„Ganzes zweites Stockwerk ist Krisenzentrum“
In welchem Bereich Landrat Elmar Stegmann das Verhalten der Bundesrepublik „beschämend“findet
- Eine Behörde im Ausnahmezustand. So lässt sich die Lage im Landratsamt Lindau zusammenfassen. „Das komplette zweite Stockwerk ist Krisenzentrum“, beschrieb Landrat Elmar Stegmann bei der Bürgermeisterversammlung die Lage. Corona beschäftige fast das ganze Landratsamt. Persönlich bereitet dem Kreis-Chef nicht zuletzt die Schließung der Grenze Kopfzerbrechen. Den Zustand hält Stegmann für „nicht nachvollziehbar“.
Das Landratsamt hatte bereits Anfang Februar einen Krisenstab gebildet, lange bevor der Freistaat den Katastrophenfall ausrief. In der Spitze hat die Behörde bis zu 60 Personen mit dem Thema Corona beschäftigt, schilderte Stegmann. Das waren nicht nur eigene Mitarbeiter der Behörde. Auch Finanzamtsanwärter und Medizinstudenten unterstützten das Landratsamt. Angehende Ärzte verfolgten beispielsweise Kontakte von Infizierten nach, um die Infektionskette zu durchbrechen. Während im Landkreis am Beginn der Pandemie die Zahl der Infizierten rapide anstieg – vermutlich auch eine Folge etlicher Busfahrten aus dem Westallgäu nach Ischgl – stagniert die Fallzahl mittlerweile. Sie liegt seit Tagen bei 240. Gleichzeitig nimmt die Zahl der Bürger, die sich in Quarantäne befinden, laut Stegmann stetig ab. In der Spitze lag sie bei mehr als 1200 Menschen. Das entspricht 1,5 Prozent der Landkreisbewohner. Überwunden ist die Krise freilich lange nicht. Die größte Sorge des Landratsamtes sei nach wie vor, dass eine Infektion in ein Krankenhaus oder Seniorenheim geschleppt oder ein ambulanter Pflegedienst infiziert wird, erklärte Stegmann. Das habe an anderen Orten in Bayern zu zahlreichen Opfern geführt. Deshalb habe das Landratsamt diese Einrichtungen vordringlich mit Schutzmaterial ausgestattet. Zudem habe die Behörde ein „starkes Augenmerk darauf gelegt“, die Mitarbeiter zu schulen. Bei Verdachtsfällen oder tatsächlichen Infektionen sei die Behörde „sofort mit der Keule“vorgegangen und habe Menschen isoliert. „Das hat sehr gut funktioniert. Wir können aber keine Entwarnung geben“, sagte Stegmann mit Blick auf die weiter bestehende Gefahr einer Ansteckung mit dem Virus.
Der Landrat hält den Ansatz, die Bestimmungen langsam zu lockern, für richtig. Er verstehe, dass die „Menschen langsam ungeduldig werden“. Das merken die Mitarbeiter
des Landratsamtes auch an der Corona-Hotline. Dort rufen laut Stegmann bis zu hundert Menschen am Tag an oder schicken E-Mails. Derzeit gehe es dabei verstärkt um die Frage, wann und wie sich die Bestimmungen für bestimmte Gruppen ändern.
Dabei lösen manche Regelungen auch in der Behörde „Kopfschütteln aus“. Als Beispiel nannte Stegmann die „Grenzproblematik“. Diesbezüglich sei das Verhalten der Bundesrepublik „beschämend“. Stegmann: „Ich darf nach Österreich und in die Schweiz, gleichzeitig darf der Lebenspartner von dort nicht nach Deutschland.“Die Musterquarantäneverordnung, die das Bundesinnenministerium auf seiner Homepage veröffentlicht hat, sehe vor, dass Lebenspartner einreisen dürften. „Die gleiche Behörde sagt, ich erkenne das bei der Einreise nicht an“, ärgert sich Stegmann.
Die Trennung von Angehörigen habe „menschlich zutiefst traurige“Schicksale zur Folge. Als Beispiel nannte Stegmann eine Seniorin im Landkreis, die ihren 90. Geburtstag ohne ihre nahen Verwandten aus einer Vorarlberger Grenzgemeinde feiern musste. Kurz darauf sei sie ohne Angehörige gestorben.
Auch mit Blick auf die Zahlen in den Nachbarländern sieht der Kreischef keinen Grund mehr, die Grenzen geschlossen zu halten: „Das Infektionsgeschehen in Österreich und in der Schweiz ist kein anderes als bei uns.“Deshalb hat sich Stegmann zusammen mit den fünf Landräten der an den Bodensee grenzenden Landkreise auch schriftlich an Innenminister Horst Seehofer gewandt, mit der Bitte, die Grenze zu öffnen. Das Landratsamt selbst fährt seine Dienstleistungen für Bürger mittlerweile wieder hoch. So ist die Zulassungsstelle von 7 bis 18 Uhr geöffnet, freitags bis 12 Uhr. Um einen Andrang zu vermeiden, muss allerdings jeder vorher einen Termin ausmachen. Stegmann bat die Bürger zudem, bei Kontakt mit dem Landratsamt Telefon oder E-Mail zu nutzen. Die Behörde hat sich aber auch für die Fälle vorbereitet, in denen ein persönlicher Termin unumgänglich ist. Dafür hat das Landratsamt Zimmer mit entsprechenden Schutzeinrichtungen ausgestattet.