Lindauer Zeitung

„Gute Produkte kochen sich von selbst“

Otto Geisel rund um den gastronomi­schen Wettbewerb „Allgäuer Genussmach­er“

- Von welcher Region können wir im Allgäu lernen?

- Der Wettbewerb „Allgäuer Genussmach­er“startet in die zweite Runde. Gesucht werden herausrage­nde Produkte und deren Macher. Im Gespräch mit Uli Hagemeier berichtet Organisato­r Otto Geisel, was er am Allgäu schätzt – und was ihm fehlt.

Was ist für Sie Genuss?

Genuss bedeutet für mich immer Gemeinscha­ft, Austausch, Kommunikat­ion. Der Begriff „Diskussion“hat übrigens den gleichen Wortstamm wie der „Tisch“. Gemeinsam bei Tisch diskutiert man auf Augenhöhe. Den anderen aufzutisch­en und ihnen zuzuhören, ist elementar für die Gastfreund­schaft – diese wird in anderen Ländern übrigens noch viel stärker gelebt als bei uns.

Was macht für Sie die Allgäuer Küche aus?

Sie ist geprägt von einer großen Ursprüngli­chkeit, sie ist schnörkell­os und puristisch. Das ist übrigens ein guter Ansatz für die Spitzenküc­he: Die Zeit der Saucendial­oge und der zwölf Komponente­n auf einem Teller ist vorbei. So gesehen ist das Allgäu ziemlich fortschrit­tlich. Ich bin übrigens davon überzeugt, dass die Ausnahmesi­tuation durch das Corona-Virus dem Bewusstsei­n für das Ursprüngli­che wieder mehr Raum gibt, die Menschen messen dem wieder mehr Wertigkeit bei.

Gehört neben dem Authentisc­hen nicht auch das Experiment zur guten Küche?

Experiment­ell haben wir Vieles hinter uns. Es ist klug, sich aufs Wesentlich­e zu konzentrie­ren, das kann nämlich sehr facettenre­ich sein. Das Allgäu steht zum Beispiel für vielfältig­e Milchprodu­kte. Was aus Käse werden kann, wenn man ihm Zeit gibt zum Reifen, das ist fantastisc­h. Thomas Breckle vom Jamei in Kempten zeigt diese Transforma­tion beispielha­ft. Milch schmeckt im Allgäu nicht anders als in der Schweiz, ich habe zumindest noch nie jemanden getroffen, der einen Unterschie­d geschmeckt hat. Die Herkunft der Milch, das Futter der Kühe und die Reifung des Käses erzeugen dann aber sehr wohl eine besondere regionale Identität.

Warum ist die Initiative „Allgäuer Genussmach­er“notwendig?

Die Initiative macht deutlich, was hier alles im Verborgene­n blüht. Für eine landwirtsc­haftlich geprägte Region wie das Allgäu ist es auch ein ganz wesentlich­er Aspekt, die handwerkli­che Lebensmitt­el-Produktion zu stärken. Es müssen Produkte geschaffen werden, die nicht austauschb­ar sind. Schauen Sie sich das Beispiel der Provence an: Lavendel, Kräuter, das Lamm, die Bouillabai­sse – die Produkte stehen unverwechs­elbar für diese Region. Das ist ein Marketingv­orteil. Andere haben das früher erkannt als die Allgäuer, zum Beispiel die Österreich­er. Deshalb hat sich dort eine selbst bewusstere Gastronomi­ekultur entwickelt. Aber es gibt auch hier herausrage­nde Beispiele. Eines ist der Verein Alpgenuss: Die setzen den Alpen, die mit dieser Marke werben, ganz klare Regeln dafür, was auf den Tisch kommen darf. Das wird auch so an die Gäste kommunizie­rt. So etwas gibt es im ganzen Alpenraum nur einmal. Das schafft eine tolle Hüttenkult­ur, dort gibt es keine Selbstbedi­enung mit Wiener Würstchen, die stundenlan­g im Wasser liegen. Die Genussmach­er-Initiative zeigt aber nicht nur auf, welche Produkte es gibt, sie zeigt auch, dass es einen Markt dafür gibt. Damit gibt sie Impulse für die Entwicklun­g der Landwirtsc­haft.

Wann ist ein Produkt für Sie gut?

Wenn eine gute Geschichte dahinterst­eckt. Damit meine ich den Entstehung­sprozess. Beim Genussmari­en in dem Wettbewerb: Produkt, Initiative und Persönlich­keit. Bewerben können sich Handwerker, Landwirte, Köche, Manufaktur­en, Gaststätte­n und Persönlich­keiten; Konsumente­n sind aufgerufen, Genussmach­er vorzuschla­gen. cher-Wettbewerb im vergangene­n Jahr wurden etwa 150 Vorschläge eingereich­t. Ich habe mir viele Betriebe angesehen. Einer der Preisträge­r war das Hofgut Ratzenberg im Westallgäu. Ich war mit dem Betreiber Alexander Eisenmann-Mittenzwei bei seinen Tieren auf der Wiese. Die waren ganz ruhig, sie kamen auf ihn zu, vertrauen ihm. Das hat mich beeindruck­t.

Die „Geschichte hinter dem Produkt“ist für viele Produzente­n eine Story und damit Marketing. Welche Bedeutung hat das für Sie?

Das ist auch wichtig, wenn es ehrlich ist. Erklärende Worte sind hilfreich, um ein Produkt zu verstehen. Es hat im Allgäu aber keine Tradition, über das Gute, das man tut, zu sprechen. Deshalb haben wir mit der Initiative einen Stein ins Wasser geworfen, der Wellen schlägt. Wir möchten allerdings auch Netzwerke der Produzente­n bilden. Tipps aus der Branche sind wichtig, damit man voneinande­r lernt, daraus entsteht eine eigene Kultur.

Welche Rolle spielen die Konsumente­n bei dem Versuch, die Allgäuer Genusskult­ur zu stärken?

Eine ganz wichtige. Ich rufe alle Allgäuer auf, mit dem gleichen Zeitaufwan­d, der gleichen Lust und Liebe nach heimischen Produzente­n zu suchen, wie sie es im Urlaub in der Toskana auch tun. Wer das tut, wird Vergnügen

Geisel und eine Jury prüfen die Einsendung­en, die Preise werden im Herbst verliehen. Mehr Infos zum Wettbewerb, über die Preisträge­r 2019 und die Bewerbungs­unterlagen im Internet unter www.allgäuer-genussmach­er.de

haben. Das Wichtigste beim Kochen ist die Zeit des Einkaufs, gute Produkte kochen sich von selbst!

Wer sind aufseiten der Konsumente­n die Adressaten dieser Initiative? Sind es die Einheimisc­hen oder die Gäste?

Erst einmal die Allgäuer selbst. In der Region muss ein Bewusstsei­n dafür entstehen, wie hochwertig die hier erzeugten Produkte sind. Daraus entsteht Stolz, der dann automatisc­h auch Gästen vermittelt wird.

Ich finde Vorarlberg und den Bregenzerw­ald schon inspiriere­nd. Der ganze Alpenraum ist jedoch eine Schatzkamm­er für Produkte, die einer gesunden Arme-Leute-Küche entspreche­n. Diese Cucina Povera in Italien ist das, was uns Deutsche sehnsüchti­g macht. In Italien gibt es keine Haute Cuisine, nur regionale Küche. Südtirol lebt uns vor, wie man mit dieser Schatzkamm­er umgeht. Mit regionalen Produkten Genuss zu machen, ist alles andere als anachronis­tisch: Es geht darum, Pflanzen, Tiere, Traditione­n und damit regionale Kultur in die Zukunft zu retten. Was den Allgäuern dazu noch fehlt, ist Selbstbewu­sstsein – sonst wäre der berühmtest­e Käse nicht nach einer Schweizer Region benannt (lacht).

 ?? FOTO: MATTHIAS BECKER ?? Allgäuer Genussmach­er: Michael Weiß (links), Chef der Meckatzer Löwenbräu und Initiator des Wettbewerb­s, im Gespräch mit Organisato­r Otto Geisel.
FOTO: MATTHIAS BECKER Allgäuer Genussmach­er: Michael Weiß (links), Chef der Meckatzer Löwenbräu und Initiator des Wettbewerb­s, im Gespräch mit Organisato­r Otto Geisel.

Newspapers in German

Newspapers from Germany