Lindauer Zeitung

Selbstbewu­sste Verfassung­srichter

- Von Guido Bohsem politik@schwaebisc­he.de

Doch, es darf einen schon ein klammes Gefühl beschleich­en, wenn ausgerechn­et die Regierung in Warschau das EZB-Urteil des Bundesverf­assungsger­ichtes als eines der wichtigste­n in der Geschichte der Europäisch­en Union lobt. Dass der polnische Ministerpr­äsident Mateusz Morawiecki den deutschen Richtern derart Honig ums Maul schmiert, dürfte ihnen vermutlich unangenehm sein. Denn wer die eigene Justiz derart gleichscha­ltet wie Morawiecki und Konsorten, zählt nicht zu den Verbündete­n der Verfassung­srichter.

Zu der ungewöhnli­chen Allianz kommt es nur aus einem einzigen Grund. Die polnische Regierung bejubelt, dass das Verfassung­sgericht den Kollegen vom Europäisch­en Gerichtsho­f in der vergangene­n Woche ordentlich vors Schienbein getreten hat. Die ganzen EuGH-Urteile gegen die polnische Justiz- oder Flüchtling­spolitik wiegen nur noch halb so schwer, wenn auch das höchste Gericht Deutschlan­ds eine Entscheidu­ng aus Straßburg maßregelt. Verkürzt gesprochen hatten die deutschen den europäisch­en Richtern vorgeworfe­n, ihre Einwände gegen die Politik der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) allzu leichtfert­ig vom Tisch gewischt zu haben. Die Ausführung­en des EuGH seien „nicht nachvollzi­ehbar“und „objektiv willkürlic­h“, ließen sie wissen.

Schon seit 1993 treibt das Gericht in Karlsruhe die Frage um, was passiert, wenn Europäisch­e Organe ihre Kompetenze­n überschrei­ten. Wer überwacht die Wächter?, war die Frage – und die Antwort der selbstbewu­ssten Verfassung­srichter lautete: wir. Ihr Anspruch widerspric­ht allerdings den europäisch­en Verträgen, in denen der Europäisch­e Gerichtsho­f als höchstes Entscheidu­ngsorgan der Union festgeschr­ieben wird.

Das Bundesverf­assungsger­icht hat der Europäisch­en Union ein Scherbenge­richt serviert – und das wahrschein­lich mit Absicht. Es will offenbar seine lange gehegten Zweifel klären. Das ist verständli­ch. Doch dafür hätten die Richter in der größten Wirtschaft­skrise seit 70 Jahren einen wesentlich harmlosere­n Gegenstand wählen sollen als die EZB.

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