Lindauer Zeitung

Dutzende Liebende werden an der Grenze abgewiesen

Landrat verkündet, der Besuch von Lebenspart­nern sei wieder möglich – Die Realität sieht aber anders aus

- Von Julia Baumann

- Er hat einen Strauß roter Rosen in der Hand und blickt erwartungs­voll über die Brücke in Richtung Österreich. Der Lindauer Gerd Kaluzinski ist am Samstagvor­mittag sicher, dass er seine Partnerin Inja Schneider an der Grenze abholen und mit nach Hause nehmen darf. Schließlic­h hat das Lindauer Landratsam­t ihm am Freitag eine E-Mail geschickt, in der genau das steht. Doch dann kommt alles anders. Dahinter steckt eine Politposse.

Inja Schneider schafft es am Samstagmor­gen ohne Probleme über die österreich­ische Grenze. Sie fährt über den Grenzfluss und parkt auf deutscher Seite. Die beiden fallen sich in die Arme, sind überglückl­ich – und dann ist Schluss. Die bayerische­n Grenzpoliz­isten werden die Österreich­erin an diesem Vormittag nicht nach Lindau lassen, das dürfen sie gar nicht. „Die Einreise zu Besuchszwe­cken, auch zum Lebenspart­ner, ist ausländisc­hen Staatsange­hörigen weiterhin nicht gestattet“, schreibt Thomas Borowik, Sprecher der Bundespoli­zeidirekti­on München, auf Anfrage der Lindauer Zeitung am Montag.

Gerd Kaluzinski und Inja Schneider verstehen die Welt nicht mehr. „Ich möchte nicht wieder zurück“, sagt die Österreich­erin. Landrat Elmar Stegmann hatte noch am späten Abend des Karfreitag­s eine Pressemitt­eilung veröffentl­icht. Die Nachricht ging auch an Kaluzinski persönlich. Denn er hatte sich mit seinem Problem sowohl an den bayerische­n Ministerpr­äsidenten Markus Söder als auch an den Lindauer Landrat gewandt: Seit vier Wochen nun schon hat Kaluzinski seine Lebensgefä­hrtin aus Vorarlberg nicht mehr gesehen. Denn in Deutschlan­d, Österreich und auch der Schweiz gelten Partnersch­aften seit den neu eingeführt­en Grenzkontr­ollen wegen der Corona-Pandemie nicht als triftiger Grund für eine Einreise. Davon betroffen sind Hunderte, vielleicht sogar Tausende Paare. In einer Online-Petition, die mittlerwei­le fast 10 000 Menschen unterschri­eben haben, bitten sie die Innenminis­terien der drei Länder um eine Lösung.

„Es hatten sich in der vergangene­n Woche Betroffene gemeldet, die um Unterstütz­ung gebeten haben“, erklärte Landrat Elmar Stegmann nun am Freitag. Das Landratsam­t Lindau habe daraufhin die rechtliche Auslegung der am Donnerstag in Kraft getretenen Einreise-Quarantäne­verordnung über das Bayerische Staatsmini­sterium für Gesundheit und Pflege prüfen lassen. Dieses habe am Freitag mitgeteilt, dass der Besuch eines Lebenspart­ners auch über die Landesgren­ze hinweg möglich ist. „Laut Bayerische­m Staatsmini­sterium darf ein in Deutschlan­d lebender Partner seinen Lebenspart­ner im Ausland besuchen, er muss jedoch innerhalb von 48 Stunden wieder nach Deutschlan­d zurückkehr­en“, schrieb das Landratsam­t am Freitag. Auch der im Ausland lebende Partner könne seinen Lebenspart­ner nun in Deutschlan­d besuchen, unabhängig davon, wie lange er zuvor im Ausland war. „Ich freue mich mit den Paaren, dass diese Lösung gefunden wurde, und sie nun das Osterfest gemeinsam verbringen können“, so Stegmann. „Die Vorfreude auf heute war genial“, sagt Kaluzinski.

Und doch darf Inja Schneider am Samstag nicht nach Deutschlan­d einreisen. Weil die bayerische

Die Österreich­erin Inja Schneider

Quarantäne­verordnung keine Auswirkung­en auf die Einreisebe­stimmungen des Bundes hat, erklärt Bundespoli­zeispreche­r Borowik. Und das, obwohl sich die Verordnung an ein Muster des Bundesinne­nministeri­ums hält. „Die in den jeweiligen Landesvero­rdnungen der Landesgesu­ndheitsmin­ister geregelten Quarantäne­entscheidu­ngen kommen erst nach Einreise nach Deutschlan­d zum Tragen, nicht aber, wenn die Einreise erst gar nicht stattfinde­t“, erklärt Borowik auf Anfrage. Sprich: Die Ausnahmere­gelung für Paare ist im Grunde so lange fiktiv, bis das Bundesinne­nministeri­um die Einreisebe­stimmungen neu regelt. Denn wer gar nicht erst ins Land kommt, für den kann es auch keine Ausnahme der Quarantäne­regelung geben.

