Corona und die Freiheit des Christenmenschen
Seit einigen Wochen fanden keine Gottesdienste mehr in den Gotteshäusern statt – jetzt dürfen wir uns unter strengen und sinnvollen Auflagen wieder zum Gebet versammeln. Für viele waren die Beschränkungen der letzten Woche eine harte Prüfung, fast das gesamte öffentliche Leben lag darnieder. Kein Wunder regte sich in den Leuten der Widerstand, und manchmal wich die Angst der Wut über gecancelte Bürgerrechte.
Manche ließen sich sogar hinreißen, die Gottesdienstverbote mit einer Christenverfolgung zu vergleichen – was für ein Hohn für Menschen, die in ihrer eigenen Lebensgeschichte Verfolgung und
Unterdrückung erlebt haben, oder fliehen mussten, weil sie zu Hause um ihr Leben bangen müssen: Niemand wird bei uns für seinen Glauben, für sein privates Gebet, ob zu Hause oder in den Kirchen, die jetzt sogar oft zusätzlich geöffnet sind, verfolgt oder muss um sein Leben fürchten! Nein, ganz im Gegenteil muss man sich um sein Leben fürchten, wenn die Rufer*innen nach Bürgerrechten ihre persönliche Freiheit mit Egoismus verwechseln. ICH will, ICH darf, es ist MEIN Recht!
Diese seltsame Zeit macht offenbar, was wir unter Freiheit verstehen. Diese Freiheit, die uns zum Beispiel der christliche Glaube lehrt, die unter anderem in der Reformation so vehement diskutiert und greifbar wurde – die uns aber gerade als christliche Freiheit zu einer Verantwortung für das Gemeinwesen auffordert. Meine Freiheit ist ein Wert, den ich für andere einsetzen soll – genau das hat Jesus uns gepredigt und vorgelebt. In diesem Sinne kann der Satz „Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden“von Rosa Luxemburg die christliche Botschaft sehr gut beschreiben. Und es ist die Freiheit der Schwächeren.
Ohne die immensen wirtschaftlichen, sozialen und psychischen Schwierigkeiten dieser Zeit zu verdrängen, sollten wir nachdenken, wo wir der Gemeinschaft jetzt dienen können. Ein Dienst an der Gemeinschaft war und ist jetzt auch Verzicht auf gewohnte Gottesdienste.
Das ist natürlich eine große Prüfung im Glauben: „Funktioniert“ mein Glaube, meine Beziehung zu Gott auch, wenn ich alleine bete? Oder ist da nichts mehr? War denn dann vorher überhaupt etwas? Ist meine Sehnsucht jetzt wirklich eine Sehnsucht nach Gott – oder ein Vermissen der Geselligkeit und Gewohnheit?
In der Religionsgeschichte waren Zeiten, in denen alle Gewohnheiten genommen wurden, auch wichtige Erneuerungszeiten. Die Bibel ist voll von diesen Geschichten: Immer, wenn der Mensch sich seiner Sache – seines Glaubens – zu sicher war, kam eine Erschütterung. Und dann ein Neuanfang und eine neue Blüte. Wir dürfen nicht in die alten (Glaubens-) Gewohnheiten zurückfallen, auch, wenn wir das jetzt gerne so schnell wie möglich wollen.