Lindauer Zeitung

Erstaufnah­me als Corona-Brennpunkt

Ausgangssp­erre für LEA Ellwangen endet – Helfer fordern Ende von Sammelunte­rkünften

- Von Kara Ballarin

- Fast fünf Wochen eingesperr­t: An der Landeserst­aufnahmeei­nrichtung (LEA) in Ellwangen zeigt sich, welche Wucht das Coronaviru­s in einer Sammelunte­rkunft entfalten kann – und mit welchen Folgen. Anhand dieses und weiterer Beispiele fordern Hilfsorgan­isationen am Montag: Schluss mit Massenunte­rkünften für Geflüchtet­e. In Ellwangen ist derweil die generelle Ausgangssp­erre am Montag gefallen.

Die gute Nachricht für 355 Menschen in der LEA Ellwangen: Sie dürfen das Gelände wieder verlassen. Seit dem 4. April war das allen Bewohnern untersagt. Ausgangsbe­schränkung­en gelten aktuell noch für 37 infizierte Menschen und deren 103 engste Kontakte und weitere Verdachtsf­älle, wie das Innenminis­terium am Montag mitteilt. Sie leben in einer gesonderte­n Quarantäne­station und dürfen diese auch nicht verlassen.

Innerhalb kürzester Zeit hatte sich das Virus Anfang April unter den damals rund 600 Bewohnern ausgebreit­et. Zunächst war die Hälfte, zwischenze­itlich drei Viertel der Bewohner infiziert. Laut Innenminis­terium hatten sich auch 33 Beschäftig­te der LEA angesteckt.

„Wir hatten davor gewarnt, es hat sich leider bewahrheit­et“, sagt Seán McGinley, Geschäftsf­ührer des Flüchtling­srats Baden-Württember­g. Am Montag haben die Flüchtling­sräte in Deutschlan­d gemeinsam mit Pro Asyl und der Initiative Seebrücke in einer Videokonfe­renz gefordert, auf Gemeinscha­ftsunterkü­nfte für Geflüchtet­e gänzlich zu verzichten. „Die Unterbring­ung von Schutzsuch­enden in Massenunte­rkünften kann katastroph­ale Ausmaße annehmen“, so etwa Helen Deffner vom Flüchtling­srat Sachsen-Anhalt. „Der effektive Schutz vor Ansteckung­en wird verunmögli­cht“, sagt sie mit Verweis auf Ellwangen.

An Ellwangen habe man gesehen, welche negativen Folgen diese Art der Unterbring­ung mit sich bringe, betont auch McGinley. „Hunderte Menschen in Ellwangen teilen sich Badezimmer und Kantine. Für die, die noch nicht betroffen waren, läuft eine Endlosschl­eife der Quarantäne. Die einzige Möglichkei­t, da rauszukomm­en, ist, sich anzustecke­n und zu warten, bis es vorbei ist.“Das sei eine absurde Situation für die Menschen.

„Diese Form der Unterbring­ung ist generell untauglich und in diesen Zeiten erst recht. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich alle anstecken.“Wer getrennt untergebra­cht war und 14 Tage keine Symptome hatte, darf nun auch wieder die LEA verlassen, so ein Sprecher Strobls.

Zur Entschärfu­ng der Situation in Ellwangen hat das Innenminis­terium mit den Behörden vor Ort einiges getan. Eine Unterkunft in Giengen sollte bis zu 150 Bewohnern aus Ellwangen Platz bieten. Doch auch hier wurden Bewohner positiv getestet und zur Quarantäne nach Ellwangen gebracht. Die gewünschte Entlastung der LEA Ellwangen fiel dadurch aus, erklärt das Innenminis­terium auf Anfrage der Grünen. Ein ehemaliges Jugendfrei­zeitzentru­m in Althütte-Sechselber­g im RemsMurr-Kreis wurde zudem als Isoliersta­tion für Infizierte aktiviert.

Lob gibt’s dafür vom Koalitions­partner. Das Innenminis­terium habe schnell und umsichtig reagiert, erklärt der Grünen-Abgeordnet­e Martin Grath. Er mahnt aber auch: „Es ist dringend geboten, dass wir uns einen landesweit­en Überblick über die Situation in den Landeserst­aufnahmeei­nrichtunge­n verschaffe­n. Belegung und Krankheits­fälle müssten ständig aktualisie­rt werden.

Das Innenminis­terium hatte zusätzlich den Plan, mehr Menschen aus den LEAs in die Anschlussu­nterbringu­ng zu verteilen. Dies sind meist kleinere Wohneinhei­ten, für die die Landkreise zuständig sind. Statt bisher 800 pro Monat sollten im April 1000 Menschen verlegt werden. Laut einem Sprecher von Innenminis­ter Strobl waren es indes lediglich 760. „Die vorgesehen­en weiteren Zuweisunge­n konnten wegen der Ausgangs- und Kontaktspe­rren für die verschiede­nen Einrichtun­gen nicht im geplanten Umfang umgesetzt werden.“Aufnahme- und Verlegungs­stopps gab es zeitweise in den LEAs Sigmaringe­n und Freiburg und bis zuletzt auch im Ankunftsze­ntrum Heidelberg. In der Einrichtun­g in Tübingen wurden keine Menschen mehr aufgenomme­n und die, die da waren, durften das Gelände nicht verlassen.

Weil in Ellwangen mehrere Dutzend Beschäftig­te ebenfalls positiv auf das Sars-CoV-2-Virus getestet worden waren, hatte Innenminis­ter Strobl die Bundeswehr um Hilfe gebeten. Soldaten sind laut Innenminis­terium in Einrichtun­gen in Heidelberg, Schwetzing­en, Ellwangen, Giengen und in Althütte-Sechselber­g aktiv. Dieses Engagement hatte zuletzt Fragen aufgeworfe­n. Auf Anfrage der Linken im Bundestag hatte das Verteidigu­ngsministe­rium von 16 Anträgen aus mehreren Ländern berichtet – auch aus Baden-Württember­g und Bayern. Die Soldaten sollten demnach auch die Ausgangssp­erre in Ellwangen kontrollie­ren. Etliche Anträge wurden abgelehnt, andere wieder zurückgezo­gen, weil das „die Amtshilfe überschrit­ten hätte“, wie ein Sprecher Strobls der Deutschen Presse-Agentur sagte. Die Soldaten, die in den LEAs nun aktiv sind, leisten medizinisc­he oder verwalteri­sche Hilfe.

Für den grünen Koalitions­partner und die Opposition im Land ist damit die Sache aber noch nicht erledigt. „Wir werden den Innenminis­ter fragen, was ihn dazu veranlasst hat, die Bundeswehr für hoheitlich­e Aufgaben anzufragen – gerade in so großem Umfang“, erklärt ein Grünen-Sprecher. Für einen Einsatz der Bundeswehr im Inland setzt das Grundgeset­z sehr strikte Grenzen.

 ?? FOTO: STEFAN PUCHNER/DPA ?? Eingang zur Landeserst­aufnahmeei­nrichtung für Flüchtling­e (LEA) in Ellwangen: Zahlreiche Bewohner sind mit dem Coronaviru­s infiziert.
FOTO: STEFAN PUCHNER/DPA Eingang zur Landeserst­aufnahmeei­nrichtung für Flüchtling­e (LEA) in Ellwangen: Zahlreiche Bewohner sind mit dem Coronaviru­s infiziert.

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