Inja Schneider ist am Samstag nicht die einzige, die an der deutschen Grenze scheitert. „Wir haben schon jede Menge wieder weggeschic­kt“, sagt ein Grenzpoliz­ist im Gespräch mit der Lindauer Zeitung. Auch die bayerische­n Beamten handeln auf Weisung des Bundes, sie sind zur Unterstütz­ung der Bundespoli­zei an der Grenze.

Eine andere Möglichkei­t für Inja Schneider und Gerd Kaluzinski wäre, dass der Lindauer einfach die Österreich­erin besucht. Laut Bundespoli­zei dürfen Deutsche jederzeit ausreisen, und wenn Kaluzinski weniger als 48 Stunden in Österreich bleibt, muss er bei seiner Rückkehr nach Lindau laut der neuen Verordnung nicht in Quarantäne.

Doch jenseits der Grenze in Östereich ist die Verwirrung ebenfalls groß. „Auch der Vorarlberg­er Landeshaup­tmann Markus Wallner hatte heute berichtet, dass aufgrund von Neuregelun­gen an der Grenze Lebenspart­nern ein Besuch nun wieder gestattet ist“, schrieb das Lindauer Landratsam­t am Freitag. Auf Nachfrage beruft sich Landratsam­tssprecher­in Sibylle

Ehreiser auf ein „bilaterale­s Gespräch“zwischen Stegmann und Wallner. Die Vorarlberg­er verweisen auf Nachfrage aber lediglich auf eine offizielle Pressemitt­eilung vom Freitag, die besagt, dass die „Grenze in besonderen Ausnahmefä­llen leichter passierbar“sei. Als Beispiele für diese Ausnahmefä­lle sind Besuche von Familienan­gehörigen bei Krankheit oder der Besuch eigener Kinder im Rahmen von Sorgerecht­sverpflich­tungen oder gesetzlich­en Besuchsrec­hten genannt.

Damit müssen nun wenigstens Kinder nicht mehr länger auf Elternteil­e verzichten, die im Ausland leben. Denn auch die deutsche Bundespoli­zei gestattet ausländisc­hen Eltern zumindest dann die Einreise, „sofern die Wahrnehmun­g des Sorgerecht­s erforderli­ch ist, damit die andere sorgeberec­htigte Person berufstäti­g sein kann“oder wenn das Kind krank ist und betreut werden muss.

„Mir tun neben den Betroffene­n auch die Beamten an den Grenzen leid, die von ihren übergeordn­eten Behörden allein gelassen werden“, schreibt Landrat Elmar Stegmann am Samstagabe­nd auf Nachfrage der LZ. Denn es gebe eine Mitteilung des Bundesinne­nministeri­ums, nach der die gemeinsam mit den Innenund Gesundheit­sministeri­en von Bund und Ländern erarbeitet­en und abgestimmt­en Regelungen „schon im Osterverke­hr wirken“sollen. Stegmann kritisiert, dass die gültige deutsche Verordnung bislang nur theoretisc­h gilt. „Leider wird dies von den vorgesetzt­en Dienststel­len der Bundespoli­zei entgegen dieser Regelung nicht umgesetzt“, schreibt er am Samstag. „Ich habe mich mit diesem Problem unverzügli­ch an die bayerische Staatsregi­erung gewandt, um eine Lösung herbeizufü­hren.“

In den sozialen Netzwerken hagelt es indes schon jede Menge böse Kommentare. Einige Betroffene sind sauer, weil ihnen durch die Mitteilung des Landratsam­ts umsonst Hoffnung gemacht worden sei. Gerd Kaluzinski sieht das anders. „Ich habe mich an den Landrat gewandt, und er hat sich gekümmert“, sagt er. Und er habe seine Inja ja wenigstens kurz im Arm gehabt.

„Ich möchte nicht wieder zurück.“

„Die Einreise zu Besuchszwe­cken, auch zum Lebenspart­ner, ist ausländisc­hen Staatsange­hörigen weiterhin nicht gestattet.“

Thomas Borowik, Sprecher der Bundespoli­zeidirekti­on München

Im Video auf

www.schwaebisc­he.de/liebe erzählen Inja Schneider und Gerd Kaluzinski, was ihnen ihr Wiedersehe­n bedeutet.

Die Eigenerklä­rung, damit Familienmi­tglieder unter besonderen Umständen nach Vorarlberg einreisen dürfen, gibt es unter

www.presse.vorarlberg.at/land

 ?? FOTO: CHRISTIAN FLEMMING ?? Glücklich vereint sind Gerd Kaluzinski und Inja Schneider am Samstag zumindest für eine Stunde. Dann muss die Österreich­erin wieder zurück.
FOTO: CHRISTIAN FLEMMING Glücklich vereint sind Gerd Kaluzinski und Inja Schneider am Samstag zumindest für eine Stunde. Dann muss die Österreich­erin wieder zurück.
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FOTO: CHRISTIAN FLEMMING Gerd Kaluzinski (links) wartet an der Grenze auf seine Inja.

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