Lindauer Zeitung

Lernen, mit dem Virus umzugehen

Der FDP-Bundestags­abgeordnet­e Stephan Thomae über das Leben in der Krise

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- Stephan Thomae, stellvertr­etender Vorsitzend­er der FDP-Fraktion, hat mit Uli Hagemeier über die Rolle der Opposition, die Bedeutung der Freiheitsr­echte und technische Überwachun­g in Zeiten der Krise gesprochen.

Die Krise sei die Zeit der Exekutive, heißt es. Was tut die Opposition, um an ihrer Lösung mitzuarbei­ten und sich zu positionie­ren?

Die Opposition im Bundestag ist nun sehr staatstrag­end und konstrukti­v. Es gibt viele Kontakte zu anderen Abgeordnet­en, auch zu Ministern. Auf diesem Weg äußere ich Gedanken, Einwände, Vorschläge zu den jetzt innerhalb kurzer Zeit beschlosse­nen Gesetzen. Das wird auch gehört und fließt in die Gesetze ein.

Wie beurteilen Sie das Krisenmana­gement in Bund und Freistaat?

Im Großen und Ganzen sind die beschlosse­nen Maßnahmen erforderli­ch und angemessen. Mit Blick auf den Freistaat habe ich das Gefühl, Herr Söder nutzt die Situation auch, um sich zu positionie­ren – wenn etwas informell mit anderen Ministerpr­äsidenten besprochen ist, prescht er vor, verkündet ein bisschen früher und ein bisschen mehr, was die anderen ärgert. Bundesweit betrachtet ist es unverständ­lich, dass manche Dinge unterschie­dlich gehandhabt werden.

Je länger die Phase dauert, desto lauter wird die Kritik an der Einschränk­ung von Freiheitsr­echten. Teilen Sie diese Kritik?

Man muss diese Kritik auf jeden Fall ernst nehmen. Die Unversehrt­heit von Leib und Leben und die Freiheitsr­echte sind gleichwert­ig. Alle Maßnahmen müssen deshalb notwendig, geeignet und angemessen sein. Wir werden für lange Zeit mit dem Coronaviru­s leben müssen und lernen, damit umzugehen. Deshalb darf unser Gesellscha­ftsmodell aber nicht untergehen, unsere Grundund Freiheitsr­echte dürfen nicht suspendier­t werden.

Wie beurteilen Sie die geplante Corona-App?

Da gibt es ja drei Vorschläge: Gesundheit­sminister Spahn hatte eine Funkzellen-Auswertung vorgeschla­gen, das ist aber technisch nicht ausgereift und rechtlich bedenklich. Die Bewegungsp­rofile der Handynutze­r sind nachvollzi­ehbar. Der zweite Vorschlag beruht auf der GPS-Techtionen nik und wurde in Südkorea angewendet. Das ist deutlich genauer, funktionie­rt aber nicht bei Hochhäuser­n – man weiß nicht, in welchem Stockwerk eine infizierte Person sich aufgehalte­n hat. Außerdem sind auch dabei Bewegungsp­rofile nachvollzi­ehbar. Das werden die Menschen in Deutschlan­d nicht akzeptiere­n, sie umgehen eine solche Überwachun­g und lassen ihr Handy beispielsw­eise daheim. Unser Vorschlag basiert daher auf der Bluetooth-Technologi­e. Auch sie hat eine gewisse Fehlertole­ranz, aber es wird nicht festgehalt­en, wo man Kontakt hatte, sondern es gibt eine Informatio­n darüber, dass man Kontakt zu einem Infizierte­n hatte. Das System basiert außerdem auf dem Prinzip der Freiwillig­keit. Es ist der technisch und rechtlich beste Weg, um sich selbst zu schützen sowie die Ausbreitun­g des Virus zu kontrollie­ren und zu bremsen.

Wie gut war Deutschlan­d auf eine solche Pandemie vorbereite­t? Welche Lehren müssen wir ziehen?

Faktisch funktionie­rt bei uns ja vieles gut. Offenbar können unsere Gesellscha­ft, unsere Verwaltung und unser Gesundheit­ssystem vergleichs­weise gut mit solchen Situa

umgehen. Sicher hilft uns auch, dass der Gesundheit­szustand und die Hygienesta­ndards höher sind als in anderen Ländern. Wir sehen aber auch, dass es in der Handhabung erhebliche Unterschie­de zwischen den Bundesländ­ern gibt. Eine Pandemie macht nicht an Ländergren­zen Halt, deshalb müssen wir deren Bekämpfung zentral steuern. Die Bundesregi­erung muss das an sich ziehen und konzertier­te Maßnahmen erlassen können. Sonst leiden diejenigen Bundesländ­er darunter, die sich schnell stark eingeschrä­nkt haben, um ihre Bevölkerun­g zu schützen.

Gilt das auch für die Ebene der EU?

Ja, und zwar rechtlich, politisch sowie auch mit Blick auf die Gesundheit­ssysteme muss man in solchen Situatione­n zentral steuern können. Die EU hätte schon lange gern solche Kompetenze­n, aber die Nationalst­aaten haben ihr das immer verweigert. Das muss man ehrlich sagen, statt der EU vorzuwerfe­n, jetzt nicht handlungsf­ähig zu sein.

Wir leben in einer Grenzregio­n. Österreich hat am Dienstag angefangen, die Einschränk­ungen zu lockern – wäre eine gemeinsame Lösung mit den Nachbarn oder auf EU-Ebene sinnvoller?

Ja, das wäre wünschensw­ert. Südbayern, Österreich und Norditalie­n sind doch im Prinzip ein gemeinsame­r Wirtschaft­sraum. Wir nutzen gemeinsame Verkehrs- und Güterachse­n, wir hängen eng zusammen. Dafür brauchen wir auch gemeinsame Lösungen. Stattdesse­n haben wir zu Beginn der Krise gesehen, dass an geschlosse­nen Grenzen zu Osteuropa Lastwagen tagelang festhingen und die geladenen Lebensmitt­el verdorben sind. In einem Europa ohne Grenzen müssen wir auch europäisch handeln.

Sie sind auch kommunalpo­litisch aktiv, derzeit noch Kreisrat im Oberallgäu. Wie stark wird die Pandemie die Arbeit in den Kommunen für die kommenden Jahre verändern?

Die Kommunen werden weniger Einnahmen haben und sich stärker auf ihre Pflichtauf­gaben konzentrie­ren müssen, statt auf die Kür. Es kommen sicher keine fetten Jahre auf uns zu. Bis vor Kurzem wurde uns der Verzicht aus ökologisch­en Gründen nahegelegt. Möglicherw­eise werden wir bald spüren, was Verzicht wirklich bedeutet.

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ARCHIVFOTO: RALF LIENERT Stephan Thomae spricht sich dafür aus, die Corona-Pandemie zentral zu bekämpfen.

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