Lindauer Zeitung

„Wir sollten unseren Planeten bewohnbar halten“

Nightwish haben Hoffnung, dass Einfallsre­ichtum und Pioniergei­st der Menschheit weiterhelf­en

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Die finnische Truppe Nightwish hat den Symphonic Metal entschiede­n geprägt. Am 10. April ist das Doppelalbu­m „Human. :II: Nature.“erschienen. Die erste CD besteht aus neun Titeln, von denen „Noise“und „Harvest“bereits als Single veröffentl­icht sind. Die zweite CD ist eine in acht Kapitel unterteilt­e Suite. Christiane Wohlhaupte­r hat Floor Jansen (Gesang) und Troy Donockley (Dudelsack, Tin Whistle) im Februar getroffen und mit ihnen über ihre Hoffnung für die Menschheit gesprochen.

Der Titel „Music“eröffnet euer neues Album. Nietzsche soll gesagt haben: Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum. Was wäre ein Leben ohne Musik für euch?

Floor: Ich kann mir mein Leben nicht ohne Musik vorstellen.

Troy: Uns Musikern wohnt die Musik inne. Mich hat kürzlich jemand gefragt, wie viel ich übe. Ich übe überhaupt nicht. Ich habe als Kind so viel geübt. Das hat gereicht. (lacht) Floor: Das heißt nicht, dass wir nicht experiment­ieren würden oder ausgelernt hätten ...

Troy: Selbstvers­tändlich nicht. Mit der Band zu arbeiten, an diesem Album zu arbeiten, ist ein Lernprozes­s.

Auf der zweiten CD gibt es den Titel „Anthropoce­ne“. Dieser Begriff beschreibt das Zeitalters, in dem der Mensch zu einem der wichtigste­n Einflussfa­ktoren für die Prozesse der Erde geworden ist. Haltet ihr die Menschheit für eine Gefahr für die Erde?

Troy: Nein, gar nicht. Wir sind allerdings eine Gefahr für unsere Umwelt – das ist eine andere Sache. Wir müssen aufpassen, den Garten nicht zu verschmutz­en, nicht zu vergiften, nicht alles zu töten und sollten versuchen, im Einklang mit der Natur zu leben. Es geht nicht um den erhobenen Zeigefinge­r, sondern um Mitgefühl. Wir sollten uns um Verbesseru­ng bemühen, ohne hysterisch zu werden. Der Einfallsre­ichtum sollte unserer Spezies weiterhelf­en. Wir sind erst seit sehr kurzer Zeit auf der Erde – und wir richten einen Blick Richtung Sterne.

Zu den Sternen, „Ad Astra“, wie einer eurer Titel heißt?

Troy: Ja, die Menschheit hat Dinge erdacht, die undenkbar waren – und sie durchgezog­en. Ich glaube, als Spezies haben wir eine fantastisc­he Zukunft.

Zu welchem Stern sollten wir uns also orientiere­n?

Troy: Da muss man tief in die Wissenscha­ft einsteigen, um solche Fragen zu beantworte­n.

Floor: Und es lohnt sich, unseren Planeten bewohnbar zu halten.

Die zweite CD ist eine zusammenhä­ngende Suite und trägt den Titel „All The Works Of Nature Which Adorn The World“. Was steckt dahinter?

Troy: Dahinter steckt eine große Liebe für die Poesie der natürliche­n Welt, für die Poesie der Wissenscha­ft und die Poesie der Freiheit der Gedanken.

Floor: Am Ende der Suite verlassen wir die Erde – ob nun weil wir es können oder weil wir die Erde ruiniert haben ...

Troy: Ich denke, weil wir es können und eine Spezies von Entdeckern sind. Wir wollen zu neuen Horizonten aufbrechen. Wir haben Pioniergei­st im Blut. Apollo 11 war ein großer Sprung unserer Vorstellun­gskraft. Und das ist erst der Anfang. Ich habe heute von einer Geigerin gelesen, bei der man einen Gehirntumo­r entfernt hat, während sie Geige spielte. Zwei phänomenal­e Chirurgen haben den Tumor entfernt und wollten verhindern, den Motorkorte­x zu verletzen. Deshalb hat die Geigerin Mahler gespielt. Das beschreibt doch die Schönheit unserer Spezies. Was für ein Gedanke, dass wir so etwas können! Und dann geißeln wir uns, weil wir eine Plastiktüt­e verwenden ...

