Lindauer Zeitung

„Ich denke viel an meine freischaff­enden Kollegen“

Stargeiger und Intendant Linus Roth über das Festival Schwäbisch­er Frühling und die Folgen von Corona

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- Das Corona-Virus hat auch ihn und den diesjährig­en Schwäbisch­en Frühling ausgebrems­t: Linus Roth, der neue Intendant des Musikfesti­vals in Ochsenhaus­en, musste das anspruchsv­oll durchdacht­e Programm um ein Jahr auf 2021 verschiebe­n. Für den Künstler schließen sich in Ochsenhaus­en die Kreise, ist er doch in Ertingen im Landkreis Biberach aufgewachs­en und hat im schönen Bibliothek­ssaal bereits als 11-Jähriger als Preisträge­r von „Jugend musiziert“konzertier­t. Roth tritt internatio­nal als Solist mit Orchester und als Kammermusi­ker auf, vor wenigen Wochen konnte man ihn im Konzerthau­s Ravensburg mit seinem Klavierpar­tner José Gallardo erleben. Dazu ist der schlanke 42-jährige Musiker seit 2012 Professor am Leopold-MozartZent­rum der Universitä­t Augsburg und künstleris­cher Leiter des dortigen Leopold-Mozart-Violinwett­bewerbs. Zum Gespräch trafen sich Linus Roth und Katharina von Glasenapp noch von Angesicht zu Angesicht in der Landesakad­emie, die aktuellen Fragen hat der Violinist per Mail beantworte­t.

Herr Roth, wie geht es Ihnen in der jetzigen Situation? Was macht Corona mit Ihnen?

Ich versuche die Situation in ihrer Gesamtheit zu erfassen, die bereitet mir weitaus mehr Sorgen als das Coronaviru­s selbst. Ich denke viel an meine freischaff­enden Kollegen, die nicht noch zusätzlich eine feste Stelle in einem Orchester oder wie ich an einer Universitä­t haben und die bis jetzt nur von Auftritten gelebt haben. Für viele ist diese Situation katastroph­al.

Die Einschränk­ungen treffen auch Sie als ausübenden Künstler. Wie hat sich Ihr Terminkale­nder verändert?

Bis September wären es um die 35 Konzerte gewesen, die nun wegfallen. Einige Veranstalt­er haben Ersatzterm­ine angeboten, bei anderen größeren Häusern ist das nicht möglich, denn die kommende Spielzeit ist ja auch schon längst geplant und somit voll. In Rio de Janeiro habe ich noch am 13. März die Generalpro­be des Violinkonz­erts von Beethoven gespielt, 30 Minuten danach wurde das Konzert dann doch abgesagt. Es war ein wahres Abenteuer, das Flugticket zu ändern und vor dem brasiliani­schen Lockdown noch nach Hause zu kommen!

Auch den Hochschulu­nterricht müssen Sie derzeit online gestalten. Wie kommen Sie damit zurecht? Erarbeiten Sie für sich selbst neue Stücke oder vertiefen Sie altes Repertoire?

Online zu unterricht­en ist besser als nichts, kann allerdings einen persönlich­en Unterricht vor allem wegen der schlechten Klangquali­tät nicht ersetzen. Ich selbst versuche, ursprüngli­ch für nächstes Jahr geplante CD-Aufnahmen vorzuziehe­n. Da ist auch das ein oder andere neue Stück dabei.

Lassen Sie uns kurz zurückblic­ken. Wie kamen Sie zur Musik?

Mein Vater war 50 Jahre lang Organist im Münster Zwiefalten, meine Mutter hat den Kirchencho­r in Ertingen geleitet und dort auch Orgel in der Marienkape­lle gespielt. Außerdem hat sie an der Jugendmusi­kschule Cello unterricht­et und brachte eines Tages eine kleine Geige mit, da war ich knapp sechs Jahre alt. Sie wusste, wie man ein Kind spielerisc­h an ein Instrument heranführt und hat dann dafür gesorgt, dass ich immer den richtigen Lehrer zur richtigen Zeit hatte. Mit allen meinen Lehrern hatte ich unglaublic­hes Glück: angefangen von der Jugendmusi­kschule in Riedlingen bis hin zu Professor Ana Chumachenc­o, die mich in meinen letzten Studienjah­ren am meisten geprägt hat. Sie ist eine großartige Pädagogin und erfasst mit einem Blick, was jeder Student, jede Studentin braucht.

Nun haben Sie seit einigen Jahren selbst schon eine Professur in Augsburg. Wie gewichten Sie zwischen Unterricht, eigenen Konzerten und Festivalpl­anung?

Ich habe eine große Klasse, denn es ist eine volle Professur. Ich kann mir aber den Unterricht einteilen und achte sehr auf Regelmäßig­keit. Trotzdem brenne ich für die Konzertbüh­ne, sie ist meine Heimat. Die Festivalpl­anung ist eine echte Leidenscha­ft, weil ich für die musikalisc­he Programmge­staltung verantwort­lich bin. Aus künstleris­cher Sicht ist das wahnsinnig spannend.

Ihren ersten Schwäbisch­en Frühling mussten Sie jetzt wegen der Corona-Krise um ein Jahr verschiebe­n. Was hat sich verändert?

Die Aufführung von Beethovens 9. Symphonie kann 2021 leider nicht stattfinde­n, dafür wird aber die Gaechinger Cantorey einen Abend mit anderen Werken gestalten. Alles andere konnte ich verschiebe­n, mit einer kleinen Besetzungs­änderung. Das bereits fertig geplante Programm für 2021 wird 2022 stattfinde­n, fast alle bereits gebuchten Künstler waren noch frei.

Was zeichnet den Schwäbisch­en Frühling aus?

Der Schwäbisch­e Frühling ist ein gewachsene­s Festival, das ich weiterführ­en und weiterentw­ickeln darf. Das Festival steht sehr gut da, hier hat man auch die Möglichkei­t, große Sachen zu machen. Ich habe ein neues Konzept entwickelt, aber bestimmte Dinge wollte ich definitiv beibehalte­n: etwa, dass ein Konzert der eher leichten Muse wie dem Tango gewidmet ist und dass es auch innerhalb des Festivals einen Meisterkur­s gibt. Schließlic­h sind wir hier in der Landesakad­emie für die musizieren­de Jugend.

Worin kann man Ihre persönlich­e Handschrif­t erkennen?

Da die Vorlaufzei­t relativ kurz war, hat es sich ergeben, dass ich mit einer Ausnahme in jedem Konzert spiele. Als Intendant stelle ich mich im ersten Jahr eben auch musikalisc­h vor, das wird in den kommenden Jahren anders. Dann wird es jedes Jahr einen anderen Artist in Residence geben, der dem Festival seinen eigenen Stempel aufdrückt: 2022 kommt der Cellist Christian Poltera, 2023 der Bratschist Nils Mönkemeyer. Ganz wichtig war mir der Donnerstag, der Feiertag Christi Himmelfahr­t. Ich möchte an diesem Tag Musik vorstellen, die eine gewisse spirituell­e Bedeutung hat, das wird sich wie ein roter Faden durchziehe­n. Es ist kein Zufall, dass ich da die sechs Sonaten und Partiten für Violine solo von Bach spiele: Sie stehen für jeden Geiger im Zentrum. Man geht an so einem Abend anders raus, als man rein ging, das gilt für mich als Interprete­n ebenso wie für den Zuhörer. Das passiert nur bei Musik, die diese Tiefe hat.

Wir werden Sie auch mit Tango erleben, wie kommt es dazu?

Ich musiziere seit mehr als 20 Jahren mit dem argentinis­chen Pianisten José Gallardo zusammen und wir haben immer mal wieder einen Tango als Zugabe gespielt. Marcelo Nisinman ist dazu ein ganz spezieller Bandoneoni­st, der den Tango Nuevo noch mal weiterentw­ickelt hat. Es ist unglaublic­h spannend, denn auch der Tango darf nie stehen bleiben.

Weil der Schwäbisch­e Frühling heuer nicht stattfinde­n kann, planen Sie für den 17. Oktober 2020 als „Trostpflas­ter“einen Kammermusi­kabend mit Ihrem Pianisten José Gallardo. Was steht auf dem Programm?

Wir spielen Sonaten von Mendelssoh­n und Weinberg und die Kreutzer-Sonate von Beethoven, denn schließlic­h feiern wir 2020 trotz Corona immer noch seinen 250. Geburtstag. Hoffentlic­h können wir bis dahin wieder auftreten.

Sie haben einen Vertrag über fünf Jahre mit Option auf Verlängeru­ng. Was wünschen Sie dem Schwäbisch­en Frühling?

Es ist mir ein Anliegen, dass der Schwäbisch­e Frühling ein bisschen mehr über die Region hinaus bekannt wird, auch unter Musikern. Wir haben hier einen der schönsten Säle überhaupt, optisch wie akustisch. Ochsenhaus­en verdient es, ein Fixpunkt in der Festivalla­ndschaft zu werden!

Der Schwäbisch­e Frühling findet im kommenden Jahr vom 12. bis 16. Mai 2021 statt.

 ?? FOTO: VOLKER STROHMAIER ?? Stargeiger, Professor an der Universitä­t in Augsburg und neuer Intendant des Musikfesti­vals Schwäbisch­er Frühling in Ochsenhaus­en: der 42-jährige Linus Roth.
FOTO: VOLKER STROHMAIER Stargeiger, Professor an der Universitä­t in Augsburg und neuer Intendant des Musikfesti­vals Schwäbisch­er Frühling in Ochsenhaus­en: der 42-jährige Linus Roth.

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