Viele Lindauer haben noch keine Soforthilfe
Die Corona-Krise stellt das Leben der Geschäftsleute auf den Kopf – Geld vom Staat lässt auf sich warten
- Die Blech-Osterhasen wandern wieder in die Kartons, ohne dass sie jemals ein Kunde gesehen hat. Angela Reichel packt auch die Frühlingsservietten und die Tulpenanhänger wieder ein. „Die will jetzt niemand mehr“, sagt die Inhaberin des Tollhaus. „Aber es ist zum Glück nichts Verderbliches.“Immerhin. Ihr Laden ist schon seit Wochen geschlossen. Trotzdem ist sie jeden Tag da, zeichnet Ware aus, putzt und tut so, als wäre alles wie immer. Ist es aber nicht. Der Lockdown wegen der Corona-Pandemie hat alle Pläne der Lindauer Geschäftsleute über den Haufen geworfen. Und wie viele andere wartet Angela Reichel seit Wochen auf die angekündigten Soforthilfen der Regierung.
Sie sitzt auf Waren im Wert von mehr als 30 000 Euro fest, das Ostergeschäft ist gelaufen, und die Aussichten sind trüb: Weder Tagungen noch Touristen sind in Sicht. Dabei hatte Angela Reichel erst kräftig ins Tollhaus investiert, der Laden für Wohnaccessoires und Geschenke war in neue Räume gezogen. „Nun sind alle Rücklagen weg, ich bin komplett auf Null“, sagt sie.
Die Soforthilfe sollte ihr Rettungsanker sein. „Die habe ich gleich am ersten Tag beantragt.“Mitte März also, nachdem klar war, dass die meisten Läden schließen und die Menschen zu Hause bleiben müssen. Doch bis heute habe sie weder vom Bund noch vom Land Geld bekommen, auch keine Rückmeldung. „Die haben mich einfach vergessen“, sagt sie resigniert. Dabei bräuchte Reichel das Geld dringend, um die nächsten Monate durchzuhalten. „Das könnte mich retten.“Dass es bei anderen Einzelhändlern offensichtlich problemlos mit der Zahlung geklappt habe, irritiert sie. Da Nachfragen nicht möglich sind, bleibt ihr nur Warten und die Hoffnung, dass das Geld doch noch kommt.
Sie freut sich, dass sie am Montag ihren Laden wieder öffnen kann. Mit einem großen Ansturm rechnet sie aber nicht. „Wir sind vom Tourismus abhängig.“Österreicher und Schweizer gehörten zu ihren Hauptkunden, aber auch Tagungsgäste. Und dann habe sie das „falsche Sortiment“, meint sie realistisch. So wohltuend aromatische Duftkerzen, farbenfrohe LatteMacchiato-Becher und bunte BassettiDecken in diesen trüben Zeiten auch sind, sie seien „nicht systemrelevant“.
Einige treue Kunden sehen das anders. Ausgerechnet eine Frau aus dem sehr vom Corona-Virus betroffenen Südtirol hat ihr geschrieben, weil sie sich ums Tollhaus sorgt. Sie hat ihr 50 Euro überwiesen – „für ein Überraschungspaket aus dem Tollhaus“, erzählt Reichel. „Da habe ich fast geweint.“Ihren Laden, den es schon 20 Jahre in Lindau gibt, endlich wieder aufzusperren, bedeutet für sie wieder „ein Stückchen Normalität“. Auch wenn sie künftig eine Glasscheibe an der Kasse von ihren Kunden trennt und deren Lächeln hinter dem Mundschutz nur erahnen kann.
Dass ihr Salon am 4. Mai gefragt sein wird, daran hat Sonja Jaeger, Friseurmeisterin und Inhaberin des Athmoshair, keinen Zweifel. „Es ist wichtig, dass sich die Leute wohlfühlen. Das ist auch ein Grundbedürfnis.“Was ihr in den vergangenen Wochen zu schaffen machte, war die Ungewissheit, wann sie ihren Friseursalon wieder aufmachen kann. Sonja Jaeger hangelte sich im 14-Tage-Rhythmus durch die Krise – und bereitete sich wiederholt auf einen möglichen Neubeginn vor. Doch auf die Hoffnung folgte die Enttäuschung. „Wir haben dreimal den Terminkalender umorganisiert“, sagt sie. Das war ein Kraftakt, denn jedes mal mussten rund 800 Termine verlegt werden. Die Kolleginnen hingen tagelang am Telefon, einige Kunden waren sauer, dass ihr Termin schon wieder verschoben werden musste, erzählt sie. „Da leiden wir dann darunter.“
Bis Sonja Jaeger Athmoshair am 4. Mai wieder öffnen darf, wird der Salon sechs Wochen geschlossen haben. Um die finanziellen Einbußen abzufedern, hat sie für ihre zehn Mitarbeiterinnen Kurzarbeit beantragt, die inzwischen genehmigt sei. Soforthilfe habe sie aber bislang noch nicht bekommen. Die Friseurmeisterin setzt ihre ganzen Hoffnungen auf den 4. Mai, wenn sie endlich wieder durchstarten darf. Doch um die Auflagen zu erfüllen, musste sie erst investieren. Selbst wenn nur die Hälfte des Teams arbeite, sei es bei den verschiedenen Arbeitsabläufen „nicht hundertprozentig sicher, dass nicht irgendwann doch zwei Kunden nebeneinander sitzen“. Sie
Einzelhändlerin Angela Reichel habe sich daher für Trennwände zwischen den Arbeitsplätzen entschieden, um die Abstandsregeln immer einhalten zu können. „Ich habe jetzt knapp tausend Euro in die Vorbereitung gesteckt, dass ich arbeiten kann.“
Sonja Jaeger ist es wichtig, „dass sich meine Kunden sicher fühlen“. Ihr Eindruck sei, dass sich die meisten freuen, dass es wieder losgeht. Für die Friseurinnen wird das Arbeiten dennoch zunächst anders sein: mit Mundschutz und Trennwänden, aber ohne Augenbrauenzupfen, Schminken und rasieren. „Am Gesicht dürfen wir nichts machen.“So nah dürfen sie ihren Kunden noch nicht kommen.
Gäbe es einen Termin, wann es sein Restaurant wieder aufmachen darf – das Ehepaar Gerstmayr wäre froh. Doch die Villa Alwind in Bad Schachen hat seit dem 19. März geschlossen. „Und wir haben keine Ahnung, wann es weitergeht“, sagt Alexandra Gerstmayr. „Wir hängen in der Luft, da ist eine ganz große Unsicherheit, da sind Ängste.“
Bis auf ihre beiden Auszubildenden haben die Gerstmayrs alle Mitarbeiter ihres zehnköpfigen Teams in Kurzarbeit geschickt. „Darunter ist auch jemand, der gerade Vater geworden ist“, sagt Alexandra Gerstmayr. Ihr ist bewusst, dass die Situation nicht nur für sie und ihren Mann, sondern auch für all ihre Mitarbeiter schlimm ist. „Sie haben 40 Prozent weniger Gehalt, und das Trinkgeld fällt auch noch weg“, sagt Michael Gerstmayr.
Normalerweise geht die Saison mit dem Ostergeschäft und Kommunionsund Konfirmationsfeiern so richtig los. Viele Familien nutzen die Villa mit dem großen Garten direkt am See für Familienfeiern. Die Reservierungen für den Sommer hat das Ehepaar noch nicht abgesagt. „Wir haben viele Anfragen für Hochzeiten oder Geburtstagsfeiern“, sagt Alexandra Gerstmayr. Allerdings ist völlig unklar, was am Ende unter welchen Auflagen stattfinden kann.
Klar ist nur: Den Verlust aus dem ersten Halbjahr wird das zweite Halbjahr niemals auffangen. „Wir sind im Sommer eh immer voll und wir können nicht mehr als arbeiten“, sagt Alexandra Gerstmayr. Und ihr Mann ergänzt: „Mit Abstandsregeln können
Sonja Jaeger wir unsere Kapazitäten nur zu 50 Prozent ausnutzen.“Das Ehepaar versteht nicht, warum es sein Restaurant dann nicht jetzt schon wieder aufmachen darf. „Wir könnten die Abstandsregeln gut umsetzen, indem wir einfach ein paar Tische rausnehmen“, sagt Alexandra Gerstmayr. Doch so lange die Regierung kein grünes Licht gibt, bleibt dem Ehepaar nur, sich mit seinem Lieferservice über Wasser zu halten. „Wir haben ganz viele liebe Stammgäste, die bei uns bestellen“, sagt Alexandra Gerstmayr, die das Essen aus der Villa Alwind persönlich ans Küchenfenster ihrer Kunden bringt.
Schon Mitte März haben die Gerstmayrs Soforthilfe und Kurzarbeitergeld beantragt. „Bisher haben wir aber noch gar keine Leistungen bekommen“, sagt Alexandra Gerstmayr. Damit die Angestellten ihr
Geld bekommen, geht das Ehepaar in Vorleistung.
Bayern war das erste Bundesland, dass Soforthilfe eingeführt hat. Dass einige Lindauer noch keine Zahlungen erhalten haben, erklärt Aaron Gottardi, Sprecher des bayerischen Wirtschaftsministeriums, so: „Nachdem auch der Bund ein Soforthilfeprogramm gestartet hat, mussten wir unser Programm an die Regelungen vom Bund anpassen.“Fördermittel seien nach oben geschraubt worden, das Verfahren wurde digitalisiert. Zwar würden die Unterlagen nach Möglichkeit der Reihe nach bearbeitet, die Bearbeitungszeit hänge aber von deren Vollständigkeit ab. Papieranträge seien dem Ministerium außerdem in Einzelfällen wegen falscher Adressierung und Probleme bei der Post mit Verzögerungen von bis zu zwei Wochen zugegangen. „Zudem sind bis zu zwei Drittel dieser schriftlichen Anträge unvollständig ausgefüllt, beziehungsweise unleserlich geschrieben, was die Bearbeitung weiter verzögert“, sagt Gottardi. Außerdem würde in Bayern im Gegensatz zu anderen Bundesländern jeder einzelne Antrag auf seine Plausibilität hin geprüft.
Klaus Müller konnte überhaupt keinen Antrag auf Soforthilfe stellen, denn die Förderung ist an laufende Betriebskosten gekoppelt. Ausgaben, die der Lindauer nicht hat – er ist Straßenkünstler. Normalerweise wäre er schon seit Wochen mit Einrad und Fackeln
Alexandra Gerstmayr
am Hafen unterwegs. Zwischen Café Graf und Mangturm würde er seine Show aufführen und Touristen und Lindauer zum Lachen bringen.
Doch in diesem Jahr ist nichts normal. Festivals wie das Friedrichshafener Kulturufer sind längst abgesagt, Menschenmassen, die dicht gedrängt seine Kunststücke bejubeln – undenkbar. „In der Sommersaison geht gar nichts, ich kann nicht auf der Straße auftreten“, sagt er. Auch die Aufträge für seine Agentur Circle Show Production, mit der er Straßenkünstler und Straßenmusiker vermittelt, werden ausbleiben. „Ich habe Berufsverbot und kann jetzt Hartz IV beantragen“, sagt er.
In seiner Regierungserklärung am vergangenen Montag hatte Ministerpräsident Markus Söder verkündet, dass soloselbstständige Künstler für die Finanzierung ihres Lebensunterhaltes über einen Zeitraum von drei Monaten jeweils 1000 Euro im Monat bekommen können. „Die Fördergrundsätze werden derzeit unter Hochdruck erarbeitet und zeitnah auf unserer Homepage bekannt gegeben“, schreibt Bianca Preis, Sprecherin des bayerische Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst, auf Anfrage. Allerdings soll die Förderung an die Mitgliedschaft in der Künstlersozialkasse gekoppelt sein, laut Preis „ein relativ schnell zu überprüfendes und unbürokratisches Kriterium“.
Doch Klaus Müller ist dort nicht versichert. Er habe bereits mit der Regierung von Schwaben telefoniert, wo man ihm geraten habe, Selbstständigen-Nothilfe zu beantragen. „Ich falle durch jedes Raster“, sagt er. Dabei sei er nicht der Einzige: „Es sind in Deutschland eine ganze Menge Kulturschaffende betroffen. Wir sind ja nicht einheitlich organisiert, und es gibt in Deutschland auch keinen entsprechenden Status.“Auch deswegen hat er erst kürzlich einen offenen Brief unterschrieben, mit dem Künstler aus ganz Deutschland auf ihre Situation aufmerksam machen wollen.
„Es sieht düster aus“, sagt er. Er habe keine Ahnung, wie er die nächste Miete bezahlen soll. Dass es Künstler gibt, die bisher noch keine Chance auf Hilfe haben, ist dem Ministerium laut Sprecherin Preis bekannt. Kunstminister Bernd Sibler wolle sich für weitere Hilfen einsetzen. Müller hofft, dass das nicht lange dauert. Denn er will seine Arbeit nicht aufgeben. „Egal, wie knapp die Mittel sind und egal, wie lange ich aushalten muss.“
„Nun sind alle Rücklagen weg.“
„Ich habe jetzt knapp tausend Euro in die Vorbereitung gesteckt.“
„Da ist eine ganz große Unsicherheit.“
„Es sieht düster aus.“
Straßenkünstler Klaus Müller