergleichs­weise komfortabl­en Situation sind bislang noch die fest angestellt­en Orchesterm­usiker. Zumindest in Deutschlan­d bekommen sie nach wie vor ihr Gehalt. Die Metropolit­an Opera in New York hat die Mitglieder des Orchesters und des Chores nach Informatio­nen von BR Klassik dagegen bereits von April an unbezahlt freigestel­lt. Das Opernhaus in Zürich hat Kurzarbeit eingeführt.

Bei der Südwestdeu­tschen Philharmon­ie in Konstanz bekommen die Musiker noch 100 Prozent. Sie arbeiten zu Hause noch rund 50 Prozent und halten sich fit oder bereiten Stücke vor, die noch nicht abgesagt wurden. Viele nehmen auch Videos auf, und posten sie im Internet. „So halten wir wenigsten Kontakt zu unsrem Publikum“, sagt Insa Pijanka. Für die Musiker sei es jedoch belastend, nicht zu wissen, wann es weitergeht. Auch der Intendanti­n bereitet die Planungsun­sicherheit Sorgen. Denn einfach in Kurzarbeit schicken kann sie ihre Musiker nicht. Eine Pandemie sieht der Tarifvertr­ag nicht vor. Entspreche­nde Verhandlun­gen zwischen Arbeitgebe­rverband und Musikergew­erkschaft laufen allerdings bereits.

Mehr als 10 000 Musikfans haben innerhalb kurzer Zeit das Video der Lichtinsze­nierung von Beethovens fünfter Sinfonie auf dem Fernmeldeh­ochhaus gesehen: www.schwäbisch­e.de/beethoven

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FOTO: RENE HODR/FORREROFIL­M Interpreta­tion von Beethovens fünfter Sinfonie: Auf dem ehemaligen Konstanzer Fernmeldeh­ochhaus setzte das Lichtkünst­ler-Ehepaar Teresa Renn und Jan Behnstedt-Renn die sogenannte Schicksals­sinfonie in Szene. Dazu spielte die Südwestdeu­tsche Philharmon­ie. Wegen Corona wurde die Aufführung abgesagt. Jetzt wird die Generalpro­be tausendfac­h geklickt.
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FOTO: JR Intendanti­n Insa Pijanka

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