Bomben, die wie Regen vom Himmel fallen
Amnesty International wirft Syrien und Russland Kriegsverbrechen in Idlib vor
- In einer Schule in der nordwestsyrischen Provinz Idlib war am Morgen des 25. Februar gerade die erste Unterrichtsstunde vorbei, als die Bomben fielen. Eine Lehrerin floh mit ihren Schülern aus dem Gebäude, doch retten konnten sie sich nicht: Streubomben, die auf den Spielplatz einer weiteren Schule abgeworfen wurden, trafen die Gruppe, töteten mindestens einen Schüler und verletzten die Lehrerin. „Ich weiß genau, wie sich ein Angriff mit Streubomben anhört“, sagte die Lehrerin später. „Man hört viele kleine Explosionen – als würden Granatsplitter statt Regen vom Himmel fallen.“
Die Zeugenaussage der Frau ist eine von 74 Schilderungen, die in einem neuen Bericht von Amnesty International den Vorwurf von völkerrechtswidrigen Bombardements ziviler Ziele durch die syrische Armee und die russischen Streitkräfte im Nordwesten Syriens untermauern. Neben Schulen wurden auch Krankenhäuser angegriffen, berichtet Amnesty. Die Menschenrechtsorganisation erfasste insgesamt 18 solcher Angriffe, die sie mit Hilfe von Fotos, Videos, Satellitenbildern und abgehörten Funksprüchen der syrischen und russischen Kampfpiloten auswertete.
Selbst an den furchtbaren Verhältnissen im Syrien-Krieg gemessen sei das durch die Angriffe verursachte Leid für die Menschen beispiellos, erklärte Amnesty. Die Organisation spricht von Kriegsverbrechen – doch der Krieg geht weiter. Die Kämpfe um Idlib, die letzte Rebellenhochburg nach neun Jahren Blutvergießen in Syrien, flammen wieder auf. Am Wochenende starben fast 50 Menschen.
Rund eine Million Zivilisten sind durch die Kämpfe in den vergangenen Monaten in Idlib vertrieben worden – viele von ihnen lagern an der geschlossenen Grenze zur Türkei. Die Luftangriffe auf Schulen und
Krankenhäuser gehören zur Strategie der syrischen Streitkräfte und ihrer russischen Unterstützer. Attacken auf zivile Einrichtungen im Herrschaftsgebiet der Rebellen sollen die Bewohner der betroffenen Gegend vertreiben, um den Vorstoß von Regierungstruppen zu erleichtern.
Mit den Bombardements von Krankenhäusern will das syrische Militär zudem nicht nur die Zivilbevölkerung treffen, sondern auch die medizinische Versorgung verletzter Rebellen erschweren. Die UNO informiert die Konfliktparteien regelmäßig über die genaue Lage von Kliniken und Gesundheitsstationen, um die Einrichtungen und Ärzte und Patienten zu schützen, doch Menschenrechtler werfen Syrern und Russen vor, die UN-Daten zu gezielten Angriffen zu missbrauchen. Damaskus und Moskau weisen alle Vorwürfe von sich – sie begründen ihr Vorgehen in Idlib mit dem notwendigen Kampf gegen „Terroristen“.
Hoffnung auf ein Ende des Leids gibt es nicht. Assad ist fest entschlossen, mit einem Sieg über die Rebellen in Idlib seinen militärischen Erfolg im Krieg zu krönen. Ein türkischer Truppeneinmarsch im März hatte Assads Offensive in Idlib zwar gestoppt und die Kämpfe vorübergehend beendet. Doch nun eskalieren die Gefechte wieder, wie die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte jetzt mitteilte.
Die UNO ist handlungsunfähig. Im Januar hatten Russland und China im Sicherheitsrat durchgesetzt, dass die Zahl der Grenzübergangsstellen für die Lieferung humanitärer Hilfe nach Syrien von vier auf zwei reduziert wurden. Moskau und Beijing argumentierten, humanitäre Hilfe könne von der syrischen Regierung organisiert werden; möglicherweise werden Russland und China in wenigen Monaten auf den Stopp aller Hilfslieferungen bestehen, die nicht von Damaskus kontrolliert werden. Das sei eine ernste Gefahr für die Menschen in Idlib, erklärte Heba Morayef, die bei Amnesty für den Nahen Osten und Nordafrika zuständig ist. Schon jetzt beschreibe die UNO die Situation in Idlib als „Horror-Geschichte“, sagte Morayef. Ohne direkte internationale Hilfe werde alles noch schlimmer.