Beschleunigtes Filialsterben
Weshalb aktuell geschlossene Bankniederlassungen auch nach der Corona-Krise nicht wieder öffnen könnten
- Nichts bewegt sich. Seit dem 23. März stehen Kunden der Sparkasse in Oberhofen vor verschlossenen Türen. Auch die Filialen in Bodnegg, Grünkraut und Waldburg sind geschlossen. Um der Verbreitung des Coronavirus keinen Vorschub zu leisten, hat die Kreissparkasse Ravensburg zahlreiche kleine Geschäftsstellen geschlossen und nur die größeren Häuser offen gelassen. Damit ist die KSK nicht allein. Nahezu alle Bankinstitute haben zum Schutz der Kunden und Mitarbeiter kleine Filialen geschlossen. „Das wichtigste Kriterium war die Frage, ob die Hygiene- und Abstandsregeln eingehalten werden können. Parallel mussten die Sparkassen schauen, dass sie auch bei einem erhöhten Krankenstand immer noch genügend Personal für die geöffneten Filialen haben“, erklärt Stephan Schorn, Sprecher des Sparkassenverbands BadenWürttemberg (SVBW), die Auswahl der geschlossenen Zweigstellen.
Glaubt man Bankenexperte Oliver Mihm, ist jedoch fraglich, ob die kleinen und nah beieinander liegenden Filialen nach Beendigung der Schutzmaßnahmen überhaupt wieder öffnen werden. „Aus den Gesprächen mit vielen Vorstandsvorsitzenden verschiedener Bankhäuser rechne ich damit, dass in zahlreichen Häusern ein Teil der derzeit geschlossenen Zweigstellen nicht wieder öffnet“, sagt er im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung.“Mihm ist Vorsitzender der Frankfurter Beratungsgesellschaft Investors Marketing (IM) und berät laut eigener Aussage rund 60 Bankenchefs in ganz Deutschland.
Die Entwicklung, dass Banken und Sparkassen kleine Filialen schließen, ist nicht neu. Gab es im Jahr 2005 laut Statistik der Bundesbank deutschlandweit noch 44 100 Zweigstellen, waren es Ende vergangenen Jahres nur noch 26 667. Das ist ein Rückgang um rund 40 Prozent – und noch lange nicht das Ende. Investors Marketing vermutet, dass die Corona-Krise den Filialabbau noch einmal beschleunigt. In einer aktuellen Prognose geht die Beratungsgesellschaft davon aus, dass die Zahl der Filialen bis 2025 jährlich um weitere acht Prozent auf dann nur noch 16 000 Filialen zurückgehen wird – beschleunigt durch die Corona-Krise um zusätzliche 3500 Zweigstellen, die früher wegfallen als ursprünglich kalkuliert.
„Jetzt wird einfach ganz offensichtlich, was ich brauche und was nicht“, sagt IM-Vorstandschef Oliver
Mihm. Der Berater nennt zwei Gründe für diese Annahme: Erstens stellten die Geldhäuser aktuell fest, dass das Geschäft auch mit einer deutlich geringeren Zahl an Filialen funktioniere; zweitens setze sich bei der Kundschaft eine immer größer werdenden Grundakzeptanz für OnlineBanking und Telefonberatung durch.
Gerade den zweiten Punkt bestätigen auch die Geldhäuser: „Die Kunden nutzen in Zeiten von Corona verstärkt die digitalen Zugangswege zur Bank. Entscheidend ist es für die Menschen, dass ihr Berater erreichbar ist und ihnen weiterhilft“, sagt etwa Roman Glaser, Präsident des BadenWürttembergischen Genossenschaftsverbands, auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“. Auch der SVBW und die Commerzbank bestätigen, dass sich Banking und Beratung durch die Pandemie sehr schnell ins Digitale verlagert haben. Bei der Commerzbank habe es allein im März 9,7 Millionen digital durchgeführte Überweisungen gegeben – das sind fast 500 000 mehr als im Vormonat. Auch das bargeldlose Bezahlen habe einen deutlichen Schub erlebt.
Das Besondere: Der Umstieg ins Digitale scheint zu funktionieren, obwohl aufgrund der unsicheren Lage derzeit sogar mehr Menschen eine Beratung ihrer Bank wünschen. „Die Nachfrage nach qualifizierter
Beratung ist sowohl bei den Firmenkunden wie auch den Privatkunden sehr hoch. Dabei geht es vor allem um Kredite, Förderprogramme, Aussetzung von Ratenzahlungen und Fragen zu Wertpapiergeschäften“, erklärt Sparkassen-Sprecher Stephan Schorn.
Dabei findet die Beratung zu großen Teilen ohne persönliche Kontakte
statt. Ohne genaue Zahlen nennen zu können, schätzt der Sparkassenverband, dass um Ostern herum rund ein Drittel der 1950 Zweigstellen im Südwesten geschlossen waren, teils aber wieder geöffnet haben. Auch bei den Volks- und Raiffeisenbanken sind viele der rund 2500 Geschäftsstellen aktuell für den Kundenverkehr gesperrt. Die Deutsche Bank antwortete nicht auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“. Bei der Commerzbank haben nur drei der zehn Filialen im Gebiet der Niederlassung Ulm geöffnet (Ulm, Konstanz, Friedrichshafen). „Wichtig war uns, in allen Regionen präsent zu sein und die persönliche Erreichbarkeit für unsere Kunden sicherzustellen“, sagt Tanja Sienitzki, Niederlassungsleiterin Ulm.
Oliver Mihm
Oliver Mihm rechnet damit, dass sich diese Zentralisierung auf größere Filialen mit größerem Einzuggebiet auf Dauer bei allen Bankhäusern durchsetzen wird. „Wir setzen uns jeden Tag mindestens eine halbe Stunde ins Auto, um zur Arbeit zu kommen“, sagt der Berater. „Da nimmt man auch eine längere Anfahrt in Kauf, wenn man tatsächlich mal eine persönliche Beratung braucht.“
Die Banken selbst halten sich hingegen bedeckt, was einen weiteren Filialabbau betrifft. Es sei zu früh für ein Fazit, sagt Sparkassensprecher Schorn. „Grundsätzlich werden Sparkassen auch in Zukunft ein sehr dichtes Filialnetz haben.“Auch Roman Glaser, Präsident des Genossenschaftsverbands, meint, dass die Zeit für „solch pauschalen Schlüsse“noch nicht gekommen sei. Beide geben aber zu, dass es weiter Bewegung im Filialnetz ihrer Häuser geben wird. „Die Institute setzen sich permanent mit ihrer strategischen Ausrichtung auseinander, wozu auch die Ausgestaltung des jeweiligen Geschäftsstellennetzes gehört. Persönlich besetzte Filialen spielen nach wie vor eine große Rolle für die Volksbanken und Raiffeisenbanken, ihre Zahl wird vermutlich jedoch moderat sinken – allerdings von einem sehr hohen Niveau aus“, sagt Glaser und betont, dass dies fast immer sehr kleine und gering frequentierte Filialen betreffe.
Die Commerzbank hingegen diskutiert laut Informationen des „Manager Magazins“aktuell über Schließung jeder zweiten Filiale. „Die Krise zeigt, dass wir mit unserer Strategie richtig aufgestellt sind. Diese lautet: ,Mobile first’ mit paralleler Aufrechterhaltung der persönlichen Beratung“, sagt auch die Ulmer Niederlassungsleiterin Tanja Sienitzki.
Gut möglich aber, dass die Entscheidung den Banken und Sparkassen von den Kunden abgenommen wird. Experte Mihm rechnet damit, dass es künftig viel Bewegung am Markt geben wird, da die Kunden nun erkannten, dass Banking im Digitalen gut funktioniert und es nicht zwingend einen persönlichen Ansprechpartner brauche. Das Digitale werde weiter an Bedeutung gewinnen. „Und da haben gerade regionale Institute in den letzten Jahren zu wenig investiert“, sagt Mihm. „Die Häuser, die da gut aufgestellt sind, haben weiterhin ein gutes Geschäft.“Für die Bankinstitute stellt sich daher nicht nur die Frage nach dem richtigen Filialnetz, sondern auch nach dem richtigen Internetauftritt.
„Jetzt wird einfach ganz offensichtlich, was ich brauche und was nicht.“