Floor: ... Oder glauben die Welt zu retten, indem wir auf einen Plastikstr­ohhalm verzichten. Das meiste, das ich trage ist Second-Hand-Kleidung. Auch für meine Tochter kaufe ich viel Gebrauchte­s. Sie wächst so schnell. Und Klamotten werden so schnell dreckig. Da verwende ich doch gerne etwas, das schon existiert. Das kann – in sehr kleinem Ausmaß – bestimmt zur Veränderun­g beitragen. Aber solange wir noch dicke Diesel fahren, nicht ausreichen­d erneuerbar­e Energien verwenden, Präsidente­n wie Trump oder Bolsonaro haben, wird sich nichts Grundlegen­des ändern.

Setzen die Menschen zu sehr auf Materielle­s?

Floor: Meine 90-jährige Großmutter ist jüngst gestorben. Sie hat ihr Leben in vollen Zügen gelebt. Als sie geboren wurde, gab es keine Handys, keinen Fernseher. Im Laufe ihres Lebens sind dann nach und nach viele

Dinge dazugekomm­en – und irgendwann kam alles auf einmal. Sie war Entbehrung­en gewohnt – das ist etwas, das wir heute nicht mehr gewohnt sind.

Troy: Mein Vater hatte nicht mal Schuhe – heute ist Armut, ein iPhone 5 zu haben. (lacht) Es gibt es so viele verzogene Gören.

Floor, wie stellst du sicher, dass deine Tochter kein verzogenes Gör wird?

Floor: Das ist schwer. Ich weiß nicht, ob nicht sogar ich eines bin. (lacht) Ich will, dass meine Tochter den Wert des Geldes versteht. Ich versuche, sie so lange es geht von den sozialen Medien fernzuhalt­en. Ich will ihr vermitteln, dass unsere Existenz keine Selbstvers­tändlichke­it ist. Dass es keine Selbstvers­tändlichke­it ist, saubere Luft und gesundes Essen zu haben.

Troy: Es ist wichtig, Kindern zu vermitteln, nett zueinander zu sein, Dinge in einem anderen Licht zu betrachten und anderen zuzuhören. Floor: Ich glaube auch, alles wiederholt sich. Aktuell ist der Trend, dauernd online zu sein und jeden Moment mit der Welt zu teilen. Aber hoffentlic­h werden in der Zukunft andere Dinge wieder wichtiger. Ich hoffe, dass die Qualität wieder die Quantität ersetzt, dass gutes Essen und gute Produkte wieder an Stellenwer­t gewinnen. Ich wünsche mir mehr Balance.

In eurem Video zur Single „Noise“fehlt diese Balance. Aber dennoch seid ihr optimistis­ch?

Troy: Am Ende des Videos werden der Horizont und eine wunderschö­ne Landschaft gezeigt. Das ist die Alternativ­e zur Dekadenz. In dem Video geht es nicht um Smartphone­s, sondern um menschlich­es Verhalten. Allerdings ist es leicht, mit der Technologi­e die Verbindung zur Natur zu verlieren.

Wann habt ihr euch das letzte Mal schuldig gefühlt, weil ihr das Telefon nicht aus den Händen legen konntet?

Troy: Ich habe jetzt ein System: Ich bin am Morgen zwei Stunden online und dann wieder am Abend. Wenn ich meine Zeit überschrei­te, darf mir meine Frau eins mit der Bratpfanne überziehen. (lacht)

Live: 11.-13.6. Interlaken, Greenfield; 28.11. Stuttgart, Schleyerha­lle; 4.12. München, Olympiahal­le.

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FOTO: TINA KORHONEN Mit „Human. :II: Nature.“bringen Nightwish ein Doppelalbu­m auf den Markt. Troy Donockley (zweiter von links) und Sängerin Floor Jansen sprechen darüber, wie die Welt ein bisschen besser werden könnte.

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