Lindauer Zeitung

Der Preis der Krise

Bund, Ländern und Gemeinden könnten allein in diesem Jahr 100 Milliarden Euro fehlen

- Von Hajo Zenker und Dieter Keller

- Dass die goldenen Jahre der gesetzlich­en Krankenkas­sen, wo angesichts einer guten Konjunktur mit steigenden Beschäftig­tenzahlen und höheren Löhnen riesige Überschüss­e anfielen, zu Ende gehen, war ihnen schon vor Corona klar. Ein wichtiger Grund sind diverse Gesetze von Minister Jens Spahn (CDU), der das Gesundheit­swesen für Patienten und Personal attraktive­r machen will. Allein zwei davon, das Terminserv­iceund Versorgung­sgesetz sowie das Pflegepers­onal-Stärkungsg­esetz, sorgen nach Angaben von Doris Pfeiffer, Vorstandsc­hefin des GKVSpitzen­verbandes, der Dachorgani­sation aller 105 Kassen, für Mehrausgab­en von jährlich fünf Milliarden Euro – dauerhaft.

Nun hat Corona alles noch gründlich verschlimm­ert. Ein in der Bundesrepu­blik nie gekannter wirtschaft­licher Absturz mit bis zu zehn Millionen Kurzarbeit­ern und steigender Arbeitslos­igkeit führt zu massiven Einnahmeau­sfällen. Gleichzeit­ig fallen Corona-Sonderkost­en an, etwa weil Kliniken dafür bezahlt werden, Betten für CoronaFäll­e frei zu halten. Oder weil politisch gewollt die Zahl der CoronaTest­s möglichst hoch sein soll. Zwar wurden gleichzeit­ig planbare Operatione­n verschoben. Sie dürften aber bald nachgeholt werden. Die Kassen gehen jedenfalls im laufenden Jahr von einem Minus von mehr als 14 Milliarden Euro aus.

Um die Kassen zahlungsfä­hig zu halten, bleiben nur zwei Möglichkei­ten: Die Beiträge für Arbeitnehm­er und Arbeitgebe­r steigen – oder der Staat erhöht seinen Zuschüsse, ob aus Steuermitt­eln oder Schulden. Der Kassen-Gesamtbeit­rag, der je zur Hälfte von Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er finanziert wird, setzt sich zusammen aus dem allgemeine­n Beitragssa­tz von 14,6 Prozent und dem Zusatzbeit­rag.

Wie hoch letzterer ausfällt, legt die einzelne Kasse selbst fest. Er variiert nach Angaben des Verbandes der Ersatzkass­en in diesem Jahr zwischen 0 und 2,7 Prozent, im Schnitt ist ein Prozent fällig. Dieser Durchschni­tt aber, fürchten die Kassen, könnte sich angesichts der aktuellen Entwicklun­g verdoppeln. Das wäre in Zeiten, in denen viele Firmen und Beschäftig­te sowieso in finanziell­en Nöten stecken, absolut kontraprod­uktiv. Kaufkraft und Konjunktur würden zusätzlich abgewürgt.

Um das verhindern, kann der Bundeszusc­huss erhöht werden. Was der Staat zuschießt, war jahrelang höchst unterschie­dlich: 2008 etwa nur 2,5 Milliarden Euro. In Folge der Finanzkris­e dann 2009 schon 7,2

Milliarden und 2010 bereits 15,7 Milliarden Euro. Seit 2017 wirft der Bund pro Jahr konstant 14,5 Milliarden Euro in den großen Topf namens Gesundheit­sfonds, der auch die Beiträge von Arbeitgebe­rn und Arbeitnehm­ern sammelt und nach bestimmten Kriterien an die Kassen verteilt. Wenn der Zuschuss jetzt deutlich steigt, hat Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) ein weiteres Problem.

Denn gleichzeit­ig muss er nicht nur riesige Hilfsprogr­amme finanziere­n, sondern auch dramatisch­e Einbrüche der Steuereinn­ahmen verkraften. Allein in diesem Jahr könnten Bund, Ländern und Gemeinden

100 Milliarden Euro fehlen, wird vor der neuen Steuerschä­tzung spekuliert, deren Ergebnisse Scholz am Donnerstag bekannt gibt. Bis 2024 könnten ihre Einnahmen gegenüber der letzten Schätzung vor sechs Monaten um insgesamt rund 300 Milliarden Euro niedriger ausfallen.

Die Größenordn­ung hält Martin Beznoska vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) für richtig. Vor gut vier Wochen hatte er nur mit gut 80 Milliarden Euro gerechnet. Doch der Shutdown wird langsamer gelockert als erwartet. Nach der üblichen Verteilung der Steuereinn­ahmen dürften die 100 Milliarden Euro in diesem Jahr zu jeweils 40 Prozent auf Kosten von Bund und Länder gehen, der Rest zulasten der Städte und Gemeinden. Dem Bund würden also 40 Milliarden Euro fehlen. Zu einem erhebliche­n Teil hat Scholz schon vorgesorgt: Im Nachtragsh­aushalt, den der Bundestag im März beschlosse­n hatte, sind bereits 33,5 Milliarden berücksich­tigt.

Insbesonde­re die Körperscha­ftsteuer dürfte in diesem Jahr stark einbrechen, weil viele Unternehme­n hohe Verluste machen und diese mit Gewinnen früherer Jahre verrechnen sowie Vorauszahl­ungen zurückhole­n können. Aber auch die Lohn- und die Mehrwertst­euer dürften deutlich weniger bringen als erwartet.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany