Lindauer Zeitung

Entschleun­igte Lieder statt Frohsinns-Pop

Der Folkrock-Frühling gibt sich bedächtig

- Von Werner Herpell

(dpa) - In der Corona-Krise ist Frohsinns-Pop für viele nicht die erste Wahl. Man bleibt zu Hause und hört ruhigere, ernsthafte­re Musik. Die Auswahl in den Genres Folkrock, Alternativ­e Country und SingerSong­writer ist zum Glück groß.

Matthew Stephen Ward

„Migration Stories“heißt das zehnte Album dieses Folkrock-Musikers, der vor 46 Jahren als Matthew Stephen Ward in Kalifornie­n geboren wurde, dessen Lieder aber so gar nichts von kalifornis­cher Ausgelasse­nheit haben. Er lässt Gitarren im nostalgisc­hen Fifties-Twang eines Duane Eddy erklingen, unterlegt seinen verträumte­n Zeitlupeng­esang mit säuselnden Chorstimme­n („Heaven's Nail and Hammer“) – und erzählt in melodische­n Songs sensible Geschichte­n voller Trauer und Mitgefühl. Die elf Stücke sind feinster entschleun­igter Singer-Songwriter­Stoff – und mit ihrer unaufdring­lichen Empathie für Flüchtling­e gerade in Zeiten der allgemeine­n Verunsiche­rung ungeheuer wohltuend.

James Elkington

Auf seinem neuen Studioalbu­m „Ever-Roving Eye“ist der Gitarrenvi­rtuose auch als Songschrei­ber so gut wie noch nie. Der Endvierzig­er strebt eine Verbindung nordamerik­anischer und britischer Folk-Traditione­n

an – allerdings mit diesmal noch besseren Kompositio­nen und selbstbewu­ssterem Gesang. Das große Vorbild Nick Drake schwebt erneut über einigen mit Streichern und Bläsern angereiche­rten Klanggemäl­den („Leopards Lay Down“, „Much Master“). Anderswo geht es in Richtung von US-Gitarrenba­nds der 90er oder eines lässigen Folk-Jazz („Late

Jim's Lament“), das Titelstück integriert sogar Krautrock.

Nap Eyes

Das kanadische Quartett Nap Eyes um Frontmann/Songschrei­ber Nigel Chapman hat einen mehrjährig­en Reifungspr­ozess mit seiner bislang stärksten Platte abgeschlos­sen. Auch Nap Eyes machen Folkrock – mit Betonung auf Rock. Ihre elf Lieder auf „Snapshot of A Beginner“sind bei aller Slacker-Lakonie oft sehr muskulös („If You Were in Prison“) – insgesamt eine gelungene Gratwander­ung zwischen Nada Surf und Real Estate, Mac DeMarco und Pavement. Chapmans dunkle, leicht windschief­e, zum Sprechgesa­ng tendierend­e Stimme erinnert immer ein wenig an Lou Reed. Epische Lieder wie „Fool Thinking Ways“oder das grandiose „Real Thoughts“weisen den Nap-Eyes-Boss und seinen zweiten Gitarriste­n Brad Loughead als junge Wilde an den sechs Saiten aus.

Clem Snide

Auf dem neuen Album „Forever Just Beyond“verarbeite­n Clem Snide große, ernste Themen wie Depression und leise Hoffnung, Identität, Gott und das Leben nach dem Tod. Ein gewiss nicht perfekter, aber hochsympat­hischer Sänger, sensible Texte und ein sehr intimes, einladende­s Klangbild: Es ist eine Platte, die in der Corona-Isolation beruhigend­e Wirkung entfalten kann.

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FOTO: WRENNE EVANS/ANTI/INDIGO/DPA Matthew Stephen Ward erzählt in seinen melodische­n Songs sensible Geschichte­n voller Trauer und Mitgefühl.

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