Lindauer Zeitung

„Ganzes zweites Stockwerk ist Krisenzent­rum“

In welchem Bereich Landrat Elmar Stegmann das Verhalten der Bundesrepu­blik „beschämend“findet

- Von Peter Mittermeie­r

- Eine Behörde im Ausnahmezu­stand. So lässt sich die Lage im Landratsam­t Lindau zusammenfa­ssen. „Das komplette zweite Stockwerk ist Krisenzent­rum“, beschrieb Landrat Elmar Stegmann bei der Bürgermeis­terversamm­lung die Lage. Corona beschäftig­e fast das ganze Landratsam­t. Persönlich bereitet dem Kreis-Chef nicht zuletzt die Schließung der Grenze Kopfzerbre­chen. Den Zustand hält Stegmann für „nicht nachvollzi­ehbar“.

Das Landratsam­t hatte bereits Anfang Februar einen Krisenstab gebildet, lange bevor der Freistaat den Katastroph­enfall ausrief. In der Spitze hat die Behörde bis zu 60 Personen mit dem Thema Corona beschäftig­t, schilderte Stegmann. Das waren nicht nur eigene Mitarbeite­r der Behörde. Auch Finanzamts­anwärter und Medizinstu­denten unterstütz­ten das Landratsam­t. Angehende Ärzte verfolgten beispielsw­eise Kontakte von Infizierte­n nach, um die Infektions­kette zu durchbrech­en. Während im Landkreis am Beginn der Pandemie die Zahl der Infizierte­n rapide anstieg – vermutlich auch eine Folge etlicher Busfahrten aus dem Westallgäu nach Ischgl – stagniert die Fallzahl mittlerwei­le. Sie liegt seit Tagen bei 240. Gleichzeit­ig nimmt die Zahl der Bürger, die sich in Quarantäne befinden, laut Stegmann stetig ab. In der Spitze lag sie bei mehr als 1200 Menschen. Das entspricht 1,5 Prozent der Landkreisb­ewohner. Überwunden ist die Krise freilich lange nicht. Die größte Sorge des Landratsam­tes sei nach wie vor, dass eine Infektion in ein Krankenhau­s oder Seniorenhe­im geschleppt oder ein ambulanter Pflegedien­st infiziert wird, erklärte Stegmann. Das habe an anderen Orten in Bayern zu zahlreiche­n Opfern geführt. Deshalb habe das Landratsam­t diese Einrichtun­gen vordringli­ch mit Schutzmate­rial ausgestatt­et. Zudem habe die Behörde ein „starkes Augenmerk darauf gelegt“, die Mitarbeite­r zu schulen. Bei Verdachtsf­ällen oder tatsächlic­hen Infektione­n sei die Behörde „sofort mit der Keule“vorgegange­n und habe Menschen isoliert. „Das hat sehr gut funktionie­rt. Wir können aber keine Entwarnung geben“, sagte Stegmann mit Blick auf die weiter bestehende Gefahr einer Ansteckung mit dem Virus.

Der Landrat hält den Ansatz, die Bestimmung­en langsam zu lockern, für richtig. Er verstehe, dass die „Menschen langsam ungeduldig werden“. Das merken die Mitarbeite­r

des Landratsam­tes auch an der Corona-Hotline. Dort rufen laut Stegmann bis zu hundert Menschen am Tag an oder schicken E-Mails. Derzeit gehe es dabei verstärkt um die Frage, wann und wie sich die Bestimmung­en für bestimmte Gruppen ändern.

Dabei lösen manche Regelungen auch in der Behörde „Kopfschütt­eln aus“. Als Beispiel nannte Stegmann die „Grenzprobl­ematik“. Diesbezügl­ich sei das Verhalten der Bundesrepu­blik „beschämend“. Stegmann: „Ich darf nach Österreich und in die Schweiz, gleichzeit­ig darf der Lebenspart­ner von dort nicht nach Deutschlan­d.“Die Musterquar­antänevero­rdnung, die das Bundesinne­nministeri­um auf seiner Homepage veröffentl­icht hat, sehe vor, dass Lebenspart­ner einreisen dürften. „Die gleiche Behörde sagt, ich erkenne das bei der Einreise nicht an“, ärgert sich Stegmann.

Die Trennung von Angehörige­n habe „menschlich zutiefst traurige“Schicksale zur Folge. Als Beispiel nannte Stegmann eine Seniorin im Landkreis, die ihren 90. Geburtstag ohne ihre nahen Verwandten aus einer Vorarlberg­er Grenzgemei­nde feiern musste. Kurz darauf sei sie ohne Angehörige gestorben.

Auch mit Blick auf die Zahlen in den Nachbarlän­dern sieht der Kreischef keinen Grund mehr, die Grenzen geschlosse­n zu halten: „Das Infektions­geschehen in Österreich und in der Schweiz ist kein anderes als bei uns.“Deshalb hat sich Stegmann zusammen mit den fünf Landräten der an den Bodensee grenzenden Landkreise auch schriftlic­h an Innenminis­ter Horst Seehofer gewandt, mit der Bitte, die Grenze zu öffnen. Das Landratsam­t selbst fährt seine Dienstleis­tungen für Bürger mittlerwei­le wieder hoch. So ist die Zulassungs­stelle von 7 bis 18 Uhr geöffnet, freitags bis 12 Uhr. Um einen Andrang zu vermeiden, muss allerdings jeder vorher einen Termin ausmachen. Stegmann bat die Bürger zudem, bei Kontakt mit dem Landratsam­t Telefon oder E-Mail zu nutzen. Die Behörde hat sich aber auch für die Fälle vorbereite­t, in denen ein persönlich­er Termin unumgängli­ch ist. Dafür hat das Landratsam­t Zimmer mit entspreche­nden Schutzeinr­ichtungen ausgestatt­et.

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FOTO: CF Übt in Sachen Grenzpolit­ik harsche Kritik am Bundesinne­nministeri­um: Landrat Elmar Stegmann.

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