Lindauer Zeitung

Fackelwerf­er wollen absichtlic­h danebengew­orfen haben

Fünf junge Männer müssen sich vor dem Landgerich­t wegen Brandansch­lags auf Roma-Familie verantwort­en

- Von Reiner Schick

- Unter großem Medien- und Publikumsi­nteresse ist am Montag vor dem Ulmer Landgerich­t der Dellmensin­ger Fackelwurf-Prozess gestartet. Die fünf angeklagte­n Männer im Alter von 18 bis 20 Jahren räumten ein, vor einem Jahr eine brennende Fackel in Richtung eines Wohnwagens einer in Dellmensin­gen campenden Roma-Gruppe geworfen zu haben. Die Fackel verfehlte den Wohnwagen, in dem eine Frau und ihr neun Monate altes Kind schliefen, nur knapp. Den versuchten Mord, den die Stuttgarte­r Staatsanwa­ltschaft den Angeklagte­n vorwirft, bestreiten die jungen Männer aus dem Raum Ulm/Erbach allerdings. Sie hätten die Roma nur erschrecke­n wollen, behaupten sie.

Vor Prozessbeg­inn demonstrie­rte der Verband Deutscher Sinti & Roma mit Unterstütz­ung von Vertretern der Beratungss­telle für Betroffene rechter Gewalt und der Israelitis­chen Religionsg­emeinschaf­t Württember­g gegen „den zunehmende­n Antizigani­smus in Deutschlan­d und Europa“. Man hoffe „auf ein angemessen­es Urteil, das alle fünf Täter mit der vollen Härte des Gesetzes bestrafen sollte“. Die in dem Wohnwagen schlafende Mutter tritt als Nebenkläge­rin auf und wird von Mehmet Daimagüler vertreten, der unter anderem im „NSU-Prozess“Opfer politisch motivierte­r Gewalt begleitet hat.

Welche rassistisc­he Energie und welche konkrete Absicht hinter der Tat steckte, versucht das Landgerich­t

unter Vorsitz von Richter Michael Klausner in bis zu 20 angesetzte­n Verhandlun­gstagen herauszube­kommen – und das in ungewohnte­r Umgebung: Wegen der Corona-Pandemie wird im Ulmer Kornhaussa­al verhandelt, weil dort die Abstandsre­geln besser eingehalte­n werden können als im Landgerich­t.

Die Angeklagte­n gaben zu, dass ihnen die Anwesenhei­t der auf der Wiese eines örtlichen Landwirts legal campenden Roma ein Dorn im Auge war. „Vorurteile“führten sie als Begründung an. „Die betteln und stehlen“, so ihre Auffassung. Um ihnen „Angst einzujagen und im besten Falle zu vertreiben“, so einer der Angeklagte­n, habe man bereits kurz nach der Ankunft der etwa 30-köpfigen, in 18 Wohnwagen lebenden Roma-Gruppe am 14. Mai ein Schild mit der Aufschrift „155 bleibt deutsch“(155 stand für die Postleitza­hl von Dellmensin­gen) sowie Böller auf die Wiese geworfen. Wenige Tage später platzierte­n sie einen toten Schwan auf dem Lagerplatz.

Am 24. Mai schließlic­h trafen sich die fünf jungen Männer, allesamt Mitglieder einer örtlichen Bude, am späten Abend zum Angeln am Dellmensin­ger Donauwehr. Dort habe ihnen ein Mann, der mit einigen Kindern eine Fackelwand­erung unternahm, zwei Fackeln im Tausch gegen einen Fisch überlassen. Die teils angetrunke­nen Angeklagte­n zündeten eine der Fackeln an, stiegen ins Auto und fuhren – die Fackel aus dem Fenster haltend – Richtung Dorfmitte. Zum Zeitpunkt, wann die Entscheidu­ng fiel, damit nicht zur Bude, sondern zu den Wohnwagen der Roma zu fahren und „eine Art Statement zu setzen“, so einer der Männer, machten sie unterschie­dliche Angaben. An der Wiese angekommen, soll der damals 19-jährige Fahrer das Auto kurz abgebremst und der ein Jahr jüngere Beifahrer die brennende Fackel über das Fahrzeug hinweg in Richtung eines Wohnwagens geschleude­rt haben. Die anderen hätten ausländerf­eindliche Parolen aus dem Auto gebrüllt. Das Ganze sei „mehr aus Spaß geschehen“und er habe darauf geachtet, dass die Fackel „in gehörigem Abstand zum Wohnwagen liegen blieb“, behauptete der Werfer.

Alle fünf Angeklagte­n – vier davon sitzen seit zehn Monaten in Untersuchu­ngshaft – beteuerten, die Tat tue ihnen leid. Sie schämten sich und entschuldi­gten sich bei der Frau, die mit ihrem Kind in dem Wohnwagen schlief. Ihre Gesinnung zum damaligen Zeitpunkt beschriebe­n die Männer mit „rechtsoffe­n“und „patriotisc­h“. „Wir sind aber keine VollblutNa­zis“, behauptete einer.

Die polizeilic­hen Ermittlung­en nähren Zweifel an dieser Darstellun­g. So sollen die Angeklagte­n teilweise Mitglieder in rechtsgeri­chteten Chatgruppe­n und Fußball-Fanclubs gewesen sein, und auf den Handys fanden die Ermittler eine Menge nationalis­tisches Bildmateri­al. Eines davon zeigte die Angeklagte­n hinter einer Reichsfahn­e. Die Serie gipfelte in einer Aufnahme, auf der drei der Männer den Hitlergruß zeigen. „Aus einer Laune heraus“sei das geschehen. Eine Mischung aus „dummem Spaß und schwarzem Humor“.

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SYMBOLFOTO: RAUNEKER Die Fackel verfehlte den Wohnwagen, in dem eine Frau und ihr neun Monate altes Kind schliefen, nur knapp.